




Die EU-Kommission ist im Angriffsmodus. In dem Schriftsatz, den Tim Maxian Rusche für die Kommission beim Europäischen Gericht (EuG) in Luxemburg einreicht, teilt sie kräftig gegen den Verein Ja zum Nürburgring e.V. aus. Der hat wegen des Verkaufs des Nürburgrings vor dem EuG Klage gegen einen Beschluss der Kommission erhoben, der den Verkauf als europarechtskonform absegnet. Eine zweite Klage gegen denselben Beschluss kommt vom US-Technologieunternehmen Nexovation.
In der Klage von Nexovation, schreibt Rusche nun für die Kommission an das Gericht, sei „eine neue Tatsache enthalten, welche Ja zum Nürburgring e.V. in ihrer Klageschrift verschwiegen hat“. In einem Gerichtsverfahren wesentliche Tatsachen zu unterschlagen, ist ein heftiger Vorwurf. Die Kommission haut weiter auf die Pauke: Die verschwiegene Tatsache sei „nach Ansicht der Kommission möglicherweise von entscheidender Bedeutung für die Zulässigkeit der Klage.“
Das Nürburgring-Desaster
Die Rennstrecke in der Eifel ist seit Jahren ein Millionengrab. Die Nürburgring GmbH ist seit 2006 bilanziell überschuldet, kann sich nur dank immer neuer Landes-Millionen bis zur Insolvenz im Juli 2012 über Wasser halten. Zum Zeitpunkt des Bankrotts ist das Land Rheinland-Pfalz mit 90 Prozent Haupteigentümer, zehn Prozent gehören dem Landkreis Ahrweiler. Größtes Problem der Nürburgring GmbH ist ein kostspieliger Formel-1-Vertrag, den der frühere Geschäftsführer Walter Kafitz (SPD) mit Bernie Ecclestone ausgehandelt hat. Alleine die Formel 1 reißt von 2003 bis 2011 ein Loch von rund 70 Millionen Euro in die Kasse. Auch mit Experimenten wie einem Offroad Park oder einer Motorradwelt versenkt Kafitz viel Geld. Dabei ist der Kernbereich – die legendäre Nordschleife von 1927 sowie der moderne, 1984 erbaute Grand-Prix-Kurs – durchaus profitabel zu betreiben.
Um aus den Miesen zu kommen wollen Geschäftsführer Kafitz und die damalige SPD-Alleinregierung von Kurt Beck mit dem riesigen Freizeit- und Businesszentrum „Nürburgring 2009“ zusätzliche Besucher anlocken. Die Einnahmen sollen die Verluste aus der Formel 1 decken und den Nürburgring unabhängiger vom Motorsportgeschäft machen. Der Park besteht aus zwei Bauabschnitten: Die Nürburgring GmbH baut ein Erlebniszentrum mit Rennsportmuseum (Ringwerk), einer Achterbahn, überdachter Shoppingmeile (Boulevard) sowie zwei Veranstaltungshallen. Der zweite Abschnitt, entwickelt von der Düsseldorfer Firma Mediinvest, umfasst zwei Hotels mit Personalwohnhaus, einen Ferienpark und das Eifeldorf „Grüne Hölle“, in dem sich eine Disco und diverse Restaurants befinden. Kritiker wie der gemeinnützige Verein „Ja zum Nürburgring“ (in dem unter anderem die Automobilclubs ADAC und AvD organisiert sind) oder die Bürgerinitiative „Wir sind Nürburgring“ verspotten die Neubauten als „Kirmes“.
Die Kosten für die 2009 eröffneten Neubauten steigen von ursprünglich geplanten 215 auf 330 Millionen Euro. Der erste Bauabschnitt soll zur Hälfte, der zweite komplett privat finanziert werden. Bei der Suche nach Investoren für den ersten Bauabschnitt fallen Land und Nürburgring GmbH aber auf dubiose Finanzvermittler herein, die ihnen Interesse schwer reicher amerikanischer und arabischer Investoren vorgaukeln, aber nicht mehr liefern können als ungedeckte Schecks. Die für den zweiten Bauabschnitt zuständige Firma Mediinvest von Kai Richter erhält 85,5 Millionen Euro an stillen Beteiligungen von der Rheinland-Pfälzischen Gesellschaft für Immobilien und Projektmanagement mbH (RIM), einer Tochter der landeseigenen Investitions- und Strukturbank (ISB). Wegen der Investitionen des Landes leitet die EU-Kommission im März 2012 ein Beihilfeverfahren ein.
Finanzminister und Nürburgring-Aufsichtsratschef Ingolf Deubel (SPD) tritt nach dem Platzen der Schecks im Juli 2009 zurück. Wirtschaftsminister Hendrik Hering und Deubels Nachfolger Carsten Kühl (beide SPD) erarbeiten vor der Landtagswahl 2011 ein „Zukunftskonzept“. Die landeseigene ISB vergibt auf Anweisung des Landes einen Kredit über 330 Millionen Euro; den Betrieb des kompletten Parks inklusive der Rennstrecken verpachtet die Nürburgring GmbH an die private Nürburgring Automotive GmbH (NAG), je zur Hälfte im Besitz von Kai Richters Mediinvest und der Düsseldorfer Lindner-Hotelgruppe. Im Februar 2012 kündigt das Land den Betreibern wegen ausstehender Pachtzahlungen. Die Pächter wiederum werfen dem Land vor, vertraglich vereinbarte Zuschüsse des Landes nicht erhalten zu haben.
Die erhofften Besuchermassen bleiben aus und die Pachtzahlungen reichen bei Weitem nicht aus, um die Kosten der Nürburgring GmbH zu decken. Am 18. Juli 2012 trifft das Kabinett die Entscheidung, die landeseigene Nürburgring GmbH in die Insolvenz zu schicken. Dafür wählt das Land eine Insolvenz in Eigenverwaltung: Es bestellt den Trierer Rechtsanwalt Thomas Schmidt zum Sanierungsgeschäftsführer, als Überwachungsinstanz wird mit dem Koblenzer Juristen Jens Lieser ein Sachwalter installiert. Diese legen den Streit mit den Pächtern später in einem Vergleich bei, der Pachtvertrag wird Ende 2012 aufgehoben. Für den weiteren Betrieb gründen die Insolvenzverwalter die Nürburgring Betriebsgesellschaft mbH, eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Nürburgring GmbH, und verpachten das Geschäft an diese weiter. Das Land als größter Gläubiger hat insgesamt mehr als 600 Millionen Euro an offenen Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet.
Nach der Insolvenz beantragt die CDU-Opposition im Landtag ein Misstrauensvotum gegen Kurt Beck. Der hatte bei der Landtagswahl 2011 die absolute Mehrheit verloren und regiert inzwischen mit den Grünen. Die hatten das Nürburgring-Projekt im Wahlkampf scharf kritisiert, besonders ihre Spitzenkandidatin Eveline Lemke. Bei der Abstimmung im Landtag aber stehen die Grünen fest an Becks Seite, er übersteht das Misstrauensvotum. Rund zwei Monate später kündigt er seinen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen an. Seine Nachfolgerin Malu Dreyer hält lange an Finanzminister Kühl sowie Hering fest, letzterer war nach der Landtagswahl 2011 aus dem Wirtschaftsministerium an die Spitze der SPD-Fraktion gewechselt. Nach einem vernichtenden Sondergutachten des Landesrechnungshofs, wonach das Zukunftskonzept von Vornherein zum Scheitern verurteilt war, verliert im November 2014 auch Kühl im Zuge einer großen Kabinettsumbildung seinen Posten als Finanzminister, Hering tritt als Fraktionschef zurück. Der seit der Wahl 2011 für den Nürburgring zuständige Innenminister Roger Lewentz (SPD) darf bleiben.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz klagt den zurückgetretenen Finanzminister Deubel 2012 wegen Untreue an, mit ihm müssen sich Ex-Geschäftsführer Kafitz sowie weitere Manager des Nürburgrings und der landeseigenen Förderbank ISB vor dem Landgericht Koblenz verantworten. Deubel erhält im April 2014 eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren, Kafitz wird zu einem Jahr und sieben Monaten verurteilt. Gegen das Urteil hat Deubel Revision eingelegt, diese liegt derzeit beim Bundesgerichtshof. Gegen Mediinvest-Chef Kai Richter ermittelt die Staatsanwaltschaft jahrelang mit teils hohem Aufwand wegen verschiedener Vorwürfe, kann ihm aber nicht einen einzigen davon nachweisen. Ende 2014 muss die Behörde die Ermittlungen gegen Richter ergebnislos einstellen.
Im Mai 2013 starten die Insolvenzverwalter mit Unterstützung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG den Verkaufsprozess für den Nürburgring. Am 11. März 2014 gibt der Gläubigerausschuss der Nürburgring GmbH auf Empfehlung der Insolvenzverwalter und KPMG den Zuschlag an ein Bietergespann aus dem Düsseldorfer Automobilzulieferer Capricorn und der Motorsportfirma Getspeed aus Meuspath am Nürburgring. Das Gespann hatte ein Angebot über 77 Millionen Euro vorgelegt, von denen 15 Millionen Eigenkapitalanteil bis Ende 2014 in drei Raten zu je fünf Millionen Euro zu zahlen sind. 45 Millionen Euro sollen als Fremdkapital von der Deutschen Bank kommen; dieser Anteil ist fällig, sobald ein bestandskräftiger Bescheid der EU-Kommission vorliegt, dass der Verkauf europarechtskonform ablief. Elf Millionen des Kaufpreises sind gestundet und in Raten abzustottern, sechs Millionen werden pauschal als Jahresüberschuss 2014 angerechnet.
Der europarechtskonforme Verkauf ist wegen des Beihilfeverfahrens erforderlich, der Verkauf muss somit transparent und diskriminierungsfrei ablaufen. Nur wenn die europarechtlichen Vorgaben eingehalten werden, gehen die Beihilfen nicht auf den Käufer über. Andernfalls müsste der Käufer für die Beihilferückforderung haften, für diesen Fall ist im Kaufvertrag jedoch ein Rücktrittsrecht zugunsten des Käufers vereinbart. Am 1. Oktober 2014 stellt die EU-Kommission fest, dass rund eine halbe Milliarde Euro an unzulässigen Landesbeihilfen in den Nürburgring geflossen sind. Den Verkauf an Capricorn und Getspeed stuft die Kommission dagegen als europarechtskonform ein. Unterlegene Bieter wie der US-Finanzinvestor H.I.G. Capital oder das amerikanische Technologieunternehmen Nexovation sehen sich dagegen rechtswidrig benachteiligt.
Capricorn kann schon die zweite Eigenkapitalrate über fünf Millionen Euro Ende Juli 2014 nicht zahlen. Capricorn-Chef Robertino Wild muss deshalb im August 2014 alle Ansprüche aus dem Kaufvertrag und im Oktober 2014 auch noch die Geschäftsanteile an der Käufergesellschaft Capricorn Nürburgring Besitzgesellschaft mbH (CNBG) selbst auf einen Treuhänder übertragen. Bis dahin hatte Capricorn zwei Drittel der CNBG-Anteile gehalten, Getspeed ein Drittel. Bei dem eingesetzten, angeblich unabhängigen Treuhänder handelt es sich jedoch um eine Firma, die vier Anwälten der Kanzlei Weil, Gotshal & Manges gehört – just der Kanzlei, die auch die Insolvenzverwalter berät. Der Treuhänder verkauft den zuvor von Capricorn gehaltenen CNBG-Anteil Ende Oktober 2014 an ein Konsortium um den russischen Pharmamagnaten Viktor Charitonin. Dahinter steht laut eigenen Angaben eine Holding aus „internationalen Investoren“, die aber mit Ausnahme von Charitonin bisher nicht bekannt sind.
Nexovation reicht Ende Juni 2015 Klage gegen den Kommissionsbeschluss vom 1. Oktober 2014 beim Europäischen Gericht in Luxemburg ein, Anfang Juli klagt auch Ja zum Nürburgring e.V. Beide Kläger kritisieren unter anderem, dass Capricorn den Zuschlag ohne eine gesicherte Finanzierung bekam – obwohl die Finanzierungssicherheit zentrales Auswahlkriterium war. Nicht nur die Eigenkapitalraten fielen früh aus, auch die vermeintliche Zusage der Deutschen Bank für die Fremdkapitalrate war völlig unverbindlich und brach kurz nach dem Zuschlag weg. Zudem sei der Verkaufsprozess unzulässig fortgeführt worden. Hinter dem angeblich unabhängigen Treuhänder standen nämlich Anwälte der Kanzlei, die die Insolvenzverwalter beriet. Der Verkäufer habe somit die Kontrolle über die Vermögenswerte zurückgeholt und diese unter der Hand weiterverkauft. Das Europäische Gericht ist die Vorinstanz des Europäischen Gerichtshofs. So lange keine Entscheidung vorliegt, ist der vorgesehene Käufer zunächst nur Pächter.
Doch dann, nach dem ganzen vorangegangenen Trommelwirbel, folgt als Erklärung, was die Klage von Nexovation denn Neues enthielt, ein Satz wie ein Witz: „Der Nürburgring wurde tatsächlich nicht an die Gesellschaft Capricorn verkauft, sondern an einen russischen Investor.“ Die Kommission meint jedoch bierernst, was sie deshalb verlangt: Eine Verlängerung der Frist für die Einreichung der Klagebeantwortung. Das würde es der Kommission gestatten, „diesen Punkt in der gebotenen Tiefe und Sorgfalt zu prüfen.“
Verkauf an russischen Investor ist längst bekannt
Der CDU-Europaabgeordnete Werner Langen kann darüber nur lachen. „Wenn die Kommission das ernst meint, müsste man sie fragen, ob sie ein Jahr lang hinter dem Mond gelebt hat“, sagt der rheinland-pfälzische Abgeordnete, in dessen Wahlkreis der Nürburgring liegt. Nicht nur aufgrund des medialen Wirbels, den der Einstieg des russischen Konsortiums um den Pharmamagnaten Viktor Charitonin im vergangenen Jahr verursacht hat, muss die Kommission längst Kenntnis davon haben.
Gleich drei Beschwerden gegen den Einstieg des russischen Investors sind schon Ende des vergangenen Jahres bei der Kommission eingegangen, eine davon stammte von Ja zum Nürburgring e.V., die anderen beiden von Nexovation sowie dem Briten Meyrick Cox, der in einem Konsortium um US-Finanzinvestor HIG Capital für den Nürburgring geboten hat. „Ich erwarte, dass Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die Beschwerden endlich offensiv überprüfen lässt und nicht länger das Agieren einiger ihrer Mitarbeiter deckt“, sagt Langen.
Bislang hat die Kommission die Beschwerden offenkundig ignoriert. „Die Beschwerden müssen zeitnah und sachgerecht bearbeitet werden“, fordert Langen, „durch Liegenlassen erledigen sich die Beschwerden nicht.“ Mehr noch: Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Kommission das Gericht falsch informiert hat, um ein Argument für eine Fristverlängerung zu finden.
Der Weiterverkauf nach dem EU-Beschluss
Die Nürburgring GmbH war 2012 nach gewaltigen Fehlinvestitionen ihres Haupteigentümers, des Landes Rheinland-Pfalz, Pleite gegangen. Insolvenz-Sachwalter Jens Lieser (Koblenz) und Sanierungsgeschäftsführer Thomas Schmidt (Trier) starteten daraufhin mit Unterstützung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG einen Verkaufsprozess. Dieser war von diversen Ungereimtheiten begleitet. Wegen einer seinerzeit noch laufenden Beihilfeuntersuchung der EU-Kommission – sie prüfte, ob die Investitionen des Landes in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro in den Nürburgring zulässig waren – musste der Verkauf europarechtskonform ablaufen. Andernfalls müsste der Käufer für die Rückzahlung der Beihilfen haften.
Im März 2014 erhielt ein Bietergespann aus dem Düsseldorfer Automobilzulieferer Capricorn und der Motorsportfirma Getspeed aus Meuspath den Zuschlag für den Nürburgring. Die beiden Firmen gründeten als Käuferfirma eine Zweckgesellschaft, die Capricorn Nürburgring Besitzgesellschaft mbH (CNBG). Schon die zweite, im Juli fällige Kaufpreisrate konnte Capricorn allerdings nicht zahlen. Die Insolvenzverwalter ließen daher zuerst die Ansprüche aus dem Kaufvertrag und später auch noch die von Capricorn gehaltenen Gesellschaftsanteile an der CNBG pfänden. Hierfür wurde ein Treuhänder eingeschaltet.
Am 1. Oktober 2014 fällte die EU-Kommission auf Vorschlag des damaligen Wettbewerbskommissars Joaquin Almunia ihren Nürburgring-Beihilfenbeschluss. Sie stellte fest, dass die Investitionen des Landes Rheinland-Pfalz unzulässige Beihilfen waren, der Verkaufsprozess aber europarechtskonform abgelaufen sei und der Käufer somit nicht für die Rückzahlung der Beihilfen von rund 500 Millionen Euro haften muss. Vier Wochen nach dem Kommissionsbeschluss, am 28. Oktober 2014, verkaufte der Treuhänder die früheren Capricorn-Anteile an der CNBG weiter an die NR Holding AG, hinter der der Charitonin steht. Davon aber will die Kommission, so zumindest die Darstellung in ihrem Fristverlängerungsantrag, erst durch die Klagen gegen den Beschluss vom 1. Oktober erfahren haben. Doch das kann nicht stimmen.
Vestager geht in früheren Schreiben auf Weiterverkauf ein
Der WirtschaftsWoche liegen zwei Schreiben der mittlerweile zuständigen Wettbewerbskommissarin Vestager an Langen vor. In einem Schreiben vom 5. Januar 2015 nimmt die Dänin Bezug auf ein Gespräch mit Langen und schreibt, dieser habe in dem Gespräch „die Beteiligung eines russischen Investors bei Capricorn“ als „problematisch“ bezeichnet. Derlei Bedenken des Abgeordneten weist die Kommissarin sogleich zurück: „Der Fakt, dass nach der Entscheidung der EU-Kommission eine dritte Firma einen Anteil an der Käuferfirma übernommen hat, ist nicht Teil der Analyse, die die Kommission in der Untersuchung (vergangener) Beihilfen durchführen muss.“
In einem weiteren Schreiben vom 8. April 2015 schreibt Vestager an Langen: „Nach Prüfung des Verkaufsprozesses befand die Kommission, dass Capricorn nicht von der Rückforderung betroffen ist, weil für die Anlagen ein Marktpreis bezahlt wurde und weil zwischen Capricorn und den Beihilfenempfängern keine wirtschaftliche Kontinuität bestand. Nach unserem Wissen gilt das letztere genauso für den neuen Erwerber der Capricorn Gesellschaft.“
Die Kommissarin wusste also lange vor dem Fristverlängerungsantrag, der am 4. September 2015 beim EuG eingereicht wurde, über den Weiterverkauf der Capricorn-Anteile an den russischen Investor Bescheid. Und Vestager war offenkundig nicht die einzige in der Kommission, die davon wusste. Mit den drei Beschwerden vom Ende des vergangenen Jahres, die sich ausdrücklich mit dem Weiterverkauf befassen, wurde der Vorgang aktenkundig.
Auch Insolvenzverwalter haben Kommission informiert
Zudem berichtete der Beihilferechtsanwalt der Nürburgring-Insolvenzverwalter in einem Memorandum schon im November 2014: „Die Kommission wurde am 31. Oktober 2014 über den Einstieg der NR Holding AG mit dem beherrschenden Gesellschafter Viktor Charitonin beim Käufer und den Eingang der 2. und 3. Kaufpreisrate auf dem Sperrkonto des Sachwalters unterrichtet.“ Der Kommission sei eine Skizze der neuen Struktur übersandt worden, in der „anschließenden Telefonkonferenz äußerte die Kommission keine Bedenken.“
Warum also behauptete die Kommission in ihrem Schriftsatz, erst durch die Klage von Nexovation vom Weiterverkauf erfahren zu haben und mehr Zeit für die Erwiderung der Klagen zu brauchen? Hat sie gegenüber dem Gericht falsch vorgetragen? Auf Anfrage will Vestagers Sprecherin hierzu nichts sagen: „Wir können zu Ihren Fragen keine Stellung nehmen, um sicherzustellen, dass die Wirksamkeit des Gerichtsverfahren gewährleistet ist.“ Dieter Frey, der Beihilferechtsanwalt des Vereins Ja zum Nürburgring, weist den Kommissionsvorwurf zurück, in der Klage Tatsachen verschwiegen zu haben. „Wir haben nichts verschwiegen“, sagt er auf Anfrage. Dies werde der Verein vor dem Europäischen Gericht auch belegen, öffentlich wolle er sich derzeit aber nicht weiter dazu äußern.





Langen kritisiert die Vorgehensweise der Kommission scharf. „Die Begründung der Kommission für den Fristverlängerungsantrag ist eine Unverschämtheit. Sie ist seit Monaten vollumfänglich informiert“, sagt Langen, der auch Berichterstatter des Europäischen Parlaments für die Wettbewerbspolitik ist und sich dezidiert mit Vestagers Arbeit auseinandergesetzt hat. „Es wird Zeit, dass die Kommissarin Schluss macht mit den Mauscheleien und Tricksereien ihres Vorgängers Almunia, der den Beschluss zum Nürburgring in den letzten Tagen seiner Amtszeit noch durchgeboxt hat, um seinen Parteifreunden in Rheinland-Pfalz ein Geschenk zu machen.“
Kommission kündigt weitere Untersuchungen zum Weiterverkauf an
Zum Bearbeitungsstatus der Beschwerden über den Weiterverkauf, die bereits Ende des vergangenen Jahres bei der Kommission eingegangen sind, will Vestagers Sprecherin auf Anfrage ebenfalls nichts sagen. Im Fristverlängerungsantrag an das EuG schreibt die Kommission aber bezüglich des Einstiegs der russischen Holding: „Die Kommission hat nach Erhalt dieser Information […] damit begonnen, weitere Nachforschungen hierzu anzustellen.“ Weiter macht sie geltend, dass der Klagegrund entfallen könne, denn: „Es ist derzeit nicht ersichtlich, wie sich die Feststellung im Hinblick auf Capricorn auf einen anderen Investor übertragen ließe.“
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Nun bleibt es spannend, wie die Kommission auf die beiden Klagen erwidert. Dann wird sich zeigen, wie es in dem Rechtsstreit weitergeht. Bis zu einer rechtssicheren Klärung könnte es noch lange dauern: Das EuG ist die Vorinstanz des Europäischen Gerichtshofs. Gehen die Klagen über beide Instanzen, dürfte das Verfahren insgesamt rund fünf Jahre dauern.
In Brüssel ist zu hören, dass die Kommission bei ihrer bisherigen Auffassung bleiben will und den Weiterverkauf nicht beanstandet. Das Europäische Gericht jedenfalls hat die fragwürdige Argumentation der Kommission nicht durchschaut. Es hat die Frist zur Klagebeantwortung bis zum 4. November dieses Jahres verlängert. Zweieinhalb Wochen bleiben also noch. Dann muss die Kommission Farbe bekennen.