Niedrigerer Preis, höherer Komfort Wie Wettbewerb auf der Schiene gelingen kann

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Den Tempovorteil voll ausfahren

Zwar sind gerade 1000 der 16700 Schienenkilometer Landes für Hochgeschwindigkeitszüge ausgebaut. Doch da kommt Italien die günstige geographische Lage zu Gute und die Verpflichtung auf ein Prinzip: Mach es einfach.

Das Schnellzug-Netz ist wie das Land in T-Form angeordnet. Im wesentlichen zwei Schnellstrecken – eine von Turin im Westen nach Venedig im Osten und eine von Mailand im Norden nach Neapel im Süden – teilen das Land auf. Sie laufen in Mailand zusammen. Von dort aus erstrecken sich sämtliche Schnellverbindungen. So ist ein effizientes, aber auch umfangreiches Angebot möglich. Denn von den zwei Zentralachsen lassen sich über kurze Zufahrtswege nahezu beliebig viele weitere Orte anbinden.

Das deutlich schwierigere Vorhaben war die Reform der FS. Ein Koloss, in dem unzählige Menschen für unzählige Dinge verantwortlich waren. Aber niemand wusste, wer für was genau. Das änderte Ministerpräsident Prodi.

Der Konzern blieb in Staatshand. Allerdings wurde eine Holding geschaffen, unter deren Dach weitere Töchter unabhängig voneinander das Tagesgeschäft betreiben. Die Infrastrukturtochter baut und betreibt Gleise, die Fernverkehrstochter lässt Züge rollen, die Cargo-Tochter die Fracht und mehrere Regionaltöchter den Vor-Ort-Verkehr.

Dazu schuf die Regierung eine mächtige Eisenbahnaufsicht. Während die Aufsicht über die Bahn in Deutschland wenig effektiv aufgeteilt ist zwischen Eisenbahnbundesamt (für die Technik) und Bundesnetzagentur (wo es nur eine von vielen Aufgaben ist), entstand in Italien eine schlagkräftige Behörde. Diese gilt als unabhängig und durchsetzungsstark. Sie arbeitet nicht nur bei Beschwerden von Passagieren oder privaten Zuganbietern, sondern kann auch selbst aktiv werden.

Die Behörde legt nicht nur Trassengebühren für alle Anbieter fest, sondern entscheidet auch über die Slots auf den Schienen, sodass alle gleiche Nutzungsrechte haben. Und sie kann auf eigenen Antrieb ermitteln, wenn sie Mauscheleien vermutet. Zudem hat sie neben dem Wettbewerb als gleichrangiges Ziel den Nutzen für die Verbraucher verankert.

Zudem trennt der Staat die Infrastruktur in zwei Teile. Das lässt sich allmorgendlich gegen 10 Uhr am Mailänder Hauptbahnhof verfolgen: Ein EuroCity der Schweizer SBB und ein Frecciarossa der Trenitalia setzen sich nahezu gleichzeitig in Richtung Venedig in Bewegung. Etwa eine viertel Stunde lang fahren beide parallel, dann zieht der Italiener davon. Er wird gut 40 Minuten früher als der Eurocity in Venedig sein. Denn er nutzt eine eigens ausgebaute Schnelltrasse, die Schweizer haben das „normale“ Schienennetz gebucht. So ist es überall auf den zwei Hauptachsen: Schnellzüge und alle anderen Züge fahren getrennt.

Was zu einer Zweiklassengesellschaft führt, hat aus Sicht der Schnellzugbetreiber einen großen Vorteil: Weil keine langsameren Züge stören, können sie ihren Tempovorteil voll ausfahren.

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