
Für seine Bewerbung hat Frank Appel sich einen merkwürdigen Zeitpunkt ausgesucht. Eigentlich läuft sein Vertrag als Vorstandschef der Deutschen Post noch zwei Jahre. Erst Ende 2016 wird der Aufsichtsrat über eine Verlängerung beraten. Trotzdem sagte Appel kürzlich in kleiner Runde in Düsseldorf: „Die Arbeit macht mir sehr viel Spaß, ich habe Interesse, meinen Job länger zu machen.“
Der Zeitpunkt ist aus einem weiteren Grund auffällig: Die Sätze fielen, nur wenige Tage bevor Appel die Anleger der Deutschen Post mit einer Horrornachricht und einer Gewinnwarnung schockierte: Die überfällige Modernisierung des veralteten IT-Systems der Frachtsparte ist desaströs gescheitert, der Gewinn vor Steuern soll in diesem Jahr mit 2,4 Milliarden Euro eine halbe Milliarde niedriger als geplant ausfallen.
Es war Appels zweite Gewinnwarnung binnen zweieinhalb Monaten. Schon Anfang August musste er wegen des Streiks der Zusteller 100 Millionen Euro Gewinn abmelden. Die Aktie hat sich bis heute nicht davon erholt – obwohl Appel eiligst bekräftigte, 2016 wieder eine Milliarde mehr Gewinn machen zu wollen.
Die Säulen der Deutschen Post
Umsatz: 7567 Millionen Euro - 25,2 Prozent
Gewinn (EBIT)*: 57 Millionen Euro - 4,0 Prozent
*ohne Kosten für Zentrale; Quelle: Unternehmen
Umsatz: 7987 Millionen Euro - 26,5 Prozent
Gewinn (EBIT)*: 172 Millionen Euro - 12,2 Prozent
*ohne Kosten für Zentrale; Quelle: Unternehmen
Umsatz: 7813 Millionen Euro - 26,0 Prozent
Gewinn (EBIT)*: 474 Millionen Euro - 33,6 Prozent
*ohne Kosten für Zentrale; Quelle: Unternehmen
Umsatz: 6695 Millionen Euro - 22,3 Prozent
Gewinn (EBIT)*: 708 Millionen Euro - 50,2 Prozent
*ohne Kosten für Zentrale; Quelle: Unternehmen
Die Zeiten, in denen der 54-jährige Ex-McKinsey-Berater als Vorbild im Dax galt, als einer, der mit seinen Prognosen restlos überzeugt, sind vorbei. „Sein Image ist angekratzt“, sagt Michael Gierse, Fondsmanager bei Union Investment. Appels Ziele seien erreichbar, aber das Risiko, dass er sie verfehle, sei hoch: „Das ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten.“
Auch im Aufsichtsrat gibt es Zweifel. Er sei von der angekündigten Milliarde Gewinnzuwachs für 2016 „überrascht“ worden, sagt ein Kontrolleur. Offiziell stellt der Vorstand seine Planung dem Aufsichtsrat erst im Dezember vor. „Dann wird man noch mal darüber sprechen müssen“, so der Aufsichtsrat. Noch seien viele Fragen offen. Einige davon wird Appel schon morgen beantworten müssen, bei der Vorstellung der Quartalszahlen.
2015 ist ein Übergangsjahr
Einen Satz wird er dann wahrscheinlich wiederholen: "2015 ist ein Übergangsjahr", sagt der Post-Chef immer wieder. Ein schwieriges Jahr, in dem aber die Grundlage für die Strategie 2020 geschaffen werde. Bis dahin will er den Gewinn auf fünf Milliarden Euro verdoppeln. Nur: Wenn Appel diese Ziele erreichen will, kann er sich kein zweites Übergangsjahr leisten. Appel steht deshalb vor einem Jahr der Bewährung. Er muss zeigen, dass er weiter der richtige Mann an der Spitze ist.
So steht die Post in den Medien dar erobert Europa
Das Ansehen der Post in den deutschen und internationalen Leitmedien hat zuletzt deutlich gelitten. Ein Grund für die negative Berichterstattung: Der lange Poststreik im Sommer. Aber auch die Preispolitik und die Portoerhöhungen kritisierten Journalisten.
Daten: Mediatenor
Appels größtes Risiko ist das Speditionsgeschäft mit Fracht zu Lande, zu Wasser und in der Luft, im Post-Jargon „DHL Global Forwarding and Freight“ genannt. Über 300 Millionen Euro hat das IT-Debakel gekostet, die Post ist weit hinter die Konkurrenz zurückgefallen. Nur noch 0,8 Prozent vom Umsatz blieben im ersten Halbjahr als Gewinn übrig. Das ist weniger als ein Sechstel der Marge des Konkurrenten Kühne + Nagel.
Appel muss in der Sparte ein Neustart gelingen. Daran hängt auch seine Zukunft. „Ein weiteres Problem in der Sparte darf es nicht geben“, sagt ein Aufsichtsrat.

Bei den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat herrscht noch immer Frust wegen des harten Tarifkampfs, ihre Stimmen sind ihm keinesfalls sicher. Appel braucht deshalb die Stimmen der Arbeitgeberseite. „Ob er dort den vollen Rückhalt kriegt, hängt an der Frachtsparte“, sagt ein anderer Kontrolleur.
Tatsächlich muss Appel die Entwicklung der Sparte zum Teil persönlich verantworten. Als Fracht-Vorstand gab er vor über einem Jahrzehnt den Anstoß für ein neues IT-System. 2010 hievte er den Briten Roger Crook aus der Expresssparte in den Post-Vorstand, um die Frachttochter umzustrukturieren. Ein Fehlgriff. Während Crook umorganisierte, entglitt ihm die mit SAP und IBM geplante Modernisierung der völlig veralteten IT. „Crook wollte den letzten Schritt vor dem ersten machen“, kritisiert ein ehemaliger Post-Manager. „Keine Ahnung von der Fracht“ habe er gehabt, sagt ein anderer.
Appel zog die Reißleine, indem er Crook im April vor die Tür setzte und die Verantwortung selbst übernahm. Auch die Manager der wichtigsten Weltregionen tauschte er aus. Um das Tagesgeschäft zu retten, holte er den 74-jährigen Altmeister Renato Chiavi aus der Rente. Der war von der Schweizer Spedition Danzas mit deren Übernahme durch die Post im Jahr 1999 zu dem Bonner Konzern gestoßen.
Post bleibt unter den Erwartungen
Bis eine neue IT in der Frachtsparte läuft, könnten noch Jahre vergehen. Zurzeit steht nicht einmal fest, wer das neue System liefern soll. Die Post halte auch Ausschau nach Alternativen, sagt Appel.
Auch die Kontraktlogistik erfüllt noch nicht die Erwartungen. Die Sparte, in der Lagerleistungen und Zuliefererdienste gebündelt sind, steckt in einem Umbau. Das drückte den Gewinn im Halbjahr um elf Prozent auf rund 170 Millionen Euro. Spätestens 2016 muss der Umbau Ergebnisse bringen. Bis 2020 soll die Sparte eine Milliarde Euro abwerfen, so Appels ambitionierter Plan.
Als die Post im Jahr 2000 an die Börse ging, versprach Appels Vorgänger und Ex-McKinsey-Kollege Klaus Zumwinkel eine neue Zukunft. Der Staatskonzern würde sein Briefmonopol verlieren, das jedoch mit neuen Unternehmen im Fracht-, Logistik- und Expressgeschäft mehr als wettmachen. Richtig in Erfüllung ging diese Prophezeiung bis heute nur in der Expresssparte mit zeitgenauen Lieferungen für Firmenkunden, die aus der US-Firma DHL hervorging. Die angepeilte Marge von zehn Prozent wird längst übertroffen.
Der Bereich ist Appels wichtigste Stütze für den Gewinn, noch vor dem Brief- und Paketbereich. Doch neben den Abschreibungen in der Frachtsparte hat der Vorstand auch für die beiden Gewinnbringer Einmaleffekte in der Höhe von 200 Millionen Euro angekündigt - für Pensionsrückstellungen und neue juristische Risiken, heißt es dazu aus der Zentrale nur vage. Auch damit hat Appel Analysten und Aufsichtsräte überrascht.
Was die Post mit ihrer Strategie 2020 erreichen will
Auch der Kohlenstoffdioxid-Ausstoß soll verringert werden: Bis 2020 will die Post ihre Energie-Effizenz um 30 Prozent verbessern. Vor kurzem kaufte der Dax-Konzern zum Beispiel den deutschen Elektroauto-Entwickler Streetscooter auf.
Die Aktie Gelb soll weiter steigen: Post-Chef Frank Appel möchte zur ersten Wahl für Anleger werden. Zwischen 40 und 60 Prozent des Nettogewinns sollen die Aktionäre jährlich als Dividende ausgeschüttet bekommen.
Auch die Kundenzufriedenheit soll steigen - auf über 80 Prozent. Nach Recherchen der WirtschaftsWoche beschwerten sich allerdings vor allem deutsche Großkunden zuletzt über die Briefzustellung.
Der Gewinn ist die wichtigste Ziellinie in der Strategie 2020: Bis zum Ablauf der Frist will Appel fünf Milliarden Euro Plus machen. Dazu müsste er pro Jahr den Gewinn um acht Prozent steigern. Die Brief- und Paketsparte, die ihren Umsatz vor allem in Deutschland macht, soll drei Prozent Gewinnsteigerung pro Jahr dazu beisteuern - das Expressgeschäft, die Logistik- und Speditionssparten müssen zehn Prozent mehr im Jahr verdienen.
Kein anderer Dax-Konzern hat so konkrete und zugleich so ehrgeizige Ziele.
In Deutschland hat der durch den Onlinehandel ausgelöste Paketboom die Deutsche Post weit nach vorne getrieben. Jetzt will der Bonner Konzern diesen Effekt auch in den Schwellenländern mitnehmen: Bis 2020 soll sich der Marktanteil in diesen Regionen von 22 auf 30 Prozent erhöhen. Der Fokus liegt dabei auf Brasilien, Indien, China, Russland und Mexiko.
Auch bei den Mitarbeitern möchte die Post die erste Wahl sein. Ziel des Vorstand ist es, in den Mitarbeiterbefragung eine Zustimmungsquote von über 80 Prozent zu erlangen. Zuletzt lag die Quote bei ungefähr 70 Prozent.
Immerhin sind im Paketbereich keine großen Umstrukturierungen nötig. Das wichtigste Ziel für die Sparte hat der Vorstand beim Tarifkonflikt mit der Gewerkschaft Verdi durchsetzen können: Das Lohnniveau in der Sparte wird sich in den kommenden Jahren deutlich absenken. Möglich machen das die neuen Tochterfirmen im Paketbereich, in denen die Post ihre Zusteller nicht nach dem Haustarif bezahlen muss.
Im schrumpfenden Briefmarkt setzt Appel auf einen bewährten Kurs: Erhalt der monopolartigen Stellung dank bester Kontakte zur Politik. Wie gut ihm das gelungen ist, zeigt die angekündigte Portoerhöhung von 62 auf 70 Cent für einen Standardbrief im kommenden Jahr. Bis zu 350 Millionen Euro Mehreinnahmen könnte die dem Konzern bringen.
Profitables Beinahe-Monopol
Möglich machte das die Bundesregierung zusammen mit der Bundesnetzagentur. Bis zu diesem Jahr konnte die Post das Porto nur jährlich in kleinen Schritten und auf Antrag anheben. Die kommende Preiserhöhung aber gilt gleich für drei Jahre und fiel entsprechend üppig aus. Außerdem muss sich die Post bei ihren Forderungen nicht mehr nur an der Inflation orientieren, sondern darf auch die Kennzahlen europäischer Konkurrenten ansetzen. Das schafft neue Spielräume.
Dienstleister
Wie viel die Post daran genau verdient, bleibt ihr Geheimnis. Schon vor Jahren hat Appel auch das Paketgeschäft in die staatlich gehätschelte Sparte gepackt. Nicht einmal Analysten wagen Schätzungen, wie viel der 1,2 Milliarden Euro Gewinn aus dem Briefbereich stammt.
Die Strategie bringt Appel unter Dauerbeschuss. Konkurrierende Paketdienste werfen ihm vor, mit den Briefgewinnen die Paketzustellung zu subventionieren. Briefbeförderer beklagen, die Post missbrauche ihre Marktmacht, um Wettbewerber mit Rabatten für Großversender fernzuhalten. Das Bundeskartellamt wirft ihr vor, den Wettbewerb zu behindern. Bisher kam Appel glimpflich davon. Als das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in diesem Sommer die Portoerhöhungen zwischen 2003 und 2005 als zu großzügig einstufte, brachte das dem Kläger nur ein paar Tausend Euro.
Der Beinahe-Monopolstatus hilft der Post so, die ausbleibenden Gewinne im Frachtgeschäft noch länger auszuhalten. Eine Milliarde Euro bringt er aber nicht.