Neue Billiglinie in Deutschland Warum Billigflieger auf der Langstrecke versagen

Norse Atlantic Quelle: REUTERS

Mit Norse Atlantic ist am Mittwoch in Berlin ein neuer Billigflieger auf der Langstrecke gestartet. Bisher ist das noch immer schiefgegangen. Denn auf Fernstrecken können die Preisbrecher ihre Vorteile gegenüber etablierten Linien wie Lufthansa fast nicht ausspielen.

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Björn Tore Larsen kann keiner mangelnden Mut vorwerfen. Denn der ehemalige Reeder aus Norwegen will nicht nur im krisengeschüttelten Fluggeschäft Fuß fassen. Der CEO und Mitinhaber der Norse Atlantic Airways startet seit Mittwoch von Berlin nach New York und Freitag nach Los Angeles und zwar ausgerechnet im Billigfluggeschäft auf der Langstrecke. Weitere US-Verbindungen wie Washington sowie Miami oder Fort Lauderdale in Florida sollen spätestens im kommenden Frühjahr folgen. Ob sich das lohnt, ist für ihn gar keine Frage. „Es gab nie eine besseren Zeitpunkt als diesem, um eine Airline zu starten“, jubelte der Manager, der mit der Reederei OSM eine Vermögen aufbaute. 

Das sehen nicht nur Larsen und seine Aktionäre so. Auch Play aus Island will in das Geschäft und der US-Edelbilligflieger Jetblue legte jüngst die ersten Transatlantikstrecken auf. „Ich habe immer antizyklisch investiert. Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem gute Deals möglich sind“, erzählte Larsen dem Fachmagazin Aero. Daran ändere auch die aktuelle Krise nichts, glaubt der Manager mit einem Pilotenschein für einen Jumbojet: „Schlechte Phasen zu managen, ist nicht so kompliziert.“ 

Die Fakten sprechen allerdings gegen Larsen und Co.: Die Idee der Billiglangstrecken gibt es bereits seit den Siebzigerjahren mit Laker Airways, People Express und Tower Air. Doch in keinem Sektor der Fliegerei ist die Quote der Gescheiterten größer. Von den rund zwei Dutzend Preisbrechern im Fernverkehr im Boomjahr 2018 gaben fast alle schon vor Corona auf. Dazu zählen in Europa nicht nur lange florierende eigenständige Anbieter wie Wow aus Island, Primera aus Lettland oder Norwegian aus Norwegen. Auch Tochtergesellschaften etablierter Flugkonzerne stiegen aus wie Eurowings (Lufthansa), Level (British-Airways-Mutter IAG) oder Joon (Air France-KLM). „Low Cost auf der Fernstrecke ist so ziemlich das schwierigste Geschäft unserer Branche“, sagt Alan Joyce, Chef der australischen Qantas und zuvor Chef der konzerneigenen Jetstar, die zu den wenigen Überlebenden gehört. Angesichts der aktuellen Probleme der Branche mit Personalmangel, überlasteten Flughäfen oder Flugsicherungen sowie hohen Spritpreisen ist es noch schwieriger, kommentiert ein hochrangiger Flugmanager die Pläne der fliegenden Start-ups und ergänzt.  „Es ist der Sieg der Hoffnung über die Erfahrung.“

Die Hoffnung ist bei allen, die effiziente Arbeitsweise der Discounter von der Kurzstrecke auf die Langtrecke zu übertragen. „So kommen wir auf geringere Kosten und höhere Produktivität“, sagt Lee Lik Hsin, Fracht- und Marketing-Chef bei Singapore Airlines und zuvor Leiter der Billigtochter Scoot.

Für die niedrigeren Kosten soll zum einen ein besonders geiziger Service sorgen. So kostet nicht nur jede Leistung extra – von der Verpflegung bis zum Gepäckstücken, inklusive Handkoffer –, was den Airlines Geld spart und Zusatzerträge bringt, wenn die Kunden die Dienste nachkaufen. Dank eines geringeren Sitzabstands quetschen Billigflieger bis zu zehn Prozent mehr Passagiere in ihre Flieger und können so die Betriebskosten auf mehr Kunden verteilen. Dazu bieten sie ihre Routen nicht täglich an, sondern nur an besonders nachgefragten Tagen. Das erspart den Unternehmen schlecht ausgelastete und damit defizitäre Flüge.

Dazu setzen die Discounter auf niedrigere Betriebskosten. Dafür sorgen sollen neue Flugzeuge wie Boeings 787 Dreamliner oder die Airbusmodelle A330neo und A350 mit bis zu 20 Prozent weniger Benzinverbrauch. Ihr Personal holen die Linien häufig statt aus Westeuropa aus Niedriglohnländern in Osteuropa oder Südasien. Die Landung auf kleineren oder etwas abgelegeneren Flughäfen verspricht niedrigere Gebühren und Marketingzuschüsse. Kürzerer Bodenzeiten und Flugzeiten auch spät abends oder am frühesten Morgen erlauben pro Tag mehr Flüge pro Jet. Und zu guter Letzt beschränken die Preisbrecher die eigene Belegschaft auf das Allernötigste und überlassen möglichst viel Arbeit Zulieferern, denen sie die Preise diktieren können oder auch absagen, wenn die Expansion nicht wie geplant läuft. „Wir haben das richtige Werkzeug, die richtige Unternehmensstruktur und darum die richtigen Kosten“, erklärte Björn Kjos, Chef von Norwegian als die Linie vor gut zehn Jahren in die Langstrecke startete.

Doch in der Praxis erweisen sich die Vorteile oft als Illusion. „Die Low-Cost-Philosophie wird auf der Langstrecke niemals funktionieren“, sagt Ryanair-Chef Michael O’Leary, der sich nach vielen vollmundigen Ankündigungen von einem Fernflug mit „Bed und Blowjob“ kleinlaut zurückzog. „Wer soll das schaffen, wenn selbst wir es nicht hinbekommen“; so das irische Raubein. 



Der wichtigste Denkfehler der Langstreckendiscounter ist ihre Stärke zu überschätzen und die Konkurrenz zu unterschätzen. Das beginnt bei der Gegenwehr der Etablierten. So sind auf der Langstrecke bereits viele sehr effiziente Anbieter unterwegs. Hierzu zählen einerseits Ferienflieger wie Condor, aber auch Anbieter wie Singapore Airlines sowie die staatlichen Linien Emirates aus Dubai und Qatar Airways aus dem gleichnamigen Emirat, die dank langer Erfahrung und staatlicher Hilfe extrem niedrige Kosten haben und das Vertrauen der Kunden besitzen. 

Auch Marktführer wie Lufthansa sind im Interkontinentalbereich längst deutlich stärkere Gegner als auf der Kurzstrecke, denn als Reaktion auf die Billigflieger und die Fluglinien vom Golf sowie in der Coronazeit haben die Etablierten mit vielfachen Sparprogrammen ihre Kosten deutlich gesenkt. Dadurch können Lufthansa und Co. im Wettkampf mit den Billigen die Preise senken, „und sei es auch nur, um deren Reaktion zu testen“, sagt ein Kenner der Branche. Anders als zuvor auf der Kurzstrecke gegen Ryanair und Easyjet können sich die Großen das auch leisten, weil sie ihre Flugausgaben in der Regel bereits durch die Tickets für Premium Economy, Business und First Class verdienen. 

Dazu sind die Vorteile der Billigarbeitsweise meist kleiner als erwartet. Die Benzinkosten und die neuen Flugzeuge sind inklusive Finanzierung unterm Strich ebenso hoch, wenn nicht gar höher als bei etablierten Airlines. Die Low-Cost-Firmen können Großraumjets nicht in der gleichen dreistelligen Stückzahl kaufen wie Ryanair ihre Mittelstreckenflotte. Der Vorteil durch Niedriglöhner beschränkt sich auf wenige Prozent. Niedrigere Flughafenausgaben (für Randflugzeiten etwa) scheitern meist daran, dass die Abfertigung länger dauert als erwartet und die Airports die Neulinge zwar „sehr freundlich empfangen“, wie Norse-Chef Larsen die Bedingungen des neue Berliner Flughafens BER lobte, doch bringt eine Airlines nicht das versprochenen Wachstum, müssen sie die normalen Gebühren zahlen.

Zudem bringt der knappe Service kaum mehr Erträge, weil die Kunden an Bord zurückhaltend kauften – denn wer dort zulangt, zahlt am Ende für Tickets plus Ausgaben für Koffer oder Bordcatering doch fast so viel für das Ticket bei einer etablierten Linie. Zudem empfanden viele Billigflieger-Kunden auf der Langstrecke auch die Reisezeiten mit einer Landung am späten Abend oder mitten in der Nacht als Zumutung. „Mit Norse künftig um 22 Uhr in New York zu landen und dann noch Einwanderung, Zoll und Fahrt in die Stadt vor sich zu haben ist nichts für jeden“, so ein Branchenkenner.

Wegen der höheren Kosten konnten die Billiglinien am Ende bis jetzt immer weniger Kunden mit Schnäppchen locken als gedacht. Das brachte fast alle in die Verlustzone.

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Die Gefahr ist auch Norse-Chef Larsen bewusst und er gibt sich erstmal bescheiden. „Eine neue Airline ist in jedem Fall ein sehr guter Weg, um sehr viel Geld zu verlieren“, so der Manger mit dem Pilotenschein. „Ich habe jetzt nur ein Ziel und das ist nicht Pleite zu gehen.“ Aber auch das hat sich schon jedes Billigflug-Startup vorgenommen. Und fast keines hat es geschafft.

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