Plastikabfälle auf Irrfahrt Von Deutschland in die Türkei und nach Vietnam

Immer wieder ist Plastikmüll derart verunreinigt, dass er sich nicht recyceln lässt. Dann müssen die Herkunftsländer den Müll zurücknehmen. Doch in der Praxis ist das nicht so einfach. Quelle: imago images

In den türkischen Häfen verrotten etwa 400 Container mit deutschen Plastikabfällen. Das türkische Umweltministerium wollte den Müll zurückschicken. Doch das misslang. Nun ist ein Teil des Mülls auf dem Weg nach Vietnam.

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Der Container CSNU 696542 ist auf einer ungewöhnlichen Reise. Es ist über ein Jahr her, dass der Container mit Plastikabfällen in einer Berliner Sortieranlage beladen und in die Türkei verschifft wurde. Über Monate stand der Container im Hafen von Gemlik herum. Der Müll verrottete, während sich Behörden und Recyclingunternehmen öffentlich darum streiten. Die Abfälle seien illegal in die Türkei geschickt worden, verkündete das türkische Umweltministerium öffentlich vor Medien und Umweltaktivisten. Der Müll müsse deshalb wieder nach Deutschland zurück.

Stattdessen könnte der Müll nun in einem ganz anderen Teil der Welt enden. Erst vor wenigen Tagen wurden CSNU 696542 und über 30 weitere Container erneut auf ein Schiff gebracht. Das Ziel: Hai Phong, Vietnam. Gegen Weihnachten soll der Abfalltransport dort eintreffen, zeigen Frachtdokumente.

Die Container befinden sich auf einer internationalen Irrfahrt, gefangen in einem Labyrinth aus Streitfragen über Abfallrecht, Zollregularien und bürokratischem Schwermut. Der Fall zeigt die Absurdität und auch die Schwierigkeiten im internationalen Handel mit Plastikmüll auf.

Jährlich exportiert Deutschland über eine Millionen Tonnen Plastikmüll aus Haushalt und Industrie, als Rohstoff, den Unternehmen weltweit recyceln und nutzen können. Nur sind die Plastikabfälle nicht immer so sauber, sortenrein oder recycelbar, wie behauptet. Viele Verpackungen zum Beispiel für Fleisch und Käse bestehen aus verschiedenen Plastikschichten, die sich durch mechanisches Recycling kaum trennen lassen. Oftmals sind die Abfälle mit Lebensmittelresten, Papier und Metall verunreinigt. Damit der Müll nicht in der Umwelt verscharrt oder im Meer versenkt wird, sehen die internationalen Verträge zum Müllhandel vor, dass Exportländer solche unbrauchbaren und illegalen Abfälle zurücknehmen müssen. Doch Rückholverfahren sind aufwendig, kompliziert und auch teuer.

Insgesamt geht es um etwa 400 Container mit Abfällen aus Deutschland, die zwischen November 2020 und Februar 2021 in türkischen Häfen ankamen. Eigentlich hätte der Plastikmüll in der Türkei recycelt werden sollen, in einer Anlage des Unternehmens 2B Plast, etwa 200 Kilometer östlich von Istanbul. Doch das Unternehmen hat seine Importlizenz verloren und auch die Erlaubnis, Plastikabfälle aus gelber Sack oder gelber Tonne zu verarbeiten. Das Unternehmen befindet sich im Streit mit den Behörden, vor Gericht will es alle Anschuldigungen widerlegen. In der Zwischenzeit rottet der Müll weiter vor sich hin.

Bereits Ende Mai wandte sich das türkische Umweltministerium an die deutschen Behörden, um die Container nach Deutschland zurückzuführen. Doch das geschah nie. Das türkische Umweltministerium sieht die Schuld bei den deutschen Stellen: Deutschland erschwere die Situation bei der Rücknahme, „was eine Rückführung in das Herkunftsland unmöglich macht“, heißt es in einem Schreiben des Umweltministeriums von Ende September, das der WirtschaftsWoche vorliegt. Angesichts der Umweltschäden durch die Abfälle und die langen Wartezeiten müsse man nun Alternativen prüfen: „Für den Fall, dass das Rückführverfahren nicht abgeschlossen werden kann, wird ein Transitverfahren in ein Drittland oder der Export zur Entladung im Rahmen des Zollrechts in Betracht gezogen.“ Ein Drittland wie Vietnam.

Umweltaktivist Manfred Santen von Greenpeace kritisiert die Irrfahrt: „Es macht überhaupt keinen Sinn, die Abfälle in noch weiter entfernte Länder zu schippern, die richtige Richtung ist zurück nach Deutschland“, sagt er. „Dieses Hickhack um die Rückholung der in türkischen Häfen ‚gestrandeten‘ Container mit Plastikabfällen aus Deutschland ist unwürdig.“

Dabei sind Rücksendungen von Müllexporten auch für Deutschland ein übliches Verfahren. Im Jahr 2019 hat Deutschland den Daten des Bundesministeriums für Umwelt zufolge 180 Mal illegal exportierte Abfälle aus dem Ausland zurückgeholt, im Jahr davor geschah das hundertmal. In Berlin und Brandenburg kehrten alle zwei Wochen Container zurück, insbesondere aus Polen, teilt ein Senatssprecher mit. Doch dabei geht es meist nur um wenige Lastwagenladungen - und nicht gleich um 400 Container.

Die Dimensionen machen den Fall kompliziert. Im föderal organisierten Deutschland sind für jede Sortieranlage und jeden Ladeplatz andere Behörden zuständig. So sieht sich die Sonderabfallgesellschaft Brandenburg-Berlin für sieben der 400 Container Deutschland zuständig, die Bezirksregierung Arnsberg in Nordrhein-Westfalen für 24 Container, die niedersächsische NGS für rund zehn Container.

Eigentlich hätte das türkische Umweltministerium daher Anträge an die verschiedenen Behörden stellen müssen. Das sei jedoch nie geschehen, erklären mehrere zuständige Stellen. Stattdessen habe die Türkei lediglich an das Bundesministerium gewandt und dort eine Liste über 140 der 400 Container vorgelegt. Weitere Informationen fehlen. So hätten die türkischen Behörden keine „Informationen zu den Containerfrachten und zum Ablauf der Rückführungsmaßnahmen mitgeteilt“, heißt es aus Niedersachsen. Es sei nicht mal klar, wo genau sich die Container für die Rückführung befänden, teilt ein Sprecher des Berliner Umweltsenats mit.



Das Entsorgungsunternehmen Alba, aus dessen Sortieranlagen ein Teil des Mülls stammt, habe ebenfalls versucht, die Abfälle zurückzuholen. Man sei bereits in Gesprächen mit Behörden und Logistikern gewesen, teilt Alba mit. Doch offiziell gehören die Abfälle nicht mehr Alba – das Material aus den Sortieranlagen wurde an einen Zwischenhändler und schließlich an 2B Plast in der Türkei verkauft. Daher habe man die Container nicht zurückholen können.

Was nun mit den Abfällen in Vietnam geschehen soll, ist unklar. Weder Abfallerzeuger wie Alba noch das Recyclingunternehmen in der Türkei als Eigentümer sind über den Transport informiert worden. Bisher ist nicht bekannt, ob die Abfälle in Vietnam entsorgt oder recycelt werden könnten. Auch das türkische Umweltministerium spricht lediglich von „Transitverfahren“ und „Entladung“ der Container – nicht aber von der Verwertung der Abfälle.

Deutschland sei dafür nun rechtlich nicht mehr verantwortlich, heißt es aus dem Bundesumweltministerium. „Falls aus Vietnam ein Rückholersuchen bezüglich solcher weiterverbrachter Abfälle gestellt werden sollte, wären allein türkische Behörden zuständig“, heißt es aus dem deutschen Bundesumweltministerium. Dass die Container noch mal nach Deutschland zurückkehren, wird mit jeder Seemeile unwahrscheinlicher.

Mehr zum Thema: Sie verstecken Dreck zwischen Folien, fälschen Dokumente und verschleiern ihre Spuren: Dubiose Händler und Müllpaten schaffen unbrauchbaren Plastikabfälle aus Deutschland ins Ausland. Eine Recherche enthüllt die dunkle Seite des Recyclings.

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