Nach Verhaftung Ex-Wirecard-Chef kommt gegen millionenschwere Kaution aus Haft frei

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Zweifelhafte Treuhänder und mysteriöse Partner

Im Zuge der neuen Entwicklungen rücken auch diejenigen, die diese Konten verwalteten, stärker in den Fokus: Die Treuhänder, unter denen sich durchaus zweifelhafte Figuren befinden, wie etwa der Geschäftsführer der Citadelle Corporate Services in Singapur. Die WirtschaftsWoche hatte darüber berichtet. Der Treuhänder, der die 1,9 Milliarden Euro verwaltete, ist bereits seit Monaten nicht mehr erreichbar. WirtschaftsWoche-Redakteure machten sich deshalb schon vor zwei Wochen auf Spurensuche. (Mehr dazu lesen Sie hier.)

Auch der Name Al Alam könnte bald erneut in den Fokus der Geschehnisse rücken. Erst vor gut einem Monat sorgte der Wirecard-Partner aus Dubai für eine große Talfahrt der Wirecard-Aktie auf den niedrigsten Stand seit 2017, als Al Alam seine Schließung ankündigte. Für das eigene Geschäft habe diese Entscheidung keine Konsequenzen, versuchte der Dax-Konzern damals zu beschwichtigen. Beobachter sahen das aber anders – ebenso wie die Aktionäre. Der Grund liegt auf der Hand: Rund 68 Prozent des Konzerngewinns fiel zuletzt bei einer Wirecard-Tochter in Dubai an. Diese wiederum erzielt den „weit überwiegenden Teil des Umsatzes“ mit Hilfe von Partnerfirmen, schreiben die Prüfer von KPMG. Eine davon: Al Alam.

Die Firma soll einer der wichtigsten Geschäftspartner des deutschen Zahlungsdienstleisters gewesen sein. Die britische „Financial Times“ („FT“) behauptete vergangenes Jahr, dass Wirecard mithilfe von Al Alam allein im Jahr 2016 rund die Hälfte seines Vorsteuergewinns erzielt haben könnte. Wie viele Transaktionen Wirecard mit den Arabern macht, sagte Wirecard damals nicht, dementierte aber genauso wenig die Angaben der „FT“ .

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Laut Schilderungen der KPMG-Prüfer müsste Al Alam viel mehr sein als nur ein Vermittler von Bankkontakten. Demnach wickelten Wirecards Partnerfirmen Kreditkartentransaktionen über eigene Plattformen für Händlerkunden ab, die Wirecard den Partnerfirmen vermittelt hatte. Das geschah, ohne dass Wirecard eine „direkte vertragliche Beziehung“ zu diesen Kunden hatte, schrieb KPMG. Bis 2019 hatte Wirecard offenbar nicht einmal Zugriff auf die Transaktionsdaten dieser Händlerkunden. Laut KPMG wäre Al Alam also kein banaler Kontaktvermittler, so wie die Aschheimer es darstellten, sondern vielmehr direkt mit Finanztransaktionen betraut. Wirecard äußerte sich auf Anfrage der WirtschaftsWoche hierzu Ende Mai nicht.

Wie die WirtschaftsWoche meldete auch die britische „FT“ in der Vergangenheit immer wieder Zweifel an den Geschäften an, die Wirecard über solche Partnerfirmen abwickelt. So klapperten die Reporter etwa vor einigen Monaten 34 Kunden der Partnerfirma Al Alam ab – meist Händler, deren Namen sie aus einer Datei von Wirecard hatten. Die meisten Kunden, die die „FT“ erreichte, wollten von Al Alam aber nie etwas gehört haben. Die WirtschaftsWoche wollte im November 2019 bei Al Alam vorbeischauen, klingelte an zwei Tagen zu unterschiedlichen Uhrzeiten am Hauptsitz des Unternehmens in Dubai, traf aber nur einmal überhaupt jemanden an. Schon damals galten die Geschäfte mit dem undurchschaubaren Partner als mysteriös und beunruhigend. Auf E-Mails der WirtschaftsWoche antwortete Al Alam monatelang nicht. Ans Telefon ging auch keiner. Wer die Geschäfte von Al Alam führte, ist nicht bekannt, genauso wenig, wem die Firma gehörte. Al Alam sagte es nicht, auch Wirecard schwieg. Mitte Mai wurde dann bekannt, dass Al Alam liquidiert wird.

Prüfer EY im Kreuzfeuer

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Die Prüfer von KPMG sollten dann endlich Klarheit schaffen und im Auftrag des Wirecard-Aufsichtsrats unter anderem überprüfen, ob die Geschäfte in Milliardenhöhe mit Partnerfirmen wie Al Alam tatsächlich stattgefunden haben. Die Prüfung endete jedoch nach sechs Monaten mehr oder weniger ergebnislos. Die Prüfer bekamen nach eigenen Angaben nicht die Unterlagen, die sie brauchten, um Wirecards Angaben nachzuvollziehen. Statt die Vorwürfe zu entkräften, fanden die Prüfer schwerwiegende Mängel bei internen Kontrollen sowie Hinweise darauf, dass es Unregelmäßigkeiten im Geschäft mit den Drittpartnern geben könne. Die Prüfer von EY, die den Jahresabschluss 2019 testieren sollten, erklärten dann, Dokumente zu Geldern auf Treuhandkonten bei Banken in Asien seien offenbar gefälscht worden. Es war der bisherige Höhepunkt des Skandals, und noch immer bleiben viele Fragen unbeantwortet.

Weil EY jahrelang Wirecards Jahresberichte absegnete, gerät der Wirtschaftsprüfer nun auch selbst ins Kreuzfeuer. EY hat dem Zahlungsdienstleister für den jüngsten Geschäftsbericht nun zum wiederholten Mal sein Testat verweigert – und damit seine eigenen Prüfungen der vergangenen Jahre selbst in Zweifel gezogen. Die Folge könnte eine Klagewelle sein und der drohende Imageschaden immens.

Das droht aber natürlich nicht nur EY. Auch der neue Wirecard-Chef James Freis muss nun mit einer Flut an Klagen rechnen. Vertreter von Kleinaktionären sowie die Fondsgesellschaften DWS und Union Investment prüfen die Einleitung von juristischen Schritten. Darüber hinaus hat die BaFin eine Sonderprüfung eingeleitet und die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen des Verdachts auf Marktmanipulation.

Derzeit scheint im Grunde nur eines wirklich klar: Der sehr reale Wirecard-Thriller ist noch lange nicht zu Ende erzählt.

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Ob Wirecard überschuldet ist, kann nur der Chef-Buchhalter des Zahlungsabwicklers sagen. Für diese Kalkulation sind aktuelle Zahlen nötig, die bislang nicht veröffentlicht wurden. Auch ohne sie lässt sich aber sagen: Die Situation könnte ausgesprochen gefährlich werden. Eine Szenario-Rechnung.

Mit Material von dpa und Reuters

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