Der Wirtschaftswissenschaftler und Sportökonom Gerd Nufer ist Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing.
WirtschaftsWoche: Olympia-Sponsor Toyota will im Fernsehen nicht mit den Spielen von Tokio werben – ist das aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?
Gerd Nufer: Es ist auf alle Fälle bemerkenswert: Ein japanischer Olympia-Sponsor nutzt das Event im eigenen Land nicht maximal aus, um auf sein Sponsorship aufmerksam zu machen und mit dem Thema Olympia zu werben. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Mehrheit der japanische Bevölkerung dagegen ist, die Olympischen Spiele trotz der Coronapandemie durchzuführen.
Erwarten Sie nach der Entscheidung von Toyota eine Kettenreaktion, werden sich weitere Sponsoren von den Spielen lossagen?
Eine Kettenreaktion erwarte ich nicht. Aber es bleibt abzuwarten, ob noch der eine oder andere weitere Olympische Partner einen ähnlichen Weg einschlagen wird. Bei der Fußball-Europameisterschaft war die Ausgangssituation vergleichbar. Hier hat sich letztlich kein Sponsor abgewendet.
Leidet das Image von Unternehmen, die jetzt noch mit Olympia in Tokio werben?
Die Befürchtung eines negativen Imagetransfers von einem umstrittenen Event auf die eigene Marke ist der Grund für das Verhalten von Toyota.
Was kann der Autokonzern nun machen?
Durch den Stopp seiner Olympia-Kampagne versucht Toyota, gesellschaftliche Verantwortung zu demonstrieren. Ein Ziel, das üblicherweise ebenfalls mittels Sponsoring verfolgt wird – hier aber umgekehrt durch den Verzicht auf Olympia-bezogene TV-Werbung zum Ausdruck gebracht werden soll. Das ist sehr interessant.
Gilt das gleichermaßen für die internationalen Großsponsoren wie Coca-Cola und AirBnB wie für die Dutzenden japanischen Unternehmen, die nur im Heimatmarkt sichtbar sind? Wer ist stärker betroffen?
Die Pandemie trifft alle. Global agierende Sponsoren verfolgen durch Sponsoring üblicherweise Ziele wie Imageverbesserung und Bekanntheitsgradsteigerung vor einem weltweiten Publikum. Nationale Olympia-Partner haben typischerweise nicht den Weltmarkt vor Augen, sondern streben häufig Business Development im Austragungsland an. Toyota ist zwar ein japanisches Unternehmen, agiert jedoch weltweit.
Coca-Cola und die anderen Großsponsoren stecken jeweils mehr als 300 Millionen Dollar in das Olympia-Sponsoring, die fast 70 japanischen Sponsoren zusammen angeblich weitere drei Milliarden Dollar – müssen die Unternehmen das Geld nun komplett abschreiben?
Nein, komplett abschreiben sicher nicht. Ich gehe davon aus, dass auch zu Pandemie-Zeiten ein Milliardenpublikum die Spiele im TV verfolgen und damit die Sponsoren und ihre Botschaften wahrnehmen wird – ähnlich wie es auch kürzlich bei der EURO 2020 der Fall war.
Hätten das IOC und das lokale Organisationskomitee aus Sponsorensicht die Spiele komplett absagen sollen?
Das ist eine Frage, die ich nicht aus Sportmarketing-Perspektive beantworten kann, sondern Pandemie-Gesichtspunkte zur Sensibilisierung heranziehen möchte: Eine europaweit ausgetragene Fußball-Europameisterschaft mit reisenden Fans in gut bis sehr gut gefüllten Stadien war sicher nicht die beste Idee, was die Bekämpfung des Virus anbelangt. Nach Japan reisen dagegen nicht die Fans, sondern die Sportler. Und diese sind häufig Amateure in Randsportarten haben jahrelang für ihre sportlichen Wettkämpfe trainiert. Olympia mit einem Jahr Zeitverschiebung stattfinden zu lassen, aber Zuschauer vor Ort auszuschließen, halte ich ex ante für einen gut gemeinten Kompromiss, dessen Sinnhaftigkeit sich letztlich erst ex post evaluieren lassen wird.
In der Vergangenheit gab es häufig im Vorfeld von Großereignissen Kritik. Sobald aber die ersten Medaillen zu feiern waren, war sie vergessen – wird sich das Muster wiederholen?
Das stimmt, diese Entwicklung war in der Vergangenheit in der Tat schon häufiger zu beobachten. Grundsätzlich könnte es also wieder ähnlich sein. Was dagegen spricht: Die Pandemie wird auch nach den ersten Medaille unverändert ein weltweites Thema sein, das sportliche Erfolge der eigenen Athleten nicht vergessen machen, sondern bestenfalls davon ablenken können.
Die nächsten Winterspiele finden bereits 2022 in Peking statt; in dem Zusammenhang ist der Umgang Chinas mit den Uiguren ein internationaler Kritikpunkt, es droht ein Boykott der Spiele – da stecken die Sponsoren doch schon wieder in der Klemme, oder?
Richtig, da braucht man nur zu den Sommerspielen 2008 in Peking zurückzublicken. Auch da gab es schon massive Kritik an die Adresse von China und an Sponsoren, die die Olympische Spiele in diesem Land unterstützt haben.
Oder handeln die Sponsoren nach der Devise Augen zu und durch – und 2024 in Paris ist alles wieder gut und vergessen? Geht das noch auf angesichts immer wacherer Verbraucher?
Nein, dieser scheinbare Automatismus funktioniert zunehmend nicht mehr. Die Zusammensetzung der Sponsorenschaft der größten, internationalen Sport-Events wie Fußball-Welt- oder Europameisterschaften oder Olympischen Sommer- und Winterspielen wandelt sich signifikant: Westliche Sponsoren ziehen sich zunehmend zurück. An deren Stelle rücken Unternehmen aus Ländern mit einer anderen Sicht der Dinge, um es dezent zu formulieren.
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