China-Flieger auf Jungfernflug
Dass sein Flugzeug abheben würde, davon ist Bao Huangli überzeugt. Er steht in der Produktionshalle des Comac C919. Es ist ein Tag vor dem Jungfernflug der neuen Maschine. Bao trägt einen blauen Arbeitspulli mit dem Logo seines Arbeitgebers darauf. Hinter ihm fräsen Arbeiter auf einem Stahlgerüst am Rumpf eines Flugzeuges. Seit über acht Jahren fiebert er mit seinen Kollegen auf diesen Tag hin.
Bao Huangli ist Projektleiter eines von Chinas größten Prestigeprojekten: seinem erstem Mittelstreckenjet. Mit dem C919 will das Land der Welt beweisen, dass es nun auch in der Luftfahrtindustrie mit dem Ausland mithalten kann. Und langfristig die Dominanz der beiden Giganten Airbus und Boeing brechen.
Der chinesische Luftverkehr wächst rasant. Mit der schnell wachsenden Wirtschaft steigt auch die Zahl der Flugpassagiere. 2024 soll China der größte Flugzeugmarkt der Welt sein. Dafür investiert Peking in den kommenden Jahren knapp 12 Milliarden Dollar in neue Flughäfen und kauft hunderte neue Flugzeuge.
Ein eigenes Programm sei nur logisch, sagte Präsident Xi Jinping über die Bemühungen. „Wir haben lange gedacht, es sei besser zu kaufen, als selbst zu bauen.“ Das sei ein Fehler gewesen. „China muss investieren, um sich vom Ausland unabhängig zu machen.“
Bao Huang Li arbeitet für den staatlichen Flugzeughersteller Comac, der den Traum Chinas von einer eigenen Flugindustrie wahr machen soll. Er steht in der Halle, in der gerade die zweite Maschine der neuen Linie gebaut wird. Die Fabrik liegt rund eine Stunde außerhalb von Shanghai, einige Kilometer entfernt vom größten Flughafen der Stadt Pudong. Man kommt nur mit spezieller Genehmigung auf das Gelände, Handys sind verboten.
Im Zentrum der Halle hängt eine chinesische Flagge, die über zehn Meter breit ist und fast bis zur Decke reicht. Daneben prangen kommunistische Parolen wie der Appell, für das Land „Bitternis über einen langen Zeitraum ertragen“ zu lernen.
Der chinesische Staatsrat, das höchste politische Gremium im Land, hat den Bau der neuen Maschine 2007 in Auftrag gegeben. Nach einiger Verspätung – eigentlich sollte der Flieger bereits 2014 fertiggestellt werden – ist das Flugzeug zehn Jahre später endlich startbereit. „Unsere größte Schwierigkeit ist, dass wir noch nicht so viel Erfahrung im Flugzeugbau haben“, sagt Projektleiter Bao. Erst einmal produziere man deshalb sechs Testflugzeuge, bevor das Modell 2019 in Serie gehen soll.
Konkurrenz für Airbus und Boeing
Auch wenn die chinesischen Staatsmedien den Jungfernflug wie einen Durchbruch feiern: Der Flieger ist noch lange kein rein chinesisches Produkt. Der Bau von Passagierflugzeugen ist eine schwierige Sache: Heck und Flügel stammen zwar aus China, dazu wurden viele Werkstoffe aus dem Land geliefert.
Ein Großteil wird aber immer noch von ausländischen Zulieferern gebaut. Darunter die Motoren von CFM International sowie die Lüftungssysteme, die von dem deutschen Luftfahrtzulieferer Liebherr Aerospace hergestellt werden.
Nicht ohne Grund hat Peking die Hersteller Boeing und Airbus dazu gezwungen, mit Comac Fabriken für die Endmonate ihrer Flugzeuge zu betreiben, wenn sie Flugzeuge nach China verkaufen wollen. Normalerweise ein Versuch Chinas, an Technologie der ausländischen Unternehmen zu kommen. Langfristig soll an den Fliegern von Bao alles Made in China sein. Dafür hat Peking im vergangenen Jahr auch einen eigenen Hersteller für Triebwerke gegründet. „Wenn das Unternehmen so weit ist, werden wir unsere eigenen Antriebe verwenden“, kündigt Bao an. „Bis 2025 sollen 95 Prozent der Teile aus China stammen.“
Live im Fernsehen übertragen und unter dem Jubel hunderter Zuschauer hob die Maschine C919 am Freitag in Shanghai ab. Das Flugzeug hat eine Reichweite von bis zu 5555 Kilometern und kann 174 Passagiere transportieren. Damit greift Comac die Flugzeuge A320 von Airbus und die Boeing 737 an, zwei der meistverkauften Flugzeugtypen der Welt, die in dem absatzstärksten Flugzeugsegment der Branche eingesetzt werden.
Ob der Flieger wirklich eine Konkurrenz zu Boeing und Airbus wird, bleibt abzuwarten. Er ist voraussichtlich nicht günstiger als die Konkurrenz, könnte aber den Druck auf ausländische Hersteller erhöhen.
Denn selbst wenn die internationalen Maschinen besser sind, werden die nationalen Fluggesellschaften in China in Zukunft auf die Eigenmarke setzen. Die meisten Fluggesellschaften in China sind staatlich, der Rest wird sich keinen mangelnden Patriotismus vorwerfen lassen wollen. Laut der Internationalen Luftfahrtorganisation könnte Comac so in den kommenden Jahren bis zu 6000 Flugzeuge absetzen. Dann auch mit anderen Modellen.
Bereits vor dem Jungfernflug hat der staatliche Flugzeugbauer 570 Flugzeug-Bestellungen von 23 chinesischen Fluggesellschaften entgegengenommen. In Europa ist der Flieger noch nicht zugelassen. Ähnlich wie bei dem Regionaljet ARJ21, der seit vergangenem Jahr in China am Himmel unterwegs ist, fehlen für den neuen Flieger die entsprechenden Genehmigungen im Ausland.