




Ein bisschen ironisch ist es schon, dass gerade zwei ehemalige deutsche Lieblingsmarken parallel kübelweise Spott abbekommen: Boris Becker und Air Berlin müssen dieser Tage spüren, dass man als erfolgloser Ex-Everybodys-Darling der beste Auslöser für bösartiges Gerede ist.
Fast gleichzeitig begann ihr Stern zu leuchten. Boris Beckers 1987, der von Air Berlin nach der Wende ab 1991. Große Befreier und Liberalisierer waren beide – der eine machte das elitäre Tennis zum Volkssport, der andere das Fliegen für Alle möglich.
Während Beckers aktive Laufbahn 1999 endete, startete Air Berlin erst richtig durch. Mit dem ersten Mallorca-Shuttle begann der wahre Aufstieg der Marke zum Lieblingsflieger der Deutschen. Hier war alles anders, lockerer, freundlicher. Und vor allem: günstiger. Denn billig wirkte Air Berlin - im Vergleich zu echten Billigfliegern - nie.
Zum Autor
Stefan Setzkorn, Kreativchef und Geschäftsführer der Agentur Honey hat bis 2016 viele Jahre für die kreative Markenführung und Werbung von airberlin verantwortlich gezeichnet.
Das lag an der gelebten Haltung. Die Marke wirkte immer ein bisschen frischer und frecher als die elitäre Konkurrenz, der Service war witziger, moderner und jünger. Unterscheidungen, wer wo zu sitzen hat und wer was serviert bekommt, gab es jahrzehntelang nicht.
Ganz zu schweigen von Business-Class-Plätzen auf Europaflügen. Bei Air Berlin saßen Familien mit quengelnden Kindern in der ersten Reihe, Backpacker und Anzugträger nebeneinander und die legendäre Frage: "Süß oder salzig?" wurde ausnahmslos allen gestellt.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Bezeichnend auch, dass das ebenso legendäre Schokoherz auch in den letzten Jahren, als die Airline schon tief in den roten Zahlen herumflog, weiter beim Abschied an jeden einzelnen Fluggast verteilt wurde. Noch 2013 flogen 33 Millionen Schokoherzen zu 800 Zielen weltweit. Storytelling konnte Air Berlin halt immer gut. Bis hin zur ziemlich brillanten und irgendwie auch sympathisch größenwahnsinnigen Idee, die Sansibar Currywurst auf die Speisekarte zu setzen. Über kein anderes bordgastronomisches Angebot wurde in der Geschichte der Luftfahrt mehr gesprochen – mal abgesehen vom Tomatensaft.
Als die Lufthansa Deutschland verwirrte und alle Miles and More Sammler verärgerte, weil aus dem Kranich erst Germanwings und dann Eurowings wurde, danach die Piloten 14 Mal in Folge streikten, flog Air Berlin weiter im Minutentakt durch Europa.





Die Airline versuchte immer die Marke zu bleiben, die sie war und die sie sein wollte. Der geistige Vater war Joachim Hunold, und vielleicht war er ein besserer Marken- als Geschäftsmann. Fakt ist, dass er sich mit dem Zukauf von Fluglinien wie dba und LTU kräftig verhob und den Turnaround nicht schaffte. Ebenso wenig wie die sich anschließend die Türklinke in die Hand gebenden Manager.
Auch die Idee, Air Berlin zu Teilen an Etihad zu verkaufen, hat der Marke nicht gut getan. Die Airline aus Abu Dhabi hat sich nie für die Marke Air Berlin und die Wünsche der Deutschen interessiert, sondern nur für die Flugstrecken. So wurde trotz Milliardeninvestments alles schlechter statt besser.
Jetzt ist es müßig, zu sinnieren, ob Air Berlin noch da wäre, hätte Hartmut Mehdorn für sein Sanierungskonzept nicht komplett auf den Phantom-Standort BER gesetzt. Ob man die Marke hätte retten können, wenn man sich stärker aufs Kerngeschäft und weniger auf Weltherrschaftsfantasien konzentriert hätte.
Fakt ist: Air Berlin ist abgestürzt. Die Stärke des Shitstorms und der Häme, die jetzt über die Ex-Fluglinie hereinbricht, ist aber bei Licht betrachtet nichts anderes als ein Beweis ihrer Größe: Die Geschichte von der enttäuschten Liebe endet hierzulande ja meist mit einem Nachtreten gegen die Ex-Geliebten. Was bleibt, ist das Schokoherz. Im Netz kann man es zu Höchstpreisen ersteigern. Im heilen Zustand.
Manager Utz Claassen zieht vor Gericht