
Bei seiner Reform der Lufthansa setzt der neue Konzernchef Carsten Spohr zumindest örtlich auf Überraschungen. Am Mittwoch will der 47-Jährige seinen Umbauplan nicht in der Konzernzentrale am Frankfurter Flughafen präsentieren, sondern am Rand des Odenwalds. Das Schulungshotel der Fluglinie ist ein sicherer Hort, abseits aller Stürme durch wachsende Belastungen durch Politik, Billigflieger wie Easyjet und Ryanair oder Golfairlines wie Emirates aus Dubai oder Qatar Airways.
Wem die Deluxe-Herberge als Vorbote dafür erschien, Spohr könne in seinem gut neunmonatigen Rückzug aus der Öffentlichkeit seit der plötzlichen Kündigung seines Vorgänger Christoph Franz etwas weltfremd geworden sein, den korrigierte der Konzernlenker heute Morgen. In Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angelas Merkel unterzeichnete er die erste tiefe Partnerschaft einer westlichen Fluglinie mit einer Airline aus China.
Carsten Spohr: Pilot und Lufthansa-Kenner
Charismatisch, flugbegeistert und erfahren: Mit Carsten Spohr hat sich die Lufthansa für einen Favoriten auf den Chefposen entschieden. Seine steile Karriere bei der Airline findet so ihre Krönung.
Carsten Spohr wurde 1966 in Wanne-Eickel im nördlichen Ruhrgebiet geboren. Nach seinem Studium zum Wirtschaftsingenieur an der Universität Karlsruhe erwarb er die Verkehrspiloten-Lizenz an der Fliegerschule der Lufthansa. Danach absolvierte er das Trainee-Programm bei der Deutschen Aerospace AG.
Mit 27 Jahren kehrte Spohr zu der Airline zurück und schlug dort eine steile Karriere ein: Zunächst übernahm er die Leitung des zentralen Personalmarketings, später arbeitete er sich über verschiedene Funktionen zur Koordination der Regionaltöchter und dem Airline-Bündnis Star Alliance in die Spitze der Kerngesellschaft Lufthansa Passage empor. Zeitweise war er Assistent von Lufthansa-Legende Jürgen Weber.
Als Chef der Frachttochter Lufthansa Cargo lieferte Spohr bis zur Finanzkrise blendende Ergebnisse und zog schließlich 2011 gemeinsam mit dem scheidenden Lufthansa-Chef Christoph Franz in den Konzernvorstand ein. Gemeinsam setzten sie das harte Sparprogramm „Score“ durch.
Anfang Februar 2014 hat die lange Suche nach einem Nachfolger für Christoph Franz ein Ende: Lufthansa will Carsten Spohr zum neuen Vorstandschef machen. Der 47-Jährige galt im Vorfeld schon als Favorit.
Auch wenn seine Beliebtheit in der Belegschaft während der Sanierung abgenommen haben dürfte, gilt der begeisterte Flieger Spohr als charismatischer Gegenpol zu Franz. Dessen kühle, analytische Art verprellte viele Lufthanseaten. Spohr ist verheiratet und hat zwei Töchter.
Die wirkt auf den ersten Blick etwas konventionell. Denn die Partner planen ein Gemeinschaftsunternehmen, bei der sie Einnahmen und Ausgaben teilen. Nach dem Prinzip hat sich die Lufthansa bereits vor Jahren mit ihren Partnern All Nippon aus Japan oder United Airlines und Air Canada aus Nordamerika zusammengetan. Da ist der Schritt nach China überfällig. Denn die ersten Abkommen über Gemeinschaftsflüge schlossen Lufthansa und Air China bereits zur Jahrtausendwende.
Größere Dimension
Doch der Vertrag mit Air China hat eine viel größere Dimension als die beiden anderen Abkommen. Die Kontrakte mit All Nippon sowie United Airlines und Air Canada sollten vor allem das kaum noch wachsende Geschäft mit Flügen nach Japan sowie die USA und Kanada absichern. Dazu sind beide Märkte fast gar nicht bedroht durch die Konkurrenz der Golf-Airlines. Spohr China-Verbindung hingegen soll die Stellung Europas größter Fluglinie im wichtigsten Markt der Branche retten und helfen, gegen die Konkurrenz vom Golf Boden gut zu machen.
Zum einen legt der China-Verkehr zu. Die Zahl der Passagiere von und ins Reich der Mitte wächst nicht nur doppelt so stark wie in der Verkehr mit westlichen Ländern. In den Maschinen sitzen mehr als in anderen Märkten gut zahlende Premium-Passagiere.
Die Sparprogramme der Lufthansa
Nach dem Golfkrieg Anfang der neunziger Jahre brach der Luftverkehr ein und die Lufthansa rutschte wegen zu hoher Kosten und Überkapazitäten an den Rand der Pleite. So startete der 1991 zum Vorstandschef gewählte Jürgen Webers sein erstes Sparprogramm, bei dem er mit Zustimmung der Gewerkschaften 8000 Stellen abbaute. Das Programm war ein Erfolg, nicht zuletzt, weil es die Lufthansa zur Schicksalsgemeinschaft machte und die Arbeit im Sparteam die späteren Konzernchefs Wolfgang Mayrhuber und Christoph Franz zu engen Vertrauten machte.
Trotz der Erfolge der Sanierung knickte der Lufthansa-Gewinn 1996 wieder ein. Die nach wie vor zu hohen Kosten sollte das Programm 15 drücken, von 17 Pfennigen um einen Passagier einen Kilometer weit zu transportieren auf höchstens 15, was einer Einsparung von einer Milliarde Mark oder fünf Prozent des Umsatzes entsprach. Das Programm erreichte das Sparziel eine Milliarde, doch am Ende scheiterte es, weil andere Kosten die Lufthansa wieder zu einem der teuersten Anbieter der Branche machte.
Trotz boomender Wirtschaft sanken Ende der neunziger Jahre die Lufthansa-Gewinne, nicht zuletzt wegen der wachsenden Konkurrenz durch Billigflieger. Darum sollte Operational Excellence nicht nur die Kosten senken, sondern auch die Qualität und besonders die Pünktlichkeit steigern, damit die Lufthansa ihre höheren Preise rechtfertigen konnte. In Sachen Pünktlichkeit half das Programm. Doch zum Qualitätsführer machte es Lufthansa nicht, nicht zuletzt, weil der Bordservice trotz hoher Investitionen unter dem Branchenstandard blieb.
Noch vor dem Ende des New Economy-Booms sackte 2000 der Lufthansa-Gewinn. Weil bisherige Sparprogramme kaum langfristig wirkten, wollte Konzernchef-Jürgen Weber mit D-Check – benannt nach der Generalüberholung eines Flugzeugs – die Arbeitsweise des Unternehmen verändern und die Kosten nachhaltig um eine Milliarde Euro senken. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 kam D-Check akut und wurde dank Streckenstreichungen und Lohnzugeständnissen von gut 200 Millionen Euro mit fast 1,5 Milliarden Euro Ersparnis das einzige erfolgreiche Sparprogramm des Jahrzehnts.
Kaum im Amt musste der neue Konzernchef Wolfgang Mayrhuber nach Krisen wie dem Nachfrageeinbruch durch die Lungenseuche Sars in China für das Jahr 2003 einen erneuten Gewinneinbruch verkünden und wollte mit dem Aktionsplan die Kosten um 1,2 Milliarden Euro senken. Parallel dazu versuchte die Lufthansa ihren Europaverkehr im Rahmen von „Zukunft Kont“ neu und effizienter zu organisieren. Am Ende fehlte dem Programm die klare Linie und weil Flughäfen und anderen Lieferanten kaum Sparbeiträge lieferten, blieb es unter den Erwartungen.
Nach dem wenig erfolgreichen Aktionsplan rückte die Lufthansa in der nächsten Effizienzrunde wieder die Qualitätsverbesserung nach vorne. Doch das komplette „Upgrade to Industrie Leadership“ genannte Programm verpuffte, nicht zuletzt, weil in der 2008 beginnenden Finanzkrise den Kunden und besonders Geschäftsreisenden Qualität weniger wichtig war als ein guter Preis. Darunter litt besonders die Lufthansa, deren Service besonders im Vergleich zu Wettbewerbern wie Emirates eher dürftig ausfällt.
Nach dem Misserfolg des Qualitätsprogramm Upgrade startete Christoph Franz seine Zeit als Chef das Fluggeschäfts mit einem klassischen Sparprogramm. Auch weil es erstmals Entlassungen androhte und einen – Hochverrats verdächtigen - Umbau der Europaflüge in Richtung der Billigflieger vorschlug, musste Franz zurück rudern. Doch weil der Spardruck bleib und der Versuch den Einkauf im Konzern zu zentralisieren, grandios scheiterte, bleib am Ende eine magere Ersparnis von gut 600 Millionen - und an der unzeitgemäß aufwändigen Arbeitsweise änderte sich nichts.
Kaum Konzernchef, kündigte Christoph Franz den in drei wirkungslosen Sparrunden vermiedenen Komplettumbau an: mit zuvor unvorstellbaren Dingen wie Entlassungen, Entmachtung der Konzerntöchter zu Gunsten der Zentrale und dem Übergang der tiefroten Europafliegerei zur Billigtochter Germanwings. Die Aussichten sind gut, weil Franz Erfolge vorsichtig feiert, die Führung durch konzernfremde Manager ergänzte, der ganze Vorstand in Workshops für das Programm wirbt - und Franz beim Umbau der Tochter Austrian zeigte, dass er noch radikalere Dinge wie ein Ausflaggen nicht fürchtet.
Mehr Geschäftsreisende
Wegen des starken wirtschaftlichen Wachstums und der zunehmenden Zahl von Niederlassungen westlicher Unternehmen jetten hier mehr Geschäftsreisende als anderswo. Dazu kommen mehr gehobene Touristen. Chinas Mittelklasse beginnt erst in den Westen zu reisen. Bei diesen Trips in den Rest der Welt legt sie einen vergleichsweise hohen Wert auf Komfort wie Lounges, Vorrang an den Sicherheitskontrollen, schnellere Umsteigezeiten sowohl in Europa als auch in China. Und sie schätzt maßgeschneiderten Service der Flughäfen, wie ihn Frankfurt bietet. Wer diese Kunden einmal an Bord hatte und überzeugen könnte, verliert sie weniger schnell an die Konkurrenz.
Zweiter und fast noch wichtigerer Punkt für die Lufthansa: In China kämpft sie die entscheidende Schlacht gegen die Golfairlines. Bei den Flügen nach China bietet die Lufthansa – im Gegensatz zu Routen nach Singapur oder Thailand - ihren Passagieren von und nach Europa einen deutlichen Vorteil in Form kürzerer Reisezeiten.
Wer zwischen Frankreich, Deutschland oder Großbritannien einerseits und China andrerseits reist, ist über die großen Umsteigeflughäfen in den Emiraten Dubai, Abu Dhabi oder Katar bis zu einem Drittel länger unterwegs. Dazu wird er mitten in der Nacht aus seinem Business-Class-Bett gescheucht, während er bei Lufthansa, Air France oder British Airways durchschlafen kann. Das wissen sowohl Manager, die nach der Landung mit ihren Kunden verhandeln müssen ebenso zu schätzen wie viele Touristen - und zahlen dafür.