Neue Produkte, neue Städte, Akkutausch Das haben die E-Scooter-Verleiher 2020 vor

Diverse Unternehmen verleihen mittlerweile E-Scooter. Kommt es im neuen Jahr zu einer Konsolidierung des Marktes? Quelle: dpa

Lime ist als erster E-Scooter-Verleiher in Deutschland profitabel. Andere Anbieter wollen im neuen Jahr so weit sein. Expandieren wollen fast alle. Das Geschäft mit den Rollern scheint zu laufen – trotz all der Kritik.

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Vollgestellte Gehwege, E-Scooter-Fahrer auf der Autobahn und lebensgefährliche Unfälle: Die ersten Monate der E-Scooter in Deutschland verliefen nicht gerade reibungslos. Im Juni rollten zum ersten Mal elektrische Tretroller über die Straßen, Radwege und – obwohl sie dort eigentlich verboten sind – Bürgersteige Deutschlands.

Aus dem kleinen Fahrzeug wurde allerdings schon vor der Zulassung ein Politikum. Daran hat sich auch kurz vor dem Jahreswechsel kaum etwas geändert: Die Scooter kommen in immer mehr Städte, die Kritik an den Vehikeln reißt nicht ab. Eine namhafte Jury bestimmte kürzlich für die WirtschaftsWoche das Wirtschaftswort des Jahres. „E-Scooter“ schaffte es dabei auf die Shortlist – in einer Reihe mit vermeintlich größeren Themen wie Brexit-Drama, Energiewende oder Negativzins.

Kurz vor Jahresende verkündete der Scooter-Verleiher Lime nun stolz: Das Unternehmen mache mit dem Verleihen von Scootern keine Verluste mehr. „Das gilt insgesamt und auch für die meisten der 15 deutschen Städte, in denen wir im Moment aktiv sind […]“, sagte der Lime-Deutschland-Chef, Jashar Seyfi. Im kommenden Jahr nun will das US-Unternehmen seine Logistik komplett umstellen, hat dazu allen freien Mitarbeitern, die die Roller zum Laden einsammeln, gekündigt.

Es tut sich etwas in der so jungen Branche, nicht nur bei Lime: Denn auch die anderen Verleiher planen für 2020 mit einigen Neuerungen. Mit dem deutschen Markt und seiner zum Teil aufgebrachten Bevölkerung sind jedoch alle zufrieden.

Austauschbare Akkus bei Circ

Anders als bis zuletzt Lime beschäftigt das Berliner Unternehmen Circ nach eigenen Angaben ausschließlich festangestellte Mitarbeiter. Auch Circ möchte seine Infrastruktur im kommenden Jahr umstellen. Aktuell lädt das Unternehmen seine Scooter in Lagerhallen auf, nachdem sie mit Transportern eingesammelt wurden – nachhaltig ist das nicht wirklich. Doch alle Verleiher laden ihre Roller so oder zumindest in leicht abgewandelter Form auf. Circ will das 2020 ändern: „Im kommenden Jahr wollen wir unsere Flotte flächendeckend durch Scooter mit austauschbaren Akkus ersetzen. Dann können Mitarbeiter auf Lastenfahrrädern die Akkus direkt gegen volle austauschen“, teilte Max Hüsch, Circs Deutschland-Chef, der WirtschaftsWoche mit. In Essen und München seien die neuen Scooter schon im Einsatz. „Außerdem planen wir in den Städten Container aufzustellen, in denen wir die Akkus lagern und aufladen“, sagt Hüsch.

Ob solche Container von der Bevölkerung oder den Städten besser angenommen werden als die Transporter, die Scooter aufsammeln, wird sich zeigen. Profitabilität sei im kommenden Jahr zumindest noch kein Ziel von Circ, sagt Hüsch: Selbstgebaute Scooter und festangestellte Mitarbeiter würden konsequenterweise hohe Investitionen erfordern. „Profitabilität ist im jetzigen Stadium nicht unser Ziel gewesen, sondern der nachhaltige Geschäftsaufbau mit Fokus auf operativer Effizienz, um in den nächsten Jahren profitabel zu werden.“

Dabei sollen auch neue Verkehrsmittel helfen, an denen Circ zurzeit arbeitet. Der E-Scooter sei schlichtweg der einfachste Einstieg in den Markt für Mikromobilität gewesen. „Mehr können wir zu den Fahrzeugen noch nicht sagen, etwa ob sie dann drei oder vier Räder haben werden“, sagt Hüsch allerdings.

Wer führt den deutschen Markt denn nun an?

Wie Circ arbeitet auch Tier seit kurzem mit austauschbaren Akkus. Vor wenigen Wochen hat Tier in Deutschland ein neues Scooter-Modell eingeführt. „Dies ermöglicht es uns, unsere komplette Logistik umzustellen“, teile das Berliner Unternehmen auf Anfrage mit. Für 2020 hat Tier neben dieser Umstellung noch etwas anderes vor: „Als deutsches Unternehmen wollen wir unsere Marktführerschaft natürlich verteidigen.“ Doch den Titel als „Marktführer im Bereich Elektroroller“ hatte Lime mit seinen 25.000 Rollern, die laut Unternehmen in Deutschland bereits auf 6,5 Millionen Fahrten mit einer Gesamtstrecke von knapp 12 Millionen Kilometern zurückblicken können, für sich beschlagnahmt.

Tier teilte der WirtschaftsWoche nun mit, deutlich mehr Fahrten als Lime verzeichnet zu haben – etwa 7,5 Millionen sollen es in Deutschland sein. In einer Reihe von Märkten soll Tier bereits profitabel arbeiten. Ausführlicher wolle man sich zur Wirtschaftlichkeit erst nach dem Winter äußern. Zur weiteren Expansion ließ Tier durchblicken: „Aktuell schauen wir uns jede Großstadt ab 100.000 Einwohner in Deutschland an, von denen es rund 80 gibt. Aktuell sind wir in mehr als 30 Städten in Deutschland, insofern sehen wir da noch eine Menge Potenzial.“

Bereits ab Januar 2020 möchte Tier zudem klimaneutral arbeiten. Klimaneutralität bedeutet bei Tier „unvermeidbare C02-Emissionen (durch Produktion, Fracht etc.) durch Offsetting zu kompensieren – „in der Regel durch Projekte zum großflächigen Anpflanzen von Bäumen.“ Darüber hinaus werde Ökostrom in Lagerhäusern von Tier zum Unternehmensstandard.

Voi schon 2020 profitabel?

Das schwedische Unternehmen Voi möchte sein Produktportfolio – wie auch Circ – ebenfalls erweitern und hat dafür im Herbst frisches Kapital in Höhe von 85 Millionen US-Dollar eingenommen. Hierzulande ist Voi in 14 Städten aktiv – darunter etwa München, Berlin, Düsseldorf oder Erfurt. In einigen dieser Märkte habe Voi bereits die Profitabilität erreicht, sagte Claus Unterkircher, Vois Chef für den DACH-Raum (Deutschland, Österreich und die Schweiz) der WirtschaftsWoche. „Wir haben in Deutschland große Nachfrage verzeichnet und uns deshalb für 2020 das Ziel gesetzt, die Wirtschaftlichkeit unseres Unternehmens zu festigen und vollständig profitabel zu werden“, kündigte Unterkircher an.

„Wir werden unser Voi E-Scooter-Angebot in den Städten konstant halten oder sogar ausbauen, weil wir weiterhin generell eine stark wachsende Nachfrage nach nachhaltiger Elektromobilität sehen“, so Unterkircher. Viele Menschen, die dem E-Scooter zunächst skeptisch gegenüberstanden, würden sich inzwischen zu ihrer ersten Fahrt trauen, weshalb Voi weiterhin viele neue Nutzer verzeichne.

Zaghafte Expansion bei Bird – dafür neue Fahrzeuge

Bird ist in Deutschland erst später an den Start gegangen als die anderen Anbieter. Ende August rollte das kalifornische Start-up – neben Lime eine der internationalen Branchengrößen – seine Flotte in Berlin, München, Hamburg, Frankfurt und Köln aus. Im Oktober folgte noch Düsseldorf als sechster deutscher Standort. „2020 wird ein sehr spannendes Jahr mit vielen Neuigkeiten. Wir planen natürlich auch, in neuen Städten an den Start zu gehen. Heute ist es aber noch etwas zu früh, um hier konkret zu werden“, sagte Christian Geßner, bei Bird Chef des DACH-Raums. In ein bis zwei Monaten könne er „schon deutlich mehr verraten“.

Bei der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens konnte Geßner ausführlicher Auskunft geben: „Profitabilität ist natürlich ein wichtiges Thema für uns. Deshalb haben wir bereits vor einem Jahr begonnen, uns voll auf die Profitabilität unseres Unternehmens zu konzentrieren und sie als Fokus für all unsere Aktivitäten heranzuziehen.“ Gründer und CEO Travis VanderZanden habe schon im vergangenen Sommer erklärt, dass Bird global gerechnet mit jeder Fahrt Geld verdiene, so Geßner.

„Konkret haben wir zum Ankündigungszeitpunkt durchschnittlich 1,27 US-Dollar Profit mit jeder Fahrt mit unserem Modell Bird Zero gemacht, das zu diesem Zeitpunkt 75 Prozent unserer Flotte ausgemacht hat“, sagt Geßner – alle Kosten für Laden, Reparaturen, alle lokalen Betriebskosten und die Kosten für das Fahrzeug seien eingerechnet.

Im Gegensatz zu anderen Anbietern fokussierte sich Bird nicht auf die schnelle Expansion in viele Städte, sondern arbeitetet auch an neuen Fahrzeugarten. Mit dem „Bird One“ bietet das Start-up eine neue Scooter-Generation an, die neben dem Einsatz in der Sharing-Flotte auch an Privatpersonen verkauft wird. Auf der Webseite des Unternehmens ist der E-Scooter derzeit für 999 US-Dollar zu haben, ursprünglich kostete er 1299 Dollar. Außerdem bietet das Unternehmen in seiner Flotte den fahrradähnlichen Cruiser mit zwei Sitzplätzen an und verkauft einen „herkömmlichen“ Kinder-Tretroller ohne Batterie (dafür „kid-powered“) für 129 US-Dollar.

In Deutschland ruht das Geschäft derzeit – aufgrund der kalten Jahreszeit: „Wir haben mit Anfang Dezember alle Birds in Deutschland von der Straße genommen. Bei Bird steht die Sicherheit unserer Nutzer immer im Vordergrund. Deshalb haben wir uns zu diesem Schritt entschieden“, erklärte Bird-Manager Geßner.

Nässe ausschlaggebender als Kälte

Ganz so radikale Schritte gehen die übrigen Anbieter in den kalten Monaten nicht. „Wir verstehen E-Scooter als ganzjähriges Verkehrsmittel. Deshalb nehmen wir sie im Winter auch nicht von der Straße, behalten uns das aber vor, falls wir zu hohe Risiken für unsere Kunden sehen – etwa bei Blitzeis. Außerdem steuern wir die Flottengröße dynamisch, falls wir eine geringere oder höhere Nachfrage als erwartet sehen“, sagte Circ-Deutschlandchef Max Hüsch.

Auch Tier behalte sich vor, den Betrieb nur bei riskanten Wetterlagen einzustellen: „Wir stellen uns darauf ein, dass es im Winter weniger Nutzer werden, aber immer noch so viele, dass wir den Betrieb regulär aufrechterhalten. Aus anderen Ländern wissen wir, dass Kälte weniger ausschlaggebend ist als Nässe“, teilte das Unternehmen mit. Die neuen Scooter mit den austauschbaren Akkus würden außerdem „mit einem größeren Vorderrad, Hinterradantrieb und einem höheren Gewicht für bessere Bodenhaftung“ sorgen. Außerdem sei das Licht nun heller – und damit an die dunkle Jahreszeit angepasst.

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