
Wer heute Nachmittag Air-Berlin-Mitarbeiter auf den Chefwechsel ansprach, spürte erstmal wenig Aufbruchsstimmung. „Die gute Nachricht ist, unser Ex-Chef Hartmut Mehdorn kommt nicht zurück“, so ein Manager der Airline. An die Regentschaft des Ex-Bahnchefs hat er keine guten Erinnerungen.
Ansonsten herrscht in der Konzernzentrale von Deutschlands zweitgrößter Fluglinie erstmal Ratlosigkeit. Denn der plötzliche Wechsel von Wolfgang Prock-Schauer zu Stefan Pichler zum 1. Februar kommenden Jahres traf die gut 8000 Mitarbeiter völlig unvorbereitet.
Die Chronik von Air Berlin
Vor 38 Jahren hob der erste Air-Berlin-Flieger ab. Alles begann mit alliierten Sonderrechten zur Landung im geteilten Berlin. Nach der Wende wuchs Air Berlin zur Nummer Zwei am Himmel über Deutschland heran, doch dann folgte eine jahrelange Krise.
1978: Gründung als Chartergesellschaft durch den Ex-Pan-Am-Pilot Kim Lundgren. Erstflug am 28. April 1979 von Berlin-Tegel nach Mallorca. Die Flotte umfasst zwei Maschinen.
1991: Im April kauft der LTU-Manager Joachim Hunold die Mehrheit der Anteile. Es gibt kurz darauf 15 Flüge pro Tag. Air Berlin expandiert und stationiert zunehmend auch Flugzeuge auf Regionalflughäfen.
1998: Mit dem Mallorca Shuttle Einstieg ins Linienfluggeschäft.
Einstieg zu 25 Prozent bei der österreichischen Fluggesellschaft Niki des früheren Rennfahrers Niki Lauda.
Börsengang und Kauf der Fluggesellschaft dba.
Kauf des Ferienfliegers LTU, damit auch Interkontinentalflüge.
Air Berlin rutscht in die roten Zahlen, legt das erste Sparprogramm auf: Strecken fallen weg, Flugzeuge werden ausgemustert. Die Übernahme des Ferienfliegers Condor scheitert.
Air Berlin kündigt für 2012 den Eintritt in das Luftfahrtbündnis Oneworld an.
Hunold wirft das Handtuch, Hartmut Mehdorn übernimmt. Ein weiteres Sparprogramm soll das operative Ergebnis um 200 Millionen Euro verbessern. 18 der 170 Maschinen werden verkauft.
Die arabische Staatsairline Etihad erhöht ihren Anteil von knapp 3 auf 29,2 Prozent und stützt die Airline mit einem 255-Millionen-Dollar-Kredit. Ein neues Sparprogramm beginnt. Der Verkauf des Vielfliegerprogramms an Großaktionär Etihad bringt nur vorübergehend wieder schwarze Zahlen.
Wolfgang Prock-Schauer wird Vorstandschef und verschärft das von Mehdorn im Vorjahr aufgelegte neue Sparprogramm. Jeder zehnte Arbeitsplatz fällt weg, die Flotte schrumpft auf 142 Maschinen.
Im Februar löst Stefan Pichler den glücklosen Prock-Schauer ab. Air Berlin macht 447 Millionen Euro Verlust - so viel wie nie.
Nach einem juristischen Tauziehen kann Air Berlin den größten Teil der wichtigen Gemeinschaftsflüge mit Etihad weiter anbieten. Die Zahlen bessern sich nicht. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Mit einem tiefgreifenden Umbau und der Streichung von bis zu 1200 Arbeitsplätzen will Air Berlin seine Krise überwinden.
Air Berlin bekommt einen neuen Chef. Der Lufthansa-Manager und früheren Germanwings-Chef Thomas Winkelmann wird Vorstandschef. Air Berlin führt ihren Flugbetrieb in zwei getrennten Geschäftsfeldern weiter: Langstreckenflüge und Städteverbindungen in Europa werden zusammengefasst, Urlaubsflüge unter der Marke Niki geführt. Lufthansa erklärt sich bereit, Air Berlin zu übernehmen, wenn der Großaktionär Etihad zuvor die Schulden übernähme.
Air Berlin meldet Insolvenz an. Zuvor hatte Etihad seine finanzielle Unterstützung eingestellt. Ein 150-Millionen-Euro-Kredit des Bundes soll den Flugbetrieb zunächst sichern.
Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet am 27. Oktober 2017 um 23.45 Uhr der letzte Air-Berlin-Flieger dort. Die Zukunft der Angestellten und vieler Unternehmensteile ist zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss.
Gerade hatte Prock-Schauer intern die ersten Züge seiner Neuausrichtung angekündigt und wollte seine Pläne in den kommenden Wochen vorstellen. Trotzdem berief sein Verwaltungsrat um den Großaktionär Etihad Pichler zum neuen Air-Berlin-Chef. Prock-Schauer sinkt am 1. Februar zum Chefstrategen des Unternehmens herab und muss seinen Vorstandssitz aufgeben.
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Einer der auffälligsten Manager der Flugbranche
Pichler gehört zu den auffälligsten Managern der Flugbranche. Doch für den Job in Berlin hatte ihn wohl keiner mehr auf der Liste. Zwar fiel der Name des 56-Jährigen immer wieder, nicht zuletzt weil er sich immer auch im Gespräch hielt. Doch am Ende wurde da nichts daraus.





„Ich wurde drauf angesprochen“, erklärte er Ende 2013 in einem Interview auf der führenden Flugwebsite airliners.de. „Aber ich glaube nicht mehr, dass ich in diese deutsche Welt hineingepasst hätte. Dazu ist mir das Europa mittlerweile ein bisschen zu eng, und ich bin wahrscheinlich den deutschen Konzernsoldaten aufgrund meiner persönlichen Unabhängigkeit etwas suspekt.“
Stattdessen schien sich der passionierte Marathon-Läufer arrangiert zu haben mit seinem Abschied aus Europa - nicht zuletzt dank seines Traumjobs als Chef der nationalen Fluglinie der Fidschi-Inseln.
Doch wer Pichler näher kennt, konnte sich ihn kaum als beschaulichen Frührentner vorstellen. Sicher, er fiel zuletzt mit Fotos im offenen Hemdkragen und vor traumhaften Hintergründen auf. Doch wer diese Bilder und erst recht das erste offizielle Foto von Air Berlin genau ansieht, entdeckt unter der Bräune immer noch den alten Kämpfer.