Plastik „Politik sollte Anreize für mehr Recycling schaffen“

Plastikmüll in Deutschland. Quelle: dpa Picture-Alliance

Mark Garrett, Vorstandschef des österreichischen Kunststoffkonzern Borealis, erklärt im Interview, warum er gerne Deutschlands Plastikmüll hätte und E-Autos ohne Plastik nicht weit kommen.

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Herr Garrett, in einem früheren Interview zitierten Sie einmal aus dem Film „Die Reifeprüfung“. Dort wird dem Protagonisten, gespielt von Dustin Hoffmann, auf seine Frage, welche Branche Zukunft hat, geraten: ‚Plastik, Plastik, Plastik. Das ist die Zukunft‘ Wieweit gilt diese Devise heute noch?
Mehr denn je! Sehen Sie nur nach Kalifornien, welche Veränderungen im Plastik-Bereich dort etwa bei Firmen wie Tesla oder Amazon stattfinden. Das kommt fast einer Revolution gleich. Wenn man einen Tesla 800 Kilometer fahren will, braucht man zwei Sachen: Neue und bessere Batterietechnologie und Leichtbau. Und Kunststoff ist für Leichtbau unabdingbar. Ohne Kunststoff gibt es keinen Leichtbau.

Liefert Borealis denn Kunststoffteile an Tesla?
Wir arbeiten mit Tesla, aber auch mit vielen anderen in der Autobranche zusammen, etwa mit BMW, VW oder Mercedes. Alle diese Unternehmen wollen leichter bauen, ohne Einbußen bei der Sicherheit oder der Stabilität des Autos hinzunehmen. Um diese Stabilität zu gewährleisten, mischen wir etwa Kunststoffe mit Glas- und Carbonfasern. Im Ergebnis ergeben solche Mischungen 60 bis 70 Prozent weniger Gewicht.

Dennoch hat das Image von Plastik stark gelitten. Plastiktüten sind aus deutschen Supermärkten größtenteils verbannt. Wie viel Plastik verträgt eine Gesellschaft?
Natürlich kann man vor solchen Diskussionen nicht die Ohren verschließen. Auch mein jüngster Sohn beschäftigte sich für eine Schularbeit unlängst mit der Frage, ob Plastik segensreich oder schädlich ist. Bei Borealis versuchen wir möglichst werthaltige Produkte zu produzieren. Wir argumentieren sicher nicht, dass man Wegwerf-Tüten aus Plastik verwenden soll. Meine Frau schickt mich etwa jeden Samstag mit den drei selben Tüten einkaufen, die wir seit 25 Jahren besitzen. Und diese Mehrweg-Tüten sind auch sicher besser als  Karton-Tüten, die Sie nicht so lange verwenden können. Die Produkte von Borealis sind aber eben hochwertige Kunststoffprodukte. Betrachten Sie nur die Ummantelung der Hochspannungskabel, die wir herstellen. Ohne Kunststoff können sie das gar nicht produzieren. Oder denken Sie an Wasser- und Ölrohre. Dort bringt Plastik mit seiner Flexibilität viele Vorteile gegenüber Stahl oder Beton. Auch im Fall eines Erdbebens halten solche Leitungen viel besser und verursachen keine Brände. Wir glauben an die Vorteile von Kunststoff.

Sind die erwähnten Produkte etwa für die Autobranche denn recycelbar?
Das ist genau der Punkt. Nehmen Sie eines unserer Hochspannungskabel. So ein Kabel kann 70 bis 80 Jahre lang benutzt werden. Und dann muss es sogar recycelt werden, alleine schon weil das darin enthaltene Kupfer so wertvoll ist. Und auch die Autofirmen setzen auf Recycling. Wir stellen die Produkte immer mehr so zusammen, dass sie recycelbar sind. Ein großer Fehler in der Vergangenheit waren sicher mehrschichtige Plastikverpackungen aus unterschiedlichen Produkten. Das hat das Recycling enorm schwierig gemacht. Wir haben 2016 die Recyclingfirma mtm in Thüringen übernommen. Dort lernen wir eine ganze Menge über Recycling. Auch wir gehen also durch einen Lernprozess, damit wir in diesem Bereich besser werden.

von Jacqueline Goebel, Lea Deuber, Henryk Hielscher, Silke Wettach, Jürgen Salz, Andreas Macho

Wie hat sich das Werk von mtm entwickelt, seit Sie es 2016 übernommen haben?
Wir schließen gerade ein Investitionsprogramm in Höhe von 15 Millionen Euro in den Standort ab. Das Programm führt neue Technologien ein und wird die Kapazität um ein Drittel erhöhen. Damit setzen wir unsere Erkenntnisse um, wie man Plastik besser recyceln kann. Ich bin über die Akquisition und die Investition in Thüringen insgesamt sehr glücklich. Denn es ist wichtig für Firmen wie Borealis, dass wir die Konsequenzen besser verstehen, die wir in der Produktionskette von unseren eigenen Produkten treffen. Damit schließen wir diesen Kreis.

Welche Produkte stellen Sie bei mtm her?
[steht auf und läuft in seinem Büro herum] Ich kann Ihnen Beispiele zeigen. Etwa diesen Filzschreiber der Marke Edding, den wir in einer Ecoline-Serie herstellen. Wir arbeiten auch mit Ikea zusammen, für die wir etwa Mehrweg-Tüten herstellen. Wir planen jetzt auch Mischungen aus Rohstoffen und Recycling-Material. Daran forschen wir aktiv und haben auch schon ein paar solcher Produkte im Markt, etwa Stoßstangen für Autos.

"Natürlich wollen wir wachsen"

Planen Sie noch weitere Übernahmen von Recycling-Unternehmen in  Deutschland?
Ich kann Ihnen nichts zu laufenden Übernahmen sagen. Ich kann nur sagen, dass wir in diesem Bereich wachsen. Übernahmen sind eben nicht zu hundert Prozent planbar, weil andere Unternehmen ja auch Interesse haben. Aber wir schauen immer, ob es Möglichkeiten zu Akquisitionen gibt.

Welchen Marktanteil hat Borealis beim Recycling in Deutschland und Europa?
Prinzipiell ist dieser Markt sehr jung und etwas schwer zu definieren. Aber in Deutschland haben wir etwa 15 Prozent und europaweit rund 4 Prozent. Das waren in Deutschland im vergangenen Jahr fast 70.000 Tonnen. Natürlich wollen wir wachsen und dorthin kommen, wo wir heute mit Polyolefinen sind: Dort stehen wir europaweit bei rund 18 Prozent Marktanteil. Derzeit recyceln wir fast ausschließlich in Deutschland. Dort wollen wir lernen und dann weitermachen.

Warum ist gerade Deutschland so interessant?
Erstens war mit der Übernahme von mtm einfach die Möglichkeit vorhanden. Auch Holland und Österreich wären etwa interessante Märkte für das Recycling. Sie brauchen eben bestimmte Voraussetzungen für Wiederverwertung. In Deutschland gibt es durch den Grünen Punkt etwa eine entsprechende Sortierungsinfrastruktur. Dadurch wird der Plastikmüll so sortiert, dass wir ihn verwenden können. Ohne diese Sortierung können wir nicht recyceln. Und so eine Sortierung gibt es eben nicht in allen Ländern Europas.

Vor zwei Jahren sagten Sie der WirtschaftsWoche, dass Sie mit einer Verdopplung des Marktes für Plastikrecycling in den kommenden fünf Jahren rechnen. Hat sich diese Erwartung erfüllt? Welche Erwartungen haben Sie heute an den Recyclingmarkt?
Der Markt wächst und wird weiter wachsen. Insofern wurde unsere Erwartung bestätigt. Aber es gibt im Markt auch gewisse Probleme. Zum Beispiel wurde viel wertvoller Plastikmüll nach China exportiert. Den hätten wir natürlich gerne verwendet. Der Export hört jetzt zwar auf, weil China das offenbar nicht mehr importieren will. Dadurch haben wir jetzt mehr Material zur Verfügung. Es würde uns aber auch freuen, wenn der Gesetzgeber höhere Verwertungsvorgaben machen würde. Wieder erwähne ich China als Beispiel: Dort müssen 2018 etwa fünf Prozent der hergestellten Autos elektrisch sein. 2019 sind es 10 Prozent und 2020 12 Prozent. So kann man durch Gesetze gewisse Produktionsmethoden forcieren. Genau das würden wir uns vom Gesetzgeber auch wünschen, nämlich höhere Vorgaben zur Wiederverwertung.

Mit welchen weiteren Problemen kämpfen Sie am Recycling-Markt für Kunststoff-Produkte?
Andere Marktstörungen sind neben dem Export und der unzureichenden Sortierung auch die Deponierung und Verbrennung von Müll. Ein Recycling von Kunststoffen im größeren Rahmen verhindern zudem Produkte, deren Herstellung nicht für die Wiederverwertung ausgelegt ist. Was wir auf jeden Fall verhindern müssen, ist die Deponierung oder Verbrennung von Kunststoffabfällen. Der Abfall muss getrennt von anderen Abfallströmen gesammelt werden. So etwas wie den Grünen Punkt in Deutschland sollte es europaweit geben. Leider zeigt sich hier, dass Europa nur theoretisch existiert -  in vielen Fragen sind es dann doch lauter unterschiedliche Länder mit eigenen Regelungen. Kunststoff ist grundsätzlich recycelbar und er ist zu wertvoll, um ihn einfach zu deponieren. Die Politik sollte Anreize setzen, die die Entwicklung der Recycling-Industrie unterstützen.

Kann Plastik denn zu hundert Prozent recycelt werden?
Das hängt vom Kunststoff ab, denn Kunststoff ist nicht gleich Kunststoff. Polyolefine, wie wir sie herstellen, sind zu Hundert Prozent recycelbar. 

Gibt es in Deutschland genügend Kapazität, um den anfallenden Plastikmüll zu recyceln?
Nein, wir sind im Kapazitätsaufbau sicher hinten dran. Aber wenn die Industrie Anreize hätte, würde sie wohl mehr investieren. Der Punkt ist nicht, dass Recycling zu teuer wäre. Sondern es gibt einfach Investitionshindernisse, die den Export oder die Verbrennung des Mülls lukrativer machen als den Kunststoff zu recyceln. Würde der Gesetzgeber Anreize schaffen, würde wohl auch mehr Geld in die Forschung fließen, um bessere Produkte herzustellen. 

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