Als der Vertrag über 2,5 Milliarden Euro im Prinzip unterschrieben ist, überkommt Luca Cordero di Montezemolo kurz Wehmut. Der 70-Jährige, der über Jahre den italienischen Sportwagenbauer Ferrari führte, neigt eigentlich nicht zu Sentimentalitäten. Große Gefühle in der Öffentlichkeit sind auch nicht das Ding von Italiens Industrie-Ikone. Aber die Situation ist eben eine besondere.
Und so wirkt di Montezemolo ungewöhnlich ergriffen, als er an die Anfänge seines jüngsten Erfolgs erinnert. „Ich weiß noch“, sagt er, „als ich damit zum ersten Mal zu Diego Della Valle und er mich für verrückt erklärte.“
Mehr als zehn Jahre ist das nun her – und di Montezemolos Anliegen an seinen Freund und Todd’s-Gründer Della Valle war tatsächlich verrückt: Er wollte Geld von dem Luxus-Unternehmer, damit sie für gut eine Milliarde Euro Europas ersten privaten Schnellzuganbieter gründeten. Das hatte noch nie ein privater Unternehmer irgendwo auf der Welt versucht. „Am Ende war es einzig Freundschaft, weswegen er zustimmte“, sagt di Montezemolo der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera.
Hochgeschwindigkeitszüge in anderen Ländern
In Italien konkurrieren zwei Anbieter von Schnellzügen um die Kunden. Neben der Staatsbahn Trenitalia gibt es seit 2012 auch die privaten Italo-Züge. Italo bedient mit seinen schnellen und modernen Zügen des französischen Konzerns Alstom weniger Strecken als Trenitalia, setzt aber vor allem auf Komfort und Service. So gibt es in der ersten Klasse Essen am Platz, dazu kommen Wlan und die Möglichkeit eines eigenen Unterhaltungsprogramms. Trenitalia hat vor kurzem seinen neuen Frecciarossa 1000 präsentiert, der bis zu 400 Stundenkilometer schnell fährt. Die Freccia-Züge setzen eher auf gute Verbindungen, hohe Geschwindigkeit und wenige Haltepunkte. In den Schnellzügen beider Anbieter gilt generell eine Reservierungspflicht.
In Spanien hebt das staatliche Eisenbahnunternehmen Renfe vor allem die Pünktlichkeit der mit Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 310 Stundenkilometern fahrenden Schnellzüge hervor. Ab Herbst sollen die Waggons zunächst auf der Strecke zwischen Madrid und Barcelona mit Wlan ausgestattet werden. Der Hochgeschwindigkeitszug AVE hat im Juli 1,84 Millionen Reisende transportiert und damit einen neuen Rekord aufgestellt. Mit einem Streckennetz von knapp 3150 Kilometern ist das AVE-System im europäischen Highspeed-Sektor führend. In den kommenden Jahren soll das Netz für rund zwölf Milliarden um weitere 1850 Kilometer erweitert werden. Geplant sind außerdem 30 neue Züge im Wert von 2,65 Milliarden Euro.
In Frankreich soll 2022 eine neue Generation des Hochgeschwindigkeitszugs TGV in Betrieb gehen. Das Modell wird vom Bahnkonzern SNCF und dem Siemens-Rivalen Alstom gemeinsam entwickelt. Der neue TGV soll billiger und sauberer werden und in der Anschaffung sowie im Betrieb mindestens 20 Prozent günstiger sein. Geplant ist außerdem, den Energieverbrauch um mindestens ein Viertel zu senken. Der erste TGV ging 1981 an den Start und war der Vorreiter der Hochgeschwindigkeitszüge in Europa. Er verbindet die wichtigsten Städte des Landes. Die mehr als 400 Kilometer von Paris bis Lyon schafft er mit teilweise über 300 Stundenkilometern in rund zwei Stunden.
Der wohl bekannteste Schnellzug in Großbritannien ist der Eurostar, der Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 320 Kilometern pro Stunde erreichen kann. Seit Ende 2015 ist das Modell e320 von Siemens im Einsatz und verbindet London, Paris und Brüssel. Auf der Hochgeschwindigkeitstrasse High Speed 1 (HS 1) zwischen London und dem Eurotunnel fährt aber auch der sogenannte Class 395 „Javelin“ der britischen Eisenbahngesellschaft Southeastern Railway, der 225 Stundenkilometer erreicht. Gestritten wird wegen hoher Kosten über eine Nord-Süd-Trasse (HS 2) zwischen London, Birmingham, Sheffield, Manchester und Leeds. Der Bau der Strecke soll 2017 beginnen - das Parlament hat aber bisher nur für einen Teil grünes Licht gegeben.
In Polen setzt die Staatsbahn PKP auf Schnelligkeit und Komfort. Für umgerechnet etwa sieben Milliarden Euro ließ das Unternehmen seit 2012 Schienennetz, Bahnhöfe und Züge erneuern. Zum Modernisierungsprogramm gehört etwa der Kauf der elektrischen Triebzüge ED250 Pendolino des Herstellers Alstom. Sie erreichen eine Höchstgeschwindigkeit von 250 Stundenkilometern. Für eine bequeme Reise sorgen ausziehbaren Sitze, individuelle Beleuchtung und Steckdosen an jedem Platz. Diesen Komfort in der Kategorie Express InterCity Premium (EIP) soll sich mittels Frühbucherrabatten jeder leisten können. Tickets gibt es ab umgerechnet 11 Euro. Ein Imbiss und sowie ein Getränk an Bord sind im Preis inbegriffen.
Japans derzeit schnellster Zug ist der Shinkansen. Da der Eisenbahnbetrieb auf nationaler Ebene seit den 1980er Jahren privatisiert ist, gibt es mehrere Betreiber für die Hochgeschwindigkeitszüge. Die meist befahrene Strecke zwischen Tokio und Osaka fällt unter die Zuständigkeit des Bahnunternehmens JR Tokai. Dieses verfolgt angesichts des immer heftigeren Konkurrenzkampfes mit Billigfliegern die Ziele, schneller, komfortabler und sicherer zu werden, ohne dabei die Preise zu senken. Mit einem neuen Bremssystem sollen die rund 130 Züge zudem mit einer Höchstgeschwindigkeit von 285 km pro Stunde fahren können.
Das hat sich für Della Valle gelohnt. Zusammen mit di Montezemolo und einigen weiteren Aktionären hat ihm das Investment zur Gründung des weltweit ersten privaten Schnellzuganbieters, Ntv, in diesen Tagen eine hübsche Rendite beschert. Die Global Infrastructure Partners (GIP), der weltgrößte Investmentfonds in Infrastruktur, kaufen für 2,5 Milliarden Euro Ntv. Und untermauern mit dieser Summe, was lange als unmöglich galt: Wettbewerb im Hochgeschwindigkeitssegment auf der Schiene ist möglich.
Genau das ist in Italien passiert: Ein staatlicher und ein privater Schnellzuganbieter liefern sich einen Wettbewerb um Kunden. Neben Ntv den Italo betreibt auch der Staatskonzern Ferrovie dello Stato (FS) über seine Tochter Trenitalia mit den Le Frecce (die Pfeile) ein erfolgreiches Schnellzugsystem.
Warum aber klappt der Wettbewerb ausgerechnet in Italien und in den anderen EU-Ländern nicht? Nun, die grundsätzlichen Rahmenbedingungen sind denen in Deutschland ähnlich. Allerdings gibt es drei Unterschiede: Der Staat war entschlossen, die Infrastruktur für ein intelligentes und effizientes Hochgeschwindigkeitsnetz zu schaffen. Zwei Unternehmer hatten den Mut, für mehr Wettbewerb ins Risiko zu gehen. Und anders als die Deutschen rieb man sich nicht in Phantomdebatten über Börsengänge oder Zerschlagungsphantasien der Staatsbahn auf, sondern schaffte Strukturen für mehr Wettbewerb.
Geld und Macht
Als das Wunder 2007 mit der Idee zweier Unternehmer begann, hatte gerade der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident Romano Prodi den Zugmarkt liberalisiert. Er war zuvor EU-Kommissionspräsident gewesen, mit dem Thema in Brüssel am Widerstand in anderen Ländern gescheitert und wollte nun wenigstens daheim mit gutem Beispiel vorangehen.
Dazu benötigte er zwei Dinge: Geld und neue Strukturen bei der Staatsbahn. Für das eine braucht es politischen Willen, für das andere politische Durchsetzungsfähigkeit. Beides kam im Fall der Züge zusammen. Italiens Regierung verpflichtete sich auf ein Investitionsprogramm zum Ausbau der Schnellzugstrecken im Land. 32 Milliarden Euro flossen allein seit 2007 in den Ausbau dieser Strecken.