Neue ICE-Züge ab 2030 Deutsche Bahn plant Ausbau ihrer ICE-Flotte

Deutsche Bahn: Taufe des neuen ICE 4. Quelle: dpa Picture-Alliance

Den miserablen Pünktlichkeitswerten zum Trotz: Die Deutsche Bahn will im Fernverkehr weiter kräftig wachsen und neue ICE-Züge bestellen. Die sollen schneller als Tempo 300 fahren – und ruckzuck wenden können.

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Die Sonne drückt aufs Vordach, ein paar Dutzend geladene Gäste warten Mitte Juli an Bahnsteig 1 des Mainzer Hauptbahnhofs auf Häppchen und Kaffee. Zwei Pfarrer der evangelischen und katholischen Kirche stehen vor einem nagelneuen ICE4 – und taufen ihn auf den Namen „Rheinland-Pfalz“. Bundesverkehrsminister Volker Wissing ist dafür extra aus Berlin gekommen, natürlich auch Bahnchef Richard Lutz. An ihrer Seite: Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Die Kirchenmänner wollten „einstimmen mit einem Bibelwort“, sagt einer der beiden. Alle Reisenden, die dieser ICE transportieren werde, würden von nun an „von Gott auf ihren Reisen behütet“. Und weiter: „Amen.“

Im hundertsten ICE4 der Deutschen Bahn geht Gott bald also an Bord. Am mangelnden Beistand von oben dürfte es also kaum liegen, dass die Deutsche Bahn seit Wochen eine miserable Leistung abliefert. Die Pünktlichkeit im Fernverkehr ist im Juni auf desaströse 58 Prozent abgesackt, obwohl es das Wetter gnädig meinte mit dem Staatskonzern.

Um bei der Verlässlichkeit wieder in die Spur zu kommen, könnte die Bahn ihren Fahrplan entschlacken – so wie auch die Lufthansa ihren Flugplan reduziert hat, um den engen Abläufen den Druck zu nehmen. Doch die Deutsche Bahn setzt auf Wachstum - auch auf Kosten der Qualität. Die Zahl der Fahrgäste schoss in diesem Jahr unerwartet stark in die Höhe. Die Bahn glaubt, das werde so bleiben. Nun will sie neue ICE für die Zeit nach 2030 bestellen. Ausschreibungsunterlagen sind draußen.

Dreyer und Wissing bei der Taufe des neuen ICE „Rheinland-Pfalz“ Quelle: dpa Picture-Alliance

Am Tauftag in Mainz lässt Bahnchef Lutz durchblicken, wie er sich die Zukunft der Deutschen Bahn kurzfristig vorstellt. „Bis Ende des Jahres werden wir 360 ICE im Einsatz haben – 100 mehr als vor fünf Jahren“. Aktuell seien etwa 32 ICE im XXL-Format im Einsatz. Die 13-teiligen Züge von Siemens könnten fast 1000 Personen transportieren. Und als Lutz in Mainz über die Zukunft des ICE-Verkehrs spricht, spricht er auch über den Deutschlandtakt: „Damit kehrt die Deutsche Bahn in die Fläche zurück.“ Auch Trier solle irgendwann an das Fernverkehrsnetz angeschlossen werden. Darüber werde er mit Ministerpräsidentin Dreyer bald sprechen. „Das verspreche ich Ihnen“, sagt Lutz an Dreyer gerichtet. Die fehlende ICE-Anbindung von Trier ist schon lange Thema zwischen Bahn und Mainzer Staatskanzlei.

Langfristig plant die Deutsche Bahn bereits für die Zeit bis 2060 – das geht aus Ausschreibungsunterlagen hervor, die der Konzern gut versteckt im Netz veröffentlicht hat. Der Konzern wolle die Fahrgastzahlen verdoppeln. „Um diese Unternehmensziele zu erreichen“, heißt es in dem Dokument, plane das Unternehmen, „zu Beginn der 2030er Jahre eine neue Hochgeschwindigkeitsflotte in den Dienst zu stellen und hat dazu das Projekt „Hochgeschwindigkeitsverkehre 3.0 (HGV 3.0)“ aufgesetzt“. Man wolle die seit Jahren laufende Modernisierung und Verjüngung sowie den Ausbau der Fernverkehrsflotte „konsequent“ fortsetzen. „Diese Fahrzeugflotte soll einen der Grundpfeiler des Hochgeschwindigkeitsverkehrs im Fernverkehr bis ins Jahr 2060 darstellen.“ Zur Vorbereitung „einer derzeitig beabsichtigten Beschaffung“ wolle die Bahn nun „zwei Unternehmen mit der Erstellung jeweils eines Fahrzeugkonzepts“ beauftragen. Die eigentliche Ausschreibung und Bestellung der Züge erfolge später.

Doch damit ist klar, wohin die Reise geht: Bei der Bahn geht es nach der Corona-Pandemie nun finanziell wieder aufwärts, wie Konzernchef Lutz am heutigen Donnertag bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen verkündet. So investiert die Bahn unabhängig von den Rekordschulden massiv in neue Züge. Dabei ist noch nicht einmal klar, wie viel Geld in den kommenden Jahren das marode Schienennetz abverlangen wird, das Bund und Bahn gemeinsam finanzieren – und derzeit vor allem die Unpünktlichkeitsprobleme verursacht. Auch die Bahn wird künftig noch mehr Geld für die Sanierung der Weichen, Gleisen und Stellwerke investieren müssen.

Beim Fernverkehr will Bahnchef Lutz aber keine Abstriche machen. Zu viel steht auf dem Spiel für die Bahn. Sowohl beim Umsatz als auch beim Image ist der ICE zentral. Und so sollen die Neuen ab 2030 aussehen: Die Bahn will „einstöckige“ Fahrzeuge bestellen. Von Doppelstockzügen wie etwa dem Intercity 2 verabschiedet sich die Bahn damit überraschend. Die würden zwar mehr Passagiere transportieren können – ein eindeutiger Vorteil gegenüber den herkömmlichen ICE-Konzepten. Doch Doppelstockzüge, heißt es bei der Bahn, hätten drei Nachteile: die Treppen, die Windanfälligkeit und ihre Unflexibilität. Die Bahn setze lieber auf kleinere Züge mit höherer Taktdichte – im theoretischen Ideal eine Art „bundesweite S-Bahn“.

Dass die Infrastruktur solche Frequenzen derzeit nicht hergeben würde, spielt im langfristigen Konzept der Deutschen Bahn keine Rolle. Stattdessen stellt sie Anforderungen an neue ICE-Züge, die sich durch ein Höchstmaß an Flexibilität auszeichnen. So sollen die Züge „mindestens 300 km/h“ schnell sein, eine „Fahrzeuglänge von maximal 400 Metern“ haben und für „eine Sitzplatzkapazität von mindestens 944 Sitzen erlaubt“ sein.

Als Einsatzgebiet schreibt die Bahn überraschenderweise nicht Europa aus, sondern „Deutschland sowie Basel SBB und Salzburg“. Unklar ist, welche Bedeutung zwei weitere Details haben: Die „Innenraumbreite“ soll „mindestens 2870 Millimeter im Bereich von 1670 bis 1815 Millimeter über Schienenoberkante“ betragen. Und: Möglich soll ein „Fahrtrichtungswechsel in 3 Minuten“ sein.

Die Deutsche Bahn plant jedenfalls mit enormem Wachstum auf der Schiene. Dass die Politik mehr Verkehr auf die Schiene verlagern wolle, sei „inzwischen gesellschaftlicher Konsens“, sagt Lutz in Mainz. Der Manager fühlt sich durch die aktuell hohe Nachfrage bestätigt. Am Tauftag des ICE sagt Lutz, wie die Fahrgäste in diesem Jahr wieder schneller zurückgekommen seien als gedacht. Das Unternehmen habe in der Spitze „20 Prozent mehr Reisende als vor Corona“. Man werde in diesem Jahr die Marke von 100 Millionen Reisenden im Fernverkehr durchbrechen. „Das Comeback“ sei „schneller und stärker als erwartet“ ausgefallen.

Halbstündige Verbindungen zwischen den Metropolen sollen auf dem Kernnetz der Deutschen Bahn künftig zum Standard gehören. Zwischen Hamburg und Berlin fahren die ICE bereits in diesem Takt. Außerdem sollen in Zukunft auch neue Verbindungen geschaffen werden. Die Deutsche Bahn hat dem Bundesverkehrsministerium eine „Ideenskizze“ zur seit 30 Jahren fehlenden Anbindung des Münchner Flughafens an den Fernverkehr vorgelegt. Diese sieht den Bau einer Spange zur bestehenden ICE-Strecke München-Ingolstadt vor, inklusive neuem Airport-Bahnhof. Geschätzte Baukosten: fünf Milliarden Euro – mindestens.

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Bis dahin muss die Deutsche Bahn ihre ICE-Flotte auf einem angespannten Netz fahren lassen. Qualitätsziele der Bahn lassen sich wegen der vielen Baustellen kaum verlässlich erreichen. Die Bahn wolle dennoch so viele Züge wie möglich fahren lassen. Bahnchef Lutz stellte schon Mitte Mai auf einer Veranstaltung in Berlin klar: „Im Zweifel mehr Wachstum als mehr Pünktlichkeit.“

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