Das 49-Euro-Ticket für den Nahverkehr wird sich nach Ansicht der Branche voraussichtlich weiter verspäten. „Der Zeitpunkt des Beginns wird der 1. Mai sein”, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Oliver Wolff, der „Frankfurter Allgemeinen”.
Viel früher sei es nicht möglich. Es gebe noch viel zu tun, bis alles administrativ geregelt sei. Er nannte den Prozess der Tarifgenehmigung als Beispiel. Zudem müssten die Tarifsysteme der Verkehrsverbünde umgestellt werden. Bundesverkehrsminister Volker Wissing dringt unterdessen darauf, das Ticket trotz Bedenken rasch einzuführen.
Das Deutschlandticket ist Thema bei der digitalen Verkehrsministerkonferenz am Dienstag. Wissing hatte als Ziel für die Einführung der neuen Fahrkarte für 49 Euro im Monat Anfang 2023 genannt. Sie soll Nachfolger des 9-Euro-Tickets werden, das im Sommer millionenfach verkauft wurde.
Streit über Finanzierung des 49-Euro-Tickets
Wissing dringt darauf, die Pläne schnell umzusetzen. „Es gibt einen einstimmigen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz, der alle bindet. Wichtig ist, dass dieser jetzt zügig umgesetzt wird und nicht ständig neue Dinge diskutiert werden”, sagte der FDP-Politiker der Funke-Mediengruppe. Die Bürger warteten auf das Ticket.
Ziel sei die schnellstmögliche Einführung im kommenden Jahr. Das genaue Startdatum ist unklar. Niedersachsens Verkehrsminister Olaf Lies etwa geht davon aus, dass das Ticket sicher nicht vor dem 1. März und eher am 1. April starten wird.
Einfach, aber teurer: Was kann das geplante Nahverkehrsticket?
Ob sich die Monatskarte für 49 Euro für Stammkunden rechnet, hängt von Ort und Fahrtstrecke ab. Wer nur innerhalb seiner eigenen Stadt unterwegs ist, den erwartet ein mehr oder weniger großer Rabatt. In Frankfurt kostet das Abo in der günstigsten Variante rund 77 Euro, in Berlin um die 63 Euro und in Paderborn nur etwa 55 Euro.
Klarer ist die Sache für Menschen, die aus dem Umland in Innenstädte pendeln. Für sie lohnt sich das geplante Angebot in den allermeisten Fällen. Denn bisher galt bei den Tarifen: Je weiter, desto teurer. Wer etwa die 50 Kilometer zwischen Lüneburg und Hamburg pendelt, zahlt im Abo mindestens rund 187 Euro im Monat. Kommt der Einheitspreis, dann gilt: Je weiter, desto größer die Ersparnis.
Viele haben sich daran gewöhnt: allmorgendlich Stau, Nervenprobe auf Einfallstraßen der Großstadt. Ein neues, dauerhaft günstiges Ticket für Busse und Bahnen könnte da manche ins Grübeln bringen - und vielleicht zum Umstieg bewegen. Jedoch: Bus- und Bahnfahren ist in den meisten Fällen schon jetzt günstiger als ein eigenes Auto. Denn dieses schlägt jeden Monat mit mehreren hundert Euro zu Buche. Viele fahren trotzdem Auto, der Preis ist für sie nicht das Hauptargument.
Das 9-Euro-Ticket hat sich vor allem an touristischen Zielen bemerkbar gemacht. Viele nutzten die Gelegenheit für günstige Ausflüge. Das dürfte sich bei einer Nachfolgelösung für 49 Euro ändern. Denn für gelegentliche Tagesausflüge, gerade mit mehreren Reisenden, sind häufig die bestehenden Länder-Tickets der Bahn oder das bundesweiten Quer-durchs-Land-Ticket günstiger.
Wenn in der Nähe selten Busse oder Züge halten, bringt auch die günstigste Fahrkarte nicht viel - so wie in vielen Dörfern. An mehr als jeder dritten Haltestelle in Deutschland kann man nach Berechnungen der Bahn-Tochter Ioki nicht mal einmal pro Stunde in die eine oder die andere Richtung fahren. Auch der Autofahrerclub ADAC mahnt an, weiterhin Lücken im öffentlichen Angebot zu schließen.
Es müsse nicht nur Geld für günstigere Fahrkarten geben, sondern auch für mehr Busse und Bahnen, heißt es beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). „Andernfalls müssen im kommenden Jahr umfassend Leistungen abbestellt werden, da diese mit den vorhandenen Mitteln nicht mehr finanziert werden können“, ergänzt der Bundesverband Schienennahverkehr.
„Es fehlt die Familienkomponente“, kritisiert Karl-Peter Naumann, der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn. Denn eine kostenfreie Kindermitnahme wie beim Vorbild 9-Euro-Ticket ist bisher jedenfalls nicht angekündigt. Das werde manche davon abhalten, auf Bus und Bahn umzusteigen. „Für den Autofahrer macht es bei den Kosten aber keinen Unterschied, ob er seine Kinder mitnimmt.“
Eine gute Stunde fährt der ICE morgens von Berlin nach Wolfsburg, eine Verbindung, die auch Berufspendler nutzen. Wollten sie das neue Ticket nutzen, müssten sie mehr als drei Stunden in Nahverkehrszügen verbringen - keine gute Alternative. Das gleiche gilt für Fernreisen durch Deutschland, sofern man nicht sehr viel Zeit hat. Doch wer viel Zeit hat, kann sich auch rechtzeitig Sparpreis-Tickets für den Fernverkehr ab 17,90 Euro sichern und mit dem ICE fahren.
Auch über die Finanzierung gibt es Streit. Das Ticket kostet den Planungen zufolge drei Milliarden Euro. Bund und Länder finanzieren das je zur Hälfte. VDV-Hauptgeschäftsführer Wolff sagte der „FAZ”: „Drei Milliarden Euro werden nicht reichen.”
Der Bund der Steuerzahler forderte die Bundesregierung auf, auf Bundeszuschüsse für das Ticket zu verzichten und die Finanzierung den Ländern zu überlassen. Es sei falsch, Milliarden in ein subventioniertes, bundesweit geltendes Ticket zu pumpen, sagte Verbandspräsident Reiner Holznagel der „Augsburger Allgemeinen”.
Der Regionalverkehr sei ebenso wie die Finanzierung Ländersache. „Das könnten sie auch finanziell stemmen.” Während der Bund auf 100 Milliarden Euro Minus sitze, verfügten die Länder über ein Plus von 24 Milliarden Euro. „Sie betrachten die Verkehrspolitik als ihr Hoheitsgebiet, außer, wenn es um die Finanzierung geht – dann soll der Bund einspringen.”
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