Pflege-Skandal Woran Sie ein gutes Pflegeheim erkennen

Nach den Enthüllungen über die skandalösen Zuständen in Pflegeheimen sind viele Deutsche in Sorge. Ein Experte erklärt, wie man erkennt, ob Angehörige im Heim wirklich gut aufgehoben sind.

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Pflege-Experte Schell kennt die Vorurteile gegen Pflegeheime und weiß, wie man ein gutes von einem schlechten unterscheidet. Quelle: Presse

Die gezeigten Missstände waren gravierend: Patienten, die stundenlang im eigenen Urin lagen, die brutal behandelt und in Notsituationen ausgelacht wurden. Für die Sendung "Team Wallraff" hat eine RTL-Reporterin mit versteckter Kamera in Altenpflegeheimen recherchiert und schockierende Erfahrungen gemacht. Die Enthüllungen schlagen hohe Wellen und die Einschaltquoten für die Reportage-Sendung waren so hoch wie nie.

Die angeprangerten Marseille-Kliniken haben mittlerweile einige Anschuldigungen zurückgewiesen. "Nahezu alle Mängel" seien außerdem weit vor der Ausstrahlung beseitigt worden, heißt es in einer Stellungnahme. Doch bei Angehörigen wächst die Angst: Ist den Pflegeheimen überhaupt noch zu trauen?

Die gute Nachricht: Es gibt Mittel und Wege herauszubekommen, ob für Heimbewohner wirklich gut gesorgt wird. Das versichert Pflege-Experte Werner Schell im Interview.

Herr Schell, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der Qualität von Pflegeheimen. Wie können Angehörige erkennen, ob ihr Verwandter in einem Heim gut gepflegt wird? Vor allem, wenn sich der Kranke selbst nicht mehr gut äußern kann.

Schell: Die Angehörigen sollten in der Einrichtung öfter, zu unterschiedlichen Zeiten und völlig unangemeldet, präsent sein. Man sollte immer erkunden, wie es dem Angehörigen geht. Fühlt er sich wirklich wohl oder hat er Beanstandungen?

Wie sollten Angehörige reagieren, wenn sie sichtbare Mängel entdecken?

Dann müssen sie es problematisieren - und zwar gegenüber den leitenden Dienstkräften beziehungsweise dem Heimträger. Man sollte über Beanstandungen sachlich diskutieren und darauf drängen, dass Mängel umgehend abgestellt werden. Danach ist höchste Wachsamkeit angesagt. Gegebenenfalls muss man nachhaken und feststellen, ob das Beschwerdeverfahren Wirkung erzielt hat und weshalb womöglich nicht.

Und wenn die Leitung nicht ausreichend reagiert?

Sollte es zu gravierenden Beanstandungen kommen, die nicht kurzfristig zu Verbesserungen beitragen, kann man die Heimaufsicht oder die Pflegekasse informieren. Zu bedenken ist dann allerdings, dass dann das Vertrauensverhältnis zwischen allen Beteiligten gestört sein kann. Möglicherweise muss man auch an einen Heimwechsel denken. Ein solcher Heimwechsel ist grundsätzlich möglich. Man muss natürlich die vertraglichen Aspekte berücksichtigen wie Kündigungsfristen. Manchmal kann aber sogar eine fristlose Kündigung gerechtfertigt sein.

Findet sich denn so schnell ein neuer Heimplatz?

Es kann natürlich schwierig sein, zeitgerecht einen neuen Heimplatz zu finden. Insoweit sind vielfältige Überlegungen nötig. Denkbar ist, solche Vorgänge mit der Pflegekasse zu besprechen. Denn diese ist zur Beratung verpflichtet. Hilfe und Unterstützung kann es auch bei den örtlichen Seniorenbüros geben.

Wie kann man ein gutes Heim ausfindig machen?

Sie müssen sich vorweg sorgsam erkundigen und die Einrichtungen möglichst mehrfach aufsuchen. Man sollte sich ansehen, wie der Heimalltag abläuft. Wie ist die Atmosphäre in der Einrichtung? Wie gehen die Mitarbeiter miteinander um? Wie wird mit den Heimbewohnern gesprochen oder umgegangen? Sieht es so aus, dass genügend Pflegekräfte verfügbar sind? Gespräche mit leitenden Dienstkräften sind ratsam. Nach welchen Konzepten wird gepflegt? Sind ausreichend Fachpflegekräfte rund um die Uhr verfügbar? Gibt es ein Beschwerdemanagement für den Fall, das mal was zu beanstanden wäre? Dann sollte man ruhig auch andere Angehörige und Besucher ansprechen und nach ihren Erfahrungen fragen.

Alle Heime bekommen Pflegenoten. Wie aussagekräftig sind die?

Die Orientierung anhand der Pflegenoten, die der Medizinische Dienst der Krankenkasse vergibt, erscheint weniger hilfreich. Diese Pflegenoten orientieren sich vornehmlich an der Dokumentation und geben kaum Auskunft über die wirkliche Ergebnisqualität. Aber grundsätzlich muss man davon ausgehen, dass es gar keine mängelfreien Heime geben kann. Denn die Pflege-Rahmenbedingungen sind unzureichend, so dass seit Jahren eine große Pflegereform gefordert wird. So sind die Stellenschlüssel der Heime nach den geltenden Regeln zu knapp bemessen, um eine qualitätsgesicherte Pflege und Betreuung beanstandungslos zu gewährleisten. Deshalb brauchen wir eine Pflegereform.

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