Omikron trifft die Logistik Wie lange halten unsere Lieferketten noch?

Die schnelle Verbreitung der Omikron-Variante bedroht die Logistik-Branche. Den Unternehmen fehlen tausende Fahrer und Fahrerinnen, ein hohen Krankenstand könnte die Branche nicht verkraften. Quelle: dpa

Die Omikron-Variante wird für die Logistikbranche zum nächsten Risiko. Den Unternehmen fehlen ohnehin tausende Fahrer und Fahrerinnen – einen hohen Krankenstand können nicht alle verkraften.

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Noch scheinen die Lieferketten zu halten, sagt Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL). „Allerdings verschärft sich die Lage mit jedem Tag.“ Jeden Tag, den die Inzidenz weiter steigt.

Die Omikron-Variante breitet sich rasant in Deutschland aus. Mittlerweile hat die Zahl der Neuinfektionen die Marke von 100.000 am Tag überschritten, meldet das Robert-Koch-Institut (RKI). Wer sich angesteckt hat, egal ob sich Symptome zeigen oder nicht, soll in Quarantäne. Ebenso die Kontaktpersonen. Doch das bedeutet, dass vielen Branchen Personal fehlt.

Vor allem für die Logistikunternehmen ist das ein Risiko. Die Corona-Pandemie hat die Lieferketten ins Chaos gestürzt, viele Unternehmen leiden seit Monaten unter Rohstoff-Engpässen und Lieferverzögerungen. Spediteure sind noch immer dabei, diese Probleme abzuarbeiten. Noch schwerer belastet die Branche der Fachkräftemangel. Allein in Deutschland fehlen 80.000 Lkw-Fahrer und Fahrerinnen, schätzt der BGL. Und die Lücke wächst, jedes Jahr gehen etwa 30.000 Kraftfahrer in Rente. Nur 17.000 steigen neu in den Beruf ein. Viele aber wollen nicht bleiben – die Bezahlung und Arbeitsbedingungen sind zu schlecht. Die Unternehmen müssen daher um Personal kämpfen. Viele haben offene Stellen, können also auch einen hohen Krankenstand nicht lange abfedern.

Der steigende Krankenstand macht Spediteuren und Transporteuren zu schaffen. Wir müssen das Risiko eines Ausfalls der Transportnetze endlich ernst nehmen – und entsprechend vorsorgen.
von Jacqueline Goebel

Wie heftig die Unternehmen bereits betroffen sind, ist unklar. „Stellenweise berichten uns Mitgliedsunternehmen bereits von um fünf bis zehn Prozentpunkte erhöhten Krankenständen“, sagt Engelhardt vom BGL.

Große Spediteure scheinen noch keine Probleme zu haben: „Wir beobachten aktuell keine Auswirkungen auf unsere Betriebsfähigkeit“, heißt es bei der Deutschen Post DHL. Die Spedition Dachser sieht in der Omikron-Variante und den stark steigenden Infektionszahlen eine Herausforderung, erklärt jedoch ebenso, dass es zum aktuellen Zeitpunkt keine Einschränkungen im Service gebe. Bei Kühne+Nagel sei die personelle Situation in Deutschland „angespannt“, aber „im Griff“, sagt ein Sprecher.

Doch noch ist die aktuelle Coronawelle nicht an ihrem Höhepunkt angekommen – laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) könnte das erst Mitte Februar der Fall sein. Und so könnte der Krankenstand bei den Speditionen und Konzernen trotz durchdachter Hygiene-Konzepte und Sicherheitsmaßnahmen noch weiter ansteigen.

Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) führte deshalb Anfang Januar eine Umfrage unter seinen Mitgliedsunternehmen durch: Wie würde es sich auswirken, wenn auf einmal 30 Prozent des Personals ausfallen sollten?

Der Verband hat die Antworten ausgewertet und daraus Empfehlungen abgeleitet. „Bislang haben die Lieferketten aufgrund der soliden und dezentralen Organisationsstruktur der Transport- und Logistikwirtschaft gehalten“, schreiben die Studienautoren. Im Fall, dass 30 Prozent des Personals ausfallen sollten, könne „dies nicht mehr vollständig gewährleistet werden,“ warnt der Verband. Wahrscheinlich könnten nicht mehr alle Transporte abgewickelt werden, Kunden müssten mit erheblichen Lieferverzögerungen rechnen.

Deshalb brauche es Entscheidungen, welche Lieferungen in einem solchen Szenario Vorrang bekommen: „Eine Priorisierung der Transportaufträge ist im Falle eines solchen Szenarios unerlässlich“, schreibt der BGL in seiner Stellungnahme. Der Verband fordert dabei, den Transport von Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs zu bevorzugen – Industriegüter hingegen sollten Nachrang haben.

Dazu brauche es auch einen Krisenstab, fordert das BGL. Der etwa könne beim Bundesamt für Güterverkehr angeordnet sein – das Amt ist ohnehin für die Krisenvorsorge im Bereich Verkehr zuständig. Bei diesem Krisenstab könnten Unternehmen etwa Kapazitätsengpässe anmelden, der Krisenstab könnte in regionalen Gebieten Touren umleiten oder auch anderen Unternehmen zuordnen.

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Sollte es tatsächlich zu einem massiven Personalausfall kommen, müssten außerdem Arbeitsvorschriften gelockert werden. So könne das Sonntagsfahrverbot ausgesetzt oder die erlaubte Wochenarbeitszeit erhöht werden, schlägt der Verband vor. Lastwagenfahrer sollen außerdem auch im Falle eines Kontakts zu Infizierten schneller wieder einsatzbereit sein: „Die gesetzlichen Quarantäneregeln im Falle einer Infektion sollten auf das absolut Notwendige verkürzt werden“, fordert der BGL.

Diese Vorschläge habe man bereits Anfang Januar an die Bundesregierung übergeben. „Leider bis dato ohne Reaktion“, heißt es von dem Verband.

Mehr zum Thema: Häfen und Straßen sind verstopft, Frachtraum bleibt knapp. Vieles spricht dafür, dass das Chaos in den Lieferketten auch in diesem Jahr anhalten wird. Vor allem die Logistik verteuert sich. Dauerhaft. Unternehmen müssen sich radikal umstellen.

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