Navigation Handgemalte Bergpanoramen weisen Skifahrern den Weg

Der Weg ins Tal: Wie Wintersportler zuverlässig ihre Abfahrten von den Bergstationen finden. Quelle: TVB St. Anton am Arlberg/Josef Mallaun

Ihre Kunst scheint anachronistisch in Zeiten von Google Earth und Handy-Navigation. Tatsächlich aber fände sich kein Wintersportler im Schnee zurecht ohne Pistenpanoramen, die bis heute in Handarbeit erstellt werden.

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Wenn in diesen Tagen wieder Millionen Schneefans in die Skigebiete aufbrechen, sich an Liftstationen und Pistenkreuzungen orientieren und die passende Abfahrt zur nächsten Seilbahn suchen, gehören die opulenten Landschaftspanoramen zu den wichtigsten Navigationshilfen der Urlauber.

Ohne die charakteristischen, räumlich wirkenden Bilder auf Übersichtstafeln und in den faltbaren Pistenplänen käme der ganze Skizirkus unweigerlich ins Stocken. So aber breiten sich die Skiarenen klar erkennbar und übersichtlich auf den Panoramen aus. Blaue, rote und schwarze Pistenlinien leiten die Bergsportler durch die Natur. Und sie setzen dabei die Landschaften in so vorteilhaftes Licht, wie es die Tourismusverantwortlichen der jeweiligen Urlaubsregionen nicht schöner beschreiben könnten.

Doch so sehr Skifahrer und Snowboarder auf die Berg- und Landschaftspanoramen angewiesen sind, kaum einer kennt die Künstler hinter den Gemälden. Dabei gibt es weltweit nur eine bessere Handvoll Landschaftsmaler, die ihren Unterhalt damit bestreiten, Karten von Hand zu malen. Sie beherrschen die Kunst, die Natur so unauffällig zurechtzubiegen, dass selbst Abfahrtsrouten und Seilbahnen auf den Panoramen sichtbar werden, die sich in der Realität auf gegenüberliegenden Talseiten befinden. Die Bilder machen selbst hinter Bergen Verborgenes für Touristen sichtbar – und fügen trotzdem alles zu einem harmonischen Ganzen.

Wegbereiter der modernen Panoramakarte

Denn das ist der Trick: Panoramakarten bilden gerade nicht die Wirklichkeit ab. Sie zeigen „eine Idealvorstellung“, wie es etwa Alexander Königs aus Paderborn formuliert. Der hat ursprünglich mal Geographie und Kunst studiert, dann aber den Weg in die Nische der Landschaftsmalerei gefunden. Er war gerade mal 16, als er Heinrich Berann in den Achtzigerjahren zum ersten Mal in Innsbruck traf. Berann, Grafiker und Kunstprofessor, war so etwas wie der Wegbereiter der modernen Panoramakarten. In den Fünfzigerjahren schon malt der Österreicher in der Nähe von Innsbruck Übersichtsbilder für Skigebiete, darunter auch 1955 jene für Cortina D’Ampezzo in den Dolomiten, wo ein Jahr später die Olympischen Winterspiele stattfinden.

Jahrzehnte später führt Königs mit seinem Panorama-Atelier Beranns Erbe weiter, Panoramen zu schaffen, die mehr leisten als selbst das perfekteste Werbefoto: Die Bilder vermitteln einen umfassenden Eindruck von der ganzen Gegend und zeigen sie zudem von ihrer besten Seite. Schöner zumeist, als das Vorbild selbst.

Das ist nicht bloß Schönfärberei im Sinn der Touristiker, es nützt auch den Urlaubern. Denn oft genug erschließen mehrere Lifte oder Seilbahnen Berge aus unterschiedlichen Richtungen. In ebenso vielen Richtungen führen auch wieder Pisten talwärts – oft genug auch auf abgewandten Seiten. Allenfalls Senkrechtfotos wären in der Lage, alles abzubilden. Aber solchen Bildern fehlte der Höheneindruck, den Menschen brauchen, um sich zu orientieren.

Anleihen bei Picasso

Der Trick, den Maler wie Königs dann nutzen, erinnert an Picassos Frauenportraits, auf denen Gesichter teils von vorne und von der Seite gleichzeitig zu sehen sind: Genauso biegen die Künstler die Landschaft zurecht, bis sich die Flanken des Berges zur Seite öffnen und Pisten und Lifte erkennbar werden. Es ist genau diese Kunst, die Perspektiven zu verschieben und dennoch ein geografisch schlüssig wirkendes Bild zu erzeugen, derentwegen die Panoramamaler die digitale Konkurrenz nicht fürchten. Bisher jedenfalls reicht kein computergeneriertes Geländemodell, keine Google-Earth-App an den ganzheitlichen Überblick heran, den die kreativ zurechtgerückten und handgemalten Panoramen vermitteln.

Es ist ein kleiner Kreis von Spezialisten weltweit, der diese seltene Kunst pflegt. Meist haben die Maler eine stark regionale Kundschaft. So wie die Geschwister Arthur und Frédérique Novat aus Frankreich, die 2007 von ihrem Vater Pierre das Atelier Novat übernommen haben. Seit den frühen Sechzigern hatte der studierte Designer vor allem Pläne französischer Bergorte gezeichnet. Mehr als 250 waren es am Ende, seit er 1961 mit den Plan des neu eröffneten Skigebietes von Fignes gezeichnet hatte.

Glaubwürdige Manipulation

James Niehues ist so etwas wie der Pisten-Chronist der US-Skiregionen. Wer dort in einem der Top-Resorts auf die Bretter steigt, orientiert sich mit großer Wahrscheinlichkeit mithilfe von einer seiner Panoramakarten. Mehr als 250 Bilder für knapp 180 Skigebieten hat der heute 72-Jährige in den gut dreißig Jahren gemalt, seit er bei einem von Beranns amerikanischen Pendants in die Lehre ging, dem US-Kartenmaler Bill Brown. Eine von dessen Regeln, die Niehues bis heute beherzigt, ist ein Satz, der jeden klassischen Kartographen schaudern ließe: „Du darfst die Perspektiven manipulieren, aber es muss am Ende so aussehen, dass es für den Betrachter absolut glaubwürdig bleibt.“

Allzu groß ist die Nachfrage nach den Karten nicht mehr. Zeitweilig hatte der US-Maler 15 bis 20 Aufträge im Jahr. Heute sind es mitunter nur noch fünf oder sechs Panoramen. Neue Skigebiete werden weltweit nur noch selten erschlossen. Viele Regionen nutzen ihre Panoramen jahrelang, lassen Niehues nur gelegentlich ein paar Details anpassen, wenn sich bei Bahnen oder Pisten Änderungen ergeben haben. „Der Markt ist überschaubar“, sagt er, „und er trägt nicht allzu viele Künstler.“

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