
Der frühere Top-Manager Thomas Middelhoff bleibt weiter in Untersuchungshaft. Das Oberlandesgericht Hamm verwarf am Donnerstag die Haftbeschwerde des 61-jährigen als unbegründet. Es bestehe nach wie vor Fluchtgefahr, urteilte der 5. Strafsenat. Zur Begründung verwies das Gericht unter anderem auf die gegen den Manager verhängte Freiheitsstrafe von drei Jahren, aber auch auf die weiteren strafrechtlichen Ermittlungen gegen Middelhoff und die von Gläubigern gegen ihn erhobenen Millionenforderungen.
Der Middelhoff-Prozess von A bis Z
Die Pleite des Arcandor-Konzerns (Karstadt, Quelle, Thomas Cook) im Jahr 2009 war einer der spektakulärsten Firmenzusammenbrüche der Nachkriegszeit. Thomas Middelhoff leitete das Unternehmen bis wenige Monate vor dessen Ende. Im Essener Prozess ging es aber nicht um die Pleite selbst, sondern „nur“ um den Verdacht, dass der Manager Arcandor Kosten in Höhe von 1,1 Millionen Euro zu Unrecht in Rechnung gestellt haben soll - vor allem für teure Flüge in Privatjets. Middelhoff weist diese Vorwürfe entschieden zurück.
Auslöser für die umfangreiche Nutzung von Privatjets war Middelhoff zufolge eine Bombendrohung gegen ein Linienflugzeug, in dem er gesessen hatte. Danach sei er aus Sicherheitsgründen auf Charterjets umgestiegen. Insgesamt nutzte Middelhoff in seiner Zeit bei Arcandor nach eigenen Angaben 610 Mal Privatjets. Er selbst habe 210 Flüge bezahlt, die übrigen 400 seien Arcandor in Rechnung gestellt worden. Im Prozess geht es allerdings nur um 48 dieser Flüge, bei denen die Staatsanwaltschaft die dienstliche Veranlassung bezweifelt. Deren Gesamtkosten beziffert die Anklage auf 945 000 Euro.
Thomas Middelhoffs sonst eher öffentlichkeitsscheue Ehefrau Cornelie erinnerte sich als Zeugin im Essener Prozess vor allem an die hohe Arbeitsbelastung ihres Mannes in der Arcandor-Zeit: „Er hat eigentlich immer gearbeitet, immer, immer.“
Dauerstau auf dem Weg zur Arbeit ist für viele Pendler ein Ärgernis - nicht aber für Middelhoff. Als eine Baustelle am Kamener Kreuz die Fahrt zwischen seinem Wohnsitz in Bielefeld und der Konzernzentrale in Essen zur stundenlangen Quälerei machte, stieg er auf Hubschrauber um. Die Rechnung ging an Arcandor. Zu Recht, findet Middelhoff: Er habe so nämlich effizienter arbeiten können. Zu Unrecht, findet die Anklage: Die Kosten für den Arbeitsweg seien Sache des Arbeitnehmers.
Ein weiterer Vorwurf der Anklage: 180 000 Euro habe Arcandor auf Veranlassung Middelhoffs für eine Festschrift zu Ehren des ehemaligen Bertelsmann-Chefs Mark Wössner spendiert. Für die Staatsanwaltschaft ist das Buch ein „persönliches Geschenk“ Middelhoffs an seinen früheren Mentor. Der Manager hätte demnach für das teure Präsent selbst zahlen müssen. Nach Middelhoffs Worten diente die Festschrift dagegen der Verbesserung des Arcandor-Images und der Netzwerkpflege.
Für Middelhoff wurden nach eigener Aussage vor allem die Besuche der Gerichtsvollzieher im Gerichtssaal zur Belastung. Sie nutzten die Gelegenheit, um den im südfranzösischen Saint-Tropez lebenden Manager mit Millionenforderungen seiner Gläubiger zu konfrontieren. In einem Fall pfändete ein Gerichtsvollzieher sogar eine wertvolle Armbanduhr. Die Pfändungsversuche seien demütigend, sagte Middelhoff selbst am Rande des Verfahrens: „Das ist wie ein apokalyptischer Traum.“
Zeitweise wurde das Verfahren in Essen von einem drohenden Haftbefehl gegen Middelhoff überschattet. Eine Gerichtsvollzieherin hatte diesen laut einem „Spiegel“-Bericht beantragt, um den Manager im Zusammenhang mit Zahlungsforderungen des Arcandor-Insolvenzverwalters zur Offenlegung seiner Vermögensverhältnisse zu zwingen. Das Thema erledigte sich nach Angaben der Middelhoff-Anwälte aber von selbst, als dessen Managerversicherung eine Haftungsgarantie für 3,4 Millionen Euro übernahm.
Der Senat betonte, bei einer Abwägung aller Umstände sei es wahrscheinlicher, dass sich der Manager dem weiteren Strafverfahren entziehen werde, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Middelhoff sehe aufgrund der gegen ihn laufenden Verfahren selbst keine Chance, sich in Europa eine neue wirtschaftliche Existenz aufzubauen, verfüge aber über geschäftliche Kontakte außerhalb Europas. Außerdem habe er dem Landgericht nach seiner Festnahme zunächst die Existenz eines zweiten Reisepasses mit einem gültigen Visum für die Volksrepublik China verschwiegen.
Der Middelhoff-Prozess von A bis Z
Für Schlagzeilen sorgte Middelhoff, als er im Juli nach einem Besuch beim Gerichtsvollzieher über ein Garagendach vor den wartenden Journalisten flüchtete. Middelhoff selbst schien stolz auf die Aktion: „Ich bin wie die Katze übers Dach. Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße“, berichtete der 61-Jährige danach. Der Manager hatte beim Gerichtsvollzieher seine Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.
Trotz des Ärgers mit diversen Gläubigern fuhr Middelhoff an den Verhandlungstagen standesgemäß mit einer Limousine und eigenem Fahrer vor. Allerdings musste er sich nach dem Aussteigen mit allen anderen Anwesenden in die Warteschlange an der Sicherheitsschleuse einreihen.
Beim Mittagessen zeigte sich Middelhoff an den Prozesstagen bodenständig: Er nahm es in der Regel in der Gerichtskantine ein.
Der Untreue-Prozess gegen Thomas Middelhoff begann gleich mit einer Panne. Wegen eines Formfehlers des Gerichts am ersten Tag musste das Verfahren am zweiten Tag noch einmal von vorn beginnen. Sowohl die mehr als einstündige Verlesung der Anklage als auch die weit umfangreichere persönliche Erklärung Middelhoffs mussten wiederholt werden. Middelhoff zeigte sich verärgert über die Zeitvergeudung.
Die Empfehlung, nach der Bombendrohung gegen einen Linienflieger aus Sicherheitsgründen nur noch Charterjets zu nutzen, soll nach den Worten Middelhoffs von der Arcandor-Großaktionärin Madeleine Schickedanz gekommen sein. Sie habe sogar zugesagt, bei Privatflügen die Mehrkosten zu übernehmen, berichtete der Manager. Schickedanz selbst bestritt allerdings als Zeugin eine derartige Zusage vehement.
Die Verteidigung Middelhoffs hat einen Freispruch für den Angeklagten gefordert. Dagegen verlangte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten wegen schwerer Untreue - Middelhoff habe den früheren Karstadt-Quelle-Konzern „nach Gutdünken“ mit Kosten seiner zahlreichen externen Nebentätigkeiten belastet.
Eine bei Middelhoff bei einer Taschenpfändung im Essener Landgericht gepfändete Armbanduhr der Nobelmarke Piaget wurde von der Gerichtsvollzieherin nach Zwangsvollstreckungsrecht im Internet versteigert. Der prominente Vorbesitzer ließ die Uhr für die Bieter offensichtlich attraktiv erscheinen: Obwohl ihr Wert in einem Gutachten lediglich auf 2800 Euro geschätzt wurde, erzielte sie bei der Online-Auktion am Ende einen Preis von 10 350,99 Euro.
Der frühere Chef des inzwischen pleitegegangenen Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor war am 14. November vom Essener Landgericht wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt und noch im Gerichtssaal verhaftet worden. Das Gericht sprach den früheren Chef des inzwischen pleitegegangenen Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor nach sechsmonatiger Verhandlung der Untreue in 27 Fällen und der Steuerhinterziehung in drei Fällen schuldig. Den von Middelhoff verursachten Schaden bezifferte das Gericht auf rund 500 000 Euro.
Die besten Zitate von und über Thomas Middelhoff
Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff musste sich einem knappes halbes Jahr vor dem Essener Landgericht wegen des Vorwurfs der Untreue verantworten. Eine Übersicht von Zitaten rund um die Ereignisse der vergangenen Monate.
„Ich bin wie die Katze übers Dach. Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße.“
(Middelhoff über seine filmreife Flucht vor Fotografen nach einem Termin bei einem Gerichtsvollzieher in Essen Ende Juli, bei dem er seine Vermögensverhältnisse hatte offenlegen müssen)
„Das ist wie ein apokalyptischer Traum.“
(Middelhoff zu Pfändungsversuchen von Gläubigern am Rande seines Untreue-Prozesses vor dem Essener Landgericht)
„Er hat eigentlich immer gearbeitet, immer, immer.“
(Middelhoffs Gattin Cornelie Middelhoff als Zeugin vor Gericht zur Arbeitsbelastung ihres Mannes)
„Das war ein fliegendes Büro für ihn.“
(Ein früherer Mitarbeiter Middelhoffs als Zeuge vor Gericht zu den umstrittenen Charterflügen seines Ex-Chefs)
„Stau war das Schlimmste für ihn.“
(Der langjährige Fahrer des Managers als Zeuge vor Gericht)
„Mir und meiner unternehmerischen Tätigkeit ist großer Schaden zugefügt worden.“
(Middelhoff zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn, die er als „uferlos“ und „unverhältnismäßig“ empfindet)
„Ich habe mich nie als Controllerin meines Chefs gesehen.“
(Eine ehemalige Sekretärin des Managers, die sagte, sie habe Middelhoffs Entscheidungen als „gottgegeben“ hingenommen.)
Der Vorsitzende Richter Jörg Schmitt begründete den Haftbefehl gegen Middelhoff damals mit Fluchtgefahr. Ausschlaggebend dafür seien die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe, der Wohnsitz im Ausland und die unklare berufliche Situation des Managers.
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Mit dem überraschend harten Urteil war das Gericht nur leicht unter der Forderung der Staatsanwaltschaft geblieben. In seiner zweistündigen Urteilsbegründung sagte der Richter, die sechsmonatige Verhandlung habe die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zu großen Teilen bestätigt.
Middelhoff hat allerdings Revision gegen das Urteil eingelegt. Es ist damit noch nicht rechtskräftig. Der Manager hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets bestritten.