
Robert Sexton ist in etwa so, wie man sich gemeinhin einen typischen Texaner vorstellt. Der bullige Inhaber und Chef des US-Technologieunternehmens Nexovation redet mit breitem Südstaatenakzent – und zückt verbal gerne den Colt. „Wie dieser Verkaufsprozess abgelaufen ist, macht mich fassungslos“, sagt der Amerikaner, der im vergangenen Jahr den insolventen Nürburgring kaufen wollte, aber nicht zum Zuge kam. „Das war eine einzige Mauschelei. In einem Rechtsstaat wie Deutschland hätte ich so etwas nicht für möglich gehalten.“
Den Zuschlag erhielt statt Sexton für 77 Millionen Euro ein Bietergespann aus dem Düsseldorfer Automobilzulieferer Capricorn und der Motorsportfirma Getspeed aus Meuspath am Nürburgring. Doch schon bei der zweiten Kaufpreisrate ging Capricorn das Geld aus, obwohl ein gesicherter Finanzierungsnachweis Auswahlkriterium im Verkaufsprozess war. Die Mehrheitsanteile von Capricorn an der Nürburgring-Käufergesellschaft übernahm später ein Konsortium um den russischen Pharmamagnaten Viktor Charitonin. Sexton sieht sich mit seinem Angebot unzulässig benachteiligt und will sich das nicht bieten lassen.





Seine Anwälte von der Großkanzlei Norton Rose Fulbright hat er deshalb beauftragt, den Verkauf juristisch anzugreifen. Weil das Land Rheinland-Pfalz als früherer Haupteigentümer der Rennstrecke rund eine halbe Milliarde Euro am Nürburgring versenkt hatte und die EU-Kommission deswegen ein Beihilfeverfahren einleitete, musste der Verkauf europarechtskonform erfolgen. Das bedeutet unter anderem, dass der Verkauf transparent und diskriminierungsfrei ablaufen muss. Sextons Anwälte haben nun Klage beim Europäischen Gericht in Luxemburg eingereicht, der Vorinstanz des Europäischen Gerichtshofs.
Weitere Klage soll bis kommende Woche folgen
„Wir haben die Klage in der vergangenen Woche auf den Weg nach Luxemburg gebracht“, bestätigt Rechtsanwalt Matthias Nordmann von Norton Rose Fulbright der WirtschaftsWoche. Eine weitere Klage dürfte noch folgen: Der Vorstand des gemeinnützigen Vereins Ja zum Nürburgring e.V. hat beschlossen, ebenfalls zu klagen. „Wir sind in der Abstimmung und werden die Klage fristgerecht einreichen“, sagt Dieter Frey, der Anwalt des Vereins, auf Nachfrage zum aktuellen Stand. Bis Ende der kommenden Woche soll die Klage des Vereins in Luxemburg sein.
Sowohl der Verein wie auch Nexovation hatten sich bereits mit einer Reihe von Beschwerden an die EU-Kommission gewandt. Diese fällte am 1. Oktober vergangenen Jahres ihren Beihilfenbeschluss und stufte zwar die Landes-Investitionen von rund 500 Millionen Euro als unzulässige Beihilfen ein, gab zum Ablauf des Verkaufsprozesses aber ihr Okay. Die Beihilfen gehen somit nicht auf den Käufer über, er muss nicht für die Rückzahlung haften.
Gegen diesen Beschluss der Kommission richtet sich nun die Klage von Nexovation. Denn im Verkaufsprozess, den Nürburgring-Insolvenzsachwalter Jens Lieser und Sanierungsgeschäftsführer Thomas Schmidt mit Unterstützung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG organisiert hatten, gab es eine ganze Reihe von Ungereimtheiten.
Finanzierung war völlig unzureichend
Das Transparenzkriterium erfordert, dass den Bietern die Auswahlkriterien vorab bekannt gegeben werden müssen. Beim Nürburgring-Verkauf war ein zentrales Kriterium die sogenannte Transaktionssicherheit: Bieter mussten für den Zuschlag einen gesicherten Finanzierungsnachweis erbringen. Für den größten Anteil am Kaufpreis von insgesamt 77 Millionen Euro – den Fremdkapitalanteil von 45 Millionen Euro – hatte das Gespann Capricorn-Getspeed jedoch nur eine unverbindliche Konditionenübersicht („Term Sheet“) der Deutschen Bank vorzuweisen.
Verkaufsprozess europarechtswidrig?
Darin behält sich die Deutsche Bank vor, die Inhalte des Briefs oder des Term Sheets jederzeit zu ändern, zu ergänzen oder zu ersetzen. Sie nennt seitenweise Bedingungen, die erst noch erfüllt werden müssen. Und schreibt ganz explizit in einem „wichtigen Hinweis“, das Papier sei „ausschließlich zu Diskussionszwecken und nicht dazu gedacht, rechtlich verbindliche Verpflichtungen zwischen uns zu begründen“.





Dennoch wurde den Mitgliedern des Nürburgring-Gläubigerausschusses in der für den Zuschlag entscheidenden Sitzung am 11. März vergangenen Jahres laut Protokoll mitgeteilt: „Die Finanzierungsbestätigung der Deutschen Bank AG ist banküblich und valide.“ Dass Capricorn trotz unzureichender Finanzierung den Zuschlag erhielt ist einer der Gründe, warum Nexovation den Verkaufsprozess für europarechtswidrig hält.
Verkaufsprozess soll unzulässig fortgeführt worden sein
Die Insolvenzverwalter dagegen hatten jegliche Verstöße gegen Europarecht bisher stets zurückgewiesen. Auch die EU-Kommission bewertete den Verkaufsprozess als europarechtskonform. Der Kommission allerdings wirft Nexovation nun vor, den Ablauf gar nicht sorgfältig genug geprüft zu haben. „Die Kommission hat wesentliche Unterlagen überhaupt nicht angefordert“, sagt Nordmann. „Sie hat sich blind auf die Angaben der Insolvenzverwalter verlassen, anstelle den Prozess selbst zu untersuchen.“
In der Klageschrift listet Nexovation noch mehr problematische Punkte zum Ablauf des Verkaufsprozesses auf. Zu den spannendsten gehört der Einstieg des russischen Pharmamagnaten Viktor Charitonin Ende Oktober des vergangenen Jahres – wenige Wochen nach dem Kommissionsbeschluss. Brisant ist dabei, von wem genau das Konsortium um Charitonin seinen Anteil kaufte.
Als Capricorn nämlich im Juli 2014 bereits die zweite Kaufpreisrate in Höhe von fünf Millionen Euro nicht bezahlen konnte, mussten die Düsseldorfer ihre Mehrheitsanteile an der Käuferfirma auf Druck der Insolvenzverwalter auf einen Treuhänder übertragen. Dieser verkaufte die Anteile später weiter an das Konsortium um Charitonin.
Das Nürburgring-Desaster
Die legendäre Rennstrecke in der Eifel ist für ihre Eigentümer seit Jahren ein Millionengrab. Die Nürburgring GmbH – sie gehört zu 90 Prozent das Land Rheinland-Pfalz und zu zehn Prozent der Landkreis Ahrweiler – ist seit 2006 bilanziell überschuldet und kann sich nur dank immer neuer Landes-Millionen über Wasser halten. Haupt-Verlustbringer ist die Formel 1, die von 2003 bis 2009 ein Loch von 55 Millionen Euro in die Kasse riss. Für das Rennen 2011 kalkuliert das Land mit einem Minus weiteren 13,5 Millionen Euro. Der Landesrechnungshof geht von höheren Kosten aus.
Um aus den Miesen zu kommen, wollten der damalige Nürburgring-Geschäftsführer Walter Kafitz (SPD) und die damalige SPD-Alleinregierung von Kurt Beck mit dem riesigen Erlebnispark „Nürburgring 2009“ zusätzliche Besucher anlocken. Die Einnahmen sollten die Verluste aus der Formel 1 decken. Der Park besteht aus zwei Bauabschnitten: Die Nürburgring GmbH baute ein Erlebniszentrum mit Rennsportmuseum (Ringwerk), eine Achterbahn, eine überdachte Shoppingmeile (Boulevard) sowie zwei Veranstaltungshallen. Der zweite Abschnitt, entwickelt von Kai Richters Firma Mediinvest, umfasst zwei Hotels mit Personalwohnhaus, einen Ferienpark und das Eifeldorf „Grüne Hölle“, in dem sich eine Disco und diverse Restaurants befinden.
Die Baukosten stiegen von ursprünglich geplanten 215 auf 330 Millionen Euro. Der erste Bauabschnitt sollte zur Hälfte, der zweite komplett privat finanziert werden. Bei der Suche nach Investoren für den ersten Bauabschnitt fielen Land und Nürburgring GmbH auf dubiose Finanzvermittler herein. Die für den zweiten Bauabschnitt zuständige Firma Mediinvest von Kai Richter erhielt 85,5 Millionen Euro von der Rheinland-Pfälzische Gesellschaft für Immobilien und Projektmanagement mbH (RIM). Die ist eine hundertprozentige Tochter der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB), welche wiederum zu hundert Prozent dem Land gehört. Die MSR wurde später mitsamt der Gebäude von Landesgesellschaften übernommen.
Ab Mai 2010 vergab die Nürburgring GmbH den Betrieb des kompletten Parks inklusive der Rennstrecken an die private Nürburgring Automotive GmbH (NAG), die je zur Hälfte Kai Richters Mediinvest und der Düsseldorfer Lindner-Hotelgruppe gehört. Im Februar 2012 kündigte das Land den Betreibern wegen ausstehender Pachtzahlungen. Die NAG geht juristisch gegen die Kündigung vor. Nach ihrer Sicht der Dinge schuldet das Land den Betreibern noch Geld, diese Forderungen habe man mit der Pacht verrechnet. Streit gibt es um die von den Betreibern angekündigte Entlassung von einem Viertel der Belegschaft. Die EU-Kommission prüft nach mehreren Beschwerden von Konkurrenten, ob das Land bei der Verpachtung an die NAG gegen Vergaberecht verstoßen hat.
Die erhofften Besuchermassen bleiben aus. Die als schnellste der Welt geplante Achterbahn funktioniert bis heute nicht. In der „Grünen Hölle“ ist von Oktober bis März nur ein einziges Restaurant durchgängig geöffnet, der Rest ist die meiste Zeit dicht. Das Land wirft den Betreibern zudem vor, die Gebäude vernachlässigt zu haben. In mehreren Restaurants ist Schimmel aufgetreten. Der Landesrechnungshof schätzt den zusätzlichen Investitionsbedarf des Landes in den nächsten 20 Jahren auf bis zu 420 Millionen Euro.
Wegen ihrer Rolle bei der gescheiterten Privatfinanzierung hat die Staatsanwaltschaft Koblenz im Februar 2012 Anklage wegen Untreue gegen den ehemaligen rheinland-pfälzischen Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) erhoben. Auch der frühere Nürburgring-Hauptgeschäftsführer Walter Kafitz und zwei weitere ehemalige Manager der Nürburgring GmbH wurden wegen Untreue angeklagt. Der frühere ISB-Chef und ein RIM-Manager wurden wegen Beihilfe zur Untreue angeklagt. Die Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue gegen Kai Richter dauern an.
Ein fragwürdiger Treuhänder
Das Problem dabei: Die Treuhandfirma gehört vier Anwälten der Frankfurter Wirtschaftskanzlei Weil, Gotshal & Manges – was genau die Kanzlei war, die zu dieser Zeit auch die Insolvenzverwalter Lieser und Schmidt beriet. Im September 2014 zahlte die insolvente Nürburgring GmbH an Weil, Gotshal & Manges für rechtliche Beratung im Zusammenhang mit der „Sicherung der Kaufvertragsabwicklung Capricorn“ eine Viertelmillion Euro. So steht es im Bericht des Wirtschaftsprüfers, der bei der insolventen Nürburgring GmbH die Kassen prüft.
Dass ein Treuhänder die Anteile kontrolliert und weiterverkauft, hinter dem wiederum die Anwälte der Insolvenzverwalter stehen, ist für Nexovation vollkommen inakzeptabel. „Wir sehen keinen Weiterverkauf durch einen angeblich unabhängigen Treuhänder“, sagt Nordmann, „tatsächlich haben die Verkäufer und ihre Berater den Verkaufsprozess fortgeführt. Das ist unzulässig, weil der Weiterverkauf unter der Hand ablief und nicht in einem transparenten, diskriminierungsfreien Verfahren.“
Dienstleister
Mit diesen und weiteren Vorwürfen von Nexovation muss sich nun das Europäische Gericht befassen. Nordmanns Mandant Robert Sexton wird sich aber zunächst in einer Tugend üben müssen, die nicht gerade als typisch texanisch bekannt ist: Geduld. Bis das Europäische Gericht entscheidet, dürften etwa eineinhalb Jahre vergehen. Sollte die Sache in zweiter Instanz auch vor dem Europäischen Gerichtshof landen, wird es bis zu einer Entscheidung wohl mindestens vier Jahre dauern.