WirtschaftsWoche: Herr Rohrbeck, seit 1979, also seit beinahe 35 Jahren, naja: verkörpert Ihre Stimme den Ersten Detektiv Justus Jonas im Hörspiel „Die drei ???“ – kennt irgendjemand die Reihe besser als Sie?
Oliver Rohrbeck: Es hört sich vielleicht seltsam an, aber die- oder denjenigen gibt es ganz bestimmt. Und das liegt schlicht daran, dass ich zwar seit so langer Zeit zusammen mit Andreas Fröhlich und Jens Wawrczeck die „drei ???“-Hörspiele spreche. Aber wir treffen uns zu den Aufnahmen, nehmen eine Folge in drei Tagen auf, und das war es dann. Dann liegen die Bänder bei mir daheim, aber ich gehe ja nicht jeden Abend an mein Regal mit Musikkassetten und suche mir heute mal Fall 132 raus. Da sind die treuen „???“-Fans ganz anders: Sie hören das viel öfter und kennen die einzelnen Geschichten meist viel besser als wir Sprecher.
Hatten Sie mit so vielen Fans gerechnet, als Sie 2002 erstmals mit dem Hörspiel live auf Tournee gegangen sind?
Im Leben nicht - wir waren ehrlich gesagt ziemlich baff über die Resonanz: Wir hatten erwartet, wenn es hoch kommt vor maximal 400 Leuten aufzutreten, in Büchereien oder so was. Tatsächlich hatten wir bei der ersten Show schon mehr als 1800 Zuschauer im Audimax in Hamburg. Während dieser Tour haben wir gespürt, dass es bei den „drei ???“-Fans offenbar einen sehr großen Bedarf danach gibt, zusammen zu kommen. Denn es hören zwar sehr viele Menschen seit ihrer Kindheit diese Kassetten und CDs. Das tun sie aber natürlich meistens zu Hause. Deshalb kamen sich die meisten wohl auch schon etwas komisch vor, auch als 30-Jähriger Erwachsener immer noch gern mal so ein Hörspiel wie früher zum Einschlafen aufzulegen. Und dann kamen die zu uns zum Live-Hörspiel und haben sich plötzlich unglaublich wohlgefühlt, mit so vielen Gleichgesinnten zusammen ihren Kindheitshelden zu lauschen. Da haben sie gemerkt: Eigentlich bin ich ziemlich normal.
Offenbar hatten Sie damals einen Nerv getroffen – gab das auch den Ausschlag dafür, seitdem eine Woche vor der Veröffentlichung eines neuen Hörspiels an wechselnden Orten den Fans das neue Stück vorzuspielen?
Ja, nachdem wir festgestellt hatten, dass es da ganz offensichtlich bei den Fans eine echte Nachfrage gab, gemeinsam den Abenteuern von Justus, Bob und Peter zu lauschen, haben wir das 2004 als regelmäßige Veranstaltung eingeführt. Ich hatte kurz zuvor in Berlin das Unternehmen Lauscherlounge gegründet, wo wir auch Klassiker und andere Hörspiele aufnehmen, aber eben seitdem auch die sogenannten Record Release Partys veranstalten. Die waren vom Start weg gut besucht und werden immer noch größer. Wir haben seitdem keinen Fall mehr ausgelassen.
"Eine gewachsene und stabile Marke"
Zahlen Sie als Lauscherlounge dafür eine Lizenz an Sony oder an Europa?
Nein , das ist eher eine Fanveranstaltung und nicht etwas, was nun extremen Gewinn abwirft. Bei den Fans ist das sehr beliebt und Sony weiß das zu schätzen. Klar ist: Diese Veranstaltungen müssen sich selber tragen, niemand möchte draufzahlen. Aber es ist kein echtes eigenständiges Geschäftsmodell, dafür reicht das allein nicht aus. Wenn ich jetzt noch etwas an Sony abführen müsste, müsste ich die Eintrittspreise erhöhen und keiner der Beteiligten ist daran interessiert, dass es plötzlich in Fankreisen heißt, alles, was mit „drei ???“ zu tun hat, werde nun plötzlich teuer. Wir bemühen uns alle, den Fans zu signalisieren, dass solche Veranstaltungen wirklich für sie gedacht sind.
Kommen die Fans wegen den „drei ???“ oder wegen den drei Sprechern?
Es ist sicher eine Mischung aus beidem. Wir geben nun mal einer Sache, die eigentlich nur im Kopf der Zuhörer und Leser stattfindet, ein Gesicht und einen Ort. Aber ich glaube nicht, dass die Zuhörer sich unsere Gesichter vorstellen, wenn sie daheim ihre Kassette anhören. Justus sieht sicher nicht so aus wie ich, der hat wahrscheinlich so viele Gesichter wie Fans. Wir sind eher der Verbindungsbogen, das, was die Marke für sie greifbar macht. Es kommt noch etwas hinzu: Wir werden alle gemeinsam älter. Wir drei Sprecher machen das jetzt seit mehr als 30 Jahren, und die Menschen hören das ebenso lange. Das verbindet uns. Die Marke dagegen wird nicht wirklich älter – es bleibt ja ganz bewusst immer im ungefähren, wann die Geschichten spielen. „Die drei ???“ spielen in ihrem eigenen zeitlosen Kosmos.
Die Zuhörer klinken sich aus…
…genau, unsere Stimmen holen die Menschen raus aus ihrem Stress-Alltag. Die sagen sich abends: Im Job hatte ich Stress, die Beziehung ist womöglich gerade anstrengend, da haue ich mich heute mal früher ins Bett, wie früher als Kind, wo mir die Mami noch ein Glas Milch ans Bett gebracht hat, und dann bin ich dabei eingeschlummert. Deshalb sind die „drei ???“ auch so eine gewachsene und stabile Marke. Solange man die Fans nicht nervt oder mit 1.000 Dingen überfällt, bleibt das auch so.
Bei der Präsentation der 165. Hörspielfolge Ende November in Marburg kamen weit mehr als 400 Zuhörer – ist das normal bei Ihren Veranstaltungen? Sind da immer schon Hundertschaften angerückt?
Das war von Anfang an so: Angefangen haben wir 2004 in Hamburg, wo wir das Museumsfrachtschiff „Kap San Diego“ dafür gemietet hatten. Für den Anlass hatten wir extra 50 Sitzsäcke gekauft; die haben wir uns in Berlin aufs Auto geladen und sind damit nach Hamburg gefahren, weil die Leute beim Zuhören unheimlich gern auf dem Boden liegen oder dabei kuscheln. Und da passten damals schon so etwa 350 bis 400 Leute rein. In München oder auch in Bielefeld hatten wir mal 700 Leute. Und es wächst weiter – wir sehen zu, dass wir immer wieder auch in neue Städte gehen. Und wir machen auch Neues: Im Sommer hatten wir drei Rocky Beach Partys unabhängig von einer Neuveröffentlichung – das ist ein bisschen wie Kindergeburtstag: Wir verlosen CDs und T-Shirts, ich mache eine Mitmachthörspiel und wir machen ein „drei ???“-Rätsel. Damit waren wir beispielsweise in einem Strandbad am Essener Baldeneysee – da kamen 1000 Leute, die da bei strömendem Regen im Matsch saßen. Es war kalt und ungemütlich – und die waren trotzdem da.
"Das Ding auf keinen Fall überdrehen"
Im kommenden März gehen Sie auf Deutschland-Tour – wie läuft der Vorverkauf?
Die meisten Hallen sind bereits ausverkauft. Die Nachfrage ist riesengroß. Deshalb ist auch kein Denken daran, das ganze zurückzudrehen und sagen: Jetzt gehen wir nur noch in die kleinen Hallen. Erstens gibt es kaum noch 2.000er Hallen. Zweitens müssten wir, um diese ganze Nachfrage zu befriedigen und zu verhindern, dass sich die Leute zurückgesetzt fühlen, am Ende statt 22 locker 60 bis 70 Termine einrichten. Und das geht nicht. Das ist am Ende auch eine Frage der Kraft für uns Künstler. Und ganz ehrlich: Das macht Riesenspaß, aber praktisch jeden Tag einen Auftritt hinzulegen, ist auch brutal.
Der nächste Schritt wären dann die großen Fußball-Stadien…
Nein, auf keinen Fall, das wäre Wahnsinn, das würden wir nicht machen, das hieße wirklich, das Ding zu überdrehen. Und ehrlich gesagt: Was wir jetzt erleben, ist doch auch so schon ein Traum. Schauen Sie: Ich bin gelernter Schauspieler und habe vor ein paar Dutzend, aber auch schon vor 800 Zuschauern auf der Bühne gestanden. Aber dass ich nun plötzlich in meinem Beruf in solchen Hallen vor 15.000 Menschen auftreten und dabei noch meinen Text vom Blatt ablesen darf, das ist schon großartig. Denn auch, wenn eine solche Tour nun vielleicht alle fünf Jahre kommt, darf ich dazwischen ein normales Leben führen ohne Superstar-Allüren und Blitzlichter. Ich muss nicht abends überlegen, in welches Restaurant ich gehe aus Sorge, ständig erkannt zu werden.
Und den Rest des Jahres kümmern Sie sich um Ihre Lauscherlounge oder leihen US-Filmstars wie Ben Stiller Ihre Stimme?
Ja, mit den „drei ???“ beschäftigen mich in Jahren ohne Tournee an den sechs, sieben Terminen, an denen ich für die Aufnahmen jeweils für drei Tage nach Hamburg fahre. Aber ich möchte mich nicht nur auf „Die drei ???“ beschränken. Neben der Lauscherlounge, wo ich drei Mitarbeiter beschäftige, betreibe ich mit einem Partner zusammen in Berlin das Hörspielstudio XBerg mit Studios in Kreuzberg und Tiergarten.
Für wen produzieren Sie dort?
Wir produzieren in sieben eigenen Studios als Dienstleister für Verlage wie den Hörverlag und Random House, Argon, Lübbe und dtv, aber auch für den Musikkonzern Universal Hörbücher und beschäftigen dort mittlerweile mehr als 40 Mitarbeiter. Wir sind außerdem kurz davor, auch in Leipzig einen Ableger zu eröffnen.