Nürburgring-Desaster Der Charitonin-Deal und seine Risiken

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Wysotzki der "letzte Mohikaner"

Pikant ist schon die Doppelrolle von Weil als anwaltliche Berater der Insolvenzverwalter und zugleich Eigentümer des unabhängigen Treuhänders, der die Anteile von Wild übernahm. „Ein Interessenskonflikt bestand nicht“, sagt Weil-Mann Gerhard Schmidt auf Nachfrage hierzu. Dem Zweifel an der europarechtlich brisanten Frage, wie unabhängig der Treuhänder war, geben die Eigentumsverhältnisse neue Nahrung. „Ich habe erhebliche europarechtliche Bedenken“, sagt der CDU-Abgeordnete Langen, „die gesamte Konstruktion diente offensichtlich nur dazu, das Europarecht auszuhebeln. Die Verflechtungen sind hoch problematisch.“

Deutschlands sündhaft teure Prestigebauten
Die Elbphilharmonie ist das teuerste Kulturprojekt in Deutschland. Die Kostenexplosion und Bauverzögerung wird ein Fall für die Justiz. Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt, ob Straftaten vorliegen. Laut Abschlussbericht sind eine unfertige Planung, mangelnde Kontrolle vonseiten der Politik und ein Chaos auf der Baustelle schuld am Desaster beim Bau. Die Kosten für den Steuerzahler bei dem Projekt sind von ursprünglich 77 Millionen auf 789 Millionen Euro gestiegen, die Eröffnung wurde von 2010 auf 2017 verschoben. Erstmals nennt der Abschlussbericht, der die Ereignisse bis Ende 2008 untersucht, auch die Namen der Verantwortlichen. Demnach ist die städtische Realisierungsgesellschaft (Rege) mit ihrem Chef Hartmut Wegener für wichtige Fehlentscheidungen verantwortlich. Die politisch Verantwortlichen, allen voran Hamburgs damaliger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und sein Chef der Senatskanzlei Volkmar Schön (CDU), seien dagegen ihrer Aufsichtspflicht nicht gerecht geworden. Aber auch die Architekten Herzog & de Meuron und der Baukonzern Hochtief kommen in dem Bericht nicht gut weg. „Wenn wir konkrete Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat finden würden, würden wir entweder einen Ermittlungsvorgang gegen einen bestimmten namentlich bekannten Beschuldigten oder mehrere einleiten oder wir würden ein Unbekannt-Verfahren einleiten, wenn wir noch nicht wüssten, wer der Beschuldigte ist“, erklärt die Sprecherin Nana Frombach. Quelle: dpa
Deutschlands teuerstes Kulturprojekt, die Hamburger Elbphilharmonie, wird die Steuerzahler laut Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) stolze 789 Millionen Euro kosten - und soll 2017 eröffnet werden. Das Prestigeprojekt würde damit gut zehnmal teurer als 2005 vom damaligen Bürgermeister Ole von Beust (CDU) veranschlagt. Damals war von rund 77 Millionen Euro die Rede. Auf der Baustelle im Hafen herrscht mittlerweile seit rund anderthalb Jahren Stillstand, weil sich die Vertragspartner lange nicht einigen konnten. Erst im März hatte Scholz mit Hochtief einen Vertrag geschlossen, wonach der Essener Baukonzern künftig sämtliche Risiken übernimmt und das Konzerthaus bis Ende Oktober 2016 zum „Globalpauschalfestpreis“ von 575 Millionen Euro zu Ende baut. Nicht berücksichtigt waren dabei jedoch unter anderem die Finanzierungs- und Baukosten für den kommerziellen Teil und die Vorplanungskosten. Nun geht aus dem vertraulichen zweiten Entwurfs des Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses hervor, der Spiegel Online vorliegt. Die Schuldigen sollen die Projektkoordination, Bauunternehmer und Architekt, sowie auch der damalige Erster Oberbürgermeister, Ole von Beust, sein. Quelle: REUTERS
Die sogenannte 'Kanzlerbahn', die derzeit zwischen dem Hauptbahnhof, Kanzleramt und dem Brandenburger Tor verkehrt, soll um 92 Millionen Euro teurer werden. Laut Berliner Morgenpost beläuft sich das Gesamtvolumen künftig auf 525 Euro, die das Land und der Bund zahlen müssen. Quelle: dpa
In Schlangen winden sich Hunderte Besucher durch den Saal, bestaunen historische Exponate, erhaschen per Kurzfilm einen Einblick in die Arbeit der Bundestagsabgeordneten. In einem Miniplenarsaal mit originalgetreuen blauen Sesseln lauschen sie einer gespielten Debatte und ergreifen selbst das Wort. Dann geht es durch den unterirdischen Gang ins Reichstagsgebäude, hinauf in die gläserne Kuppel. Zum Abschluss noch ein Imbiss an einem der 16 Bistro-Tische, die die 16 Bundesländer repräsentieren. So soll es aussehen, das Besucher- und Informationszentrum des Bundestages (BIZ). Ursprünglich sollte es 200 Millionen Euro kosten. Im Januar dann lag der anvisierte Preis schon bei 330 Millionen Euro. "Ein Bau für 330 Millionen Euro, das wird nicht kommen", sagte damals Eduard Oswald, CSU-Bundestagsvizepräsident und Vorsitzender der inneren Kommission, gegenüber WirtschaftsWoche. Nun heißt es in einem Bericht der Welt, dass der Bau mit bis zu 500 Millionen Euro zu Buche schlagen werde. das gehe aus einem Bericht der 36-köpfigen "Reformkommission Bau von Großprojekten" der Bundesregierung hervor. Quelle: dpa
Die Stuttgarter waren nicht ohnmächtig: Stuttgart 21 steht für einen politischen Umbruch in Baden-Württemberg und den Einzug neuer Formulierungen in die deutsche Sprache, wie zum Beispiel das Wort „Wutbürger”. Der alte Kopfbahnhof soll zu einem Tunnelbahnhof umgebaut werden. Eine riesige Protestwelle überrollte die baden-württembergische Landeshauptstadt, seit der Abriss des alten Bahnhofs startete. In einer Abstimmung Ende 2011 sprach sich eine Mehrheit der Bevölkerung jedoch für das Projekt aus. Gestritten wird vor allem über die Kosten des Umbaus... Quelle: dpa
Immer wieder wurden die prognostizierten Baukosten nach oben korrigiert. Zwischenzeitlich sprach die Deutsche Bahn von 4,5 Milliarden Euro, mittlerweile hat sie die Zahlen um ganze zwei Milliarden erhöht.. Andere Experten veranschlagen Kosten von bis zu elf Milliarden Euro. Auch der Bundesrechnungshof hat diese Summe bereits vor drei Jahren als viel zu gering bezeichnet. Die DB hatte damals die Einschätzung zurückgewiesen. Inzwischen sind viele Dokumente ans Tageslicht gekommen, die beweisen, dass die Bahn hohe Mehrkosten vorsätzlich verschwiegen hat. Nicht zuletzt die mangelnde Transparenz bezüglich der Gesamtkosten des Projekts hat viele Bürger auf die Straße getrieben. Die ersten Züge werden wohl nicht vor 2022 im unterirdischen Bahnhof einfahren. Quelle: dpa
Eigentlich sollte die Erweiterung des Saarland-Museums und der Modernen Galerie in Saarbrücken ein Prestigeprojekt werden. Allerdings haben sich die veranschlagten Kosten mehr als verdreifacht. Ursprünglich sollte der Bau neun Millionen Euro kosten. Wie tief der Steuerzahler dafür in die Tasche greifen muss, ist noch offen. Bisher steht in bester Lage in Saarbrücken unweit des Staatstheaters ein hässlicher Betonklotz im Rohbau, dem ein Gutachten jetzt zahlreiche Mängel bescheinigt hat. Die Landesregierung will aber auf jeden Fall an dem schon weit vorangeschrittenen Projekt festhalten, obwohl viele vor einer „zweiten Elbphilharmonie“, wenn auch in sehr viel kleinerer Größenordnung, warnen. Quelle: dpa

Zusätzlich genährt werden die Zweifel noch, wenn man neben der Gesellschafterebene auch den operativen Bereich betrachtet. Nach der Abberufung von Wild als CNBG-Geschäftsführer ernannte die Gesellschafterversammlung als neuen Geschäftsführer Gerhard Jörg Wysotzki. Auch zu diesem Namen äußern sich Lieser und Schmidt auf mehrfache Nachfragen nicht. Er steht allerdings im Handelsregister. Der Grund für das Schweigen liegt auch hier nahe: Nach Recherchen der WirtschaftsWoche handelt es sich bei Gerhard Wysotzki um einen Nürburgring-Mitarbeiter und vermutlich auch um einen Lieser-Mann.

Nach der Nürburgring-Pleite haben die Insolvenzverwalter die Belegschaft in eine neue Betriebsgesellschaft transferiert. Mehrere Mitarbeiter haben der WirtschaftsWoche bestätigt, dass Wysotzki der „letzte Mohikaner“ sei, sprich der einzige verbliebene Mitarbeiter der insolventen Nürburgring GmbH, der für die Insolvenzverwalter den dort noch anfallenden Schreibkram für Sachwalter Lieser erledige. „Wir haben uns gewundert, dass einer wie Wysotzki plötzlich Geschäftsführer wurde“, heißt es bei den anderen Mitarbeitern. Die Insolvenzverwalter teilen auf Nachfrage zur Beförderung Wysotzkis mit, sie würden „zu internen Vorgängen der CNBG keine Stellung“ nehmen.

Die europarechtliche Argumentation der Insolvenzverwalter zum Weiterverkauf der Wild-Anteile an Charitonin gerät vor diesem Hintergrund schwer ins Wanken. Sie betonen, der Kaufvertrag mit der CNBG sei nicht berührt worden, lediglich auf der Gesellschafterebene der CNBG habe es einen Wechsel gegeben, und dieser sei alleine über den unabhängigen Treuhänder gelaufen. Zudem bestreiten Lieser und Schmidt energisch, mit Interessenten verhandelt zu haben und an der Auswahl des Charitonin-Konsortiums beteiligt gewesen zu sein. War das der Fall?

Bei der WirtschaftsWoche haben sich mehrere Kaufinteressenten gemeldet die bekunden, direkt mit Lieser über einen Erwerb der Wild-Anteile gesprochen zu haben. Der Insolvenzverwalter-Sprecher teilt auf Nachfragen hierzu mit: „Die Unterstellung, dass Lieser über die beim Treuhänder liegenden Gesellschaftsanteile verhandelt haben sollte, ist eine falsche Tatsachenbehauptung. Herr Lieser hat keine Verfügungsbefugnis über die bei dem Treuhänder liegenden Geschäftsanteile der Käuferin. Wenn es Verhandlungen gibt/gegeben hat/oder geben sollte, dann ist es der Treuhänder, der diese Verhandlungen führt.“

Der WirtschaftsWoche liegen allerdings Aussagen und Dokumente vor, die eine andere Deutung nahe legen. In der zweiten Oktoberwoche stellte sich eine Interessentengruppe von vier Investoren in den Räumen der KPMG in Frankfurt vor. Auch sie hatte Interesse am Zwei-Drittel-Anteil von Wild, bei den vier Interessenten handelte es sich um vermögende Unternehmer, die dem Vernehmen nach auch am Bilster Berg beteiligt sind. Wie aus Verhandlungskreisen zu hören ist, nahm neben KPMG-Vertretern auch Jens Lieser an dem Gespräch teil, weder der Treuhänder noch Wild oder Heinemann seien zugegen gewesen. Bei Gesprächen des Konsortiums am Nürburgring sei ebenfalls Lieser dabei gewesen.

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