Dazu überträgt die Lufthansa viele früher selbst erledigte Aufgaben an Dienstleister. Wie schnell es da eng wird, zeigte sich vor zwei Wochen in Düsseldorf, als ein Flugkapitän abhob und 70 Passagiere im wartenden Bus zurückließ. Garnadt reagierte prompt. Seit dem Vorfall koordinieren zusätzliche Aufsichtskräfte alle Beteiligten, vom Linienpersonal über die Verkehrsleitstelle bis zu den vom Flughafen organisierten Busfahrern. Die Gefahr, dass Maschinen ohne Passagiere abheben, ist eingedämmt.
Auch beim Aufbau des künftigen Eurowings-Reiches setzt Garnadt auf Koordination und strikte Regeln. Er will künftigen Partnern in einem bis zu 300 Seiten dicken Pflichtenkatalog Standards vorgeben. Der sichtbarste Teil sind die Vorschriften beim Service. „Alles, womit der Kunde in Berührung kommt, soll gleich sein“, sagt Garnadt. Alle Partner sollen wie Eurowings die Kabine teilen in die drei Klassen „Basic“ mit engerem Sitzabstand, „Smart“ mit etwas mehr Platz und einer „Best“ genannten Billigfliegerversion der Businessclass.
Die Eurowings-Fibel listet alles auf, von den Farbtönen der Essensbeutel über das Design von Sitzen oder Uniformen bis zu Regeln dazu, wer in einer Vielfliegerlounge warten darf.
Die sechs größten Baustellen der Lufthansa
13 Mal haben die Piloten der Lufthansa in den vergangenen gut eineinhalb Jahren gestreikt. Die Vereinigung Cockpit sorgt sich, dass die Piloten unter anderem Abstriche Altersvorsorge hinnehmen müssen - und trotzdem immer mehr Jobs aus dem Tarifvertrag ausgelagert werden. Sie liefern dem Konzern deshalb den härteste Arbeitskampf in seiner Geschichte. Das ist nicht der einzige Knatsch mit dem Personal: Die Flugbegleiter von Ufo sind etwas moderater unterwegs, wollen aber auch ihre tariflichen Besitzstände verteidigen.
Carsten Spohr hat die Lufthansa auf eine Strategie mit zwei sehr unterschiedlichen Plattformen festgelegt, die jetzt gerade erst anlaufen. Die Kernmarke Lufthansa soll bei gleichzeitiger Kostensenkung zur ersten Fünf-Sterne-Airline des Westens aufgewertet werden - eine Luxus-Auszeichnung des Fachmagazins Skytrax, die bislang nur Airlines aus Asien und dem Mittleren Osten erreicht haben. Am anderen Ende der Skala steht künftig „Eurowings“, die nur noch als Plattform für die diversen und möglichst kostengünstigen Flugbetriebe des Lufthansa-Konzerns dienen soll. Die ersten Eurowings-Langstrecken ab Köln werden beispielsweise von der deutsch-türkischen Gesellschaft Sunexpress geflogen. Noch komplizierter wird das Angebot durch die Strategie, auf beiden Plattformen jeweils unterschiedliche Service-Pakete anzubieten.
So richtig gut läuft es für die Lufthansa mit ihrem schwierigen Heimatmarkt Zentraleuropa eigentlich nur in den Neben-Geschäftsbereichen Technik und Verpflegung. In ihrem Kerngeschäft der Passagier- und Frachtbeförderung fliegt die Lufthansa unter dem Strich Verluste ein. Spohrs Plan, Wachstum nur noch in kostengünstigen Segmenten stattfinden zu lassen, bedeutet eigentlich einen Schrumpfkurs für die Kerngesellschaft der Lufthansa Passage. Doch den Mitarbeitern wird Wachstum auch dort versprochen.
Sinkende Ticketpreise sind gut für die Passagiere, knabbern andererseits aber an den schmalen Margen der Fluggesellschaften. Bereits im vergangenen Jahr sind die Erlöse auf breiter Front um drei Prozent zurückgegangen. Der zuletzt stark gesunkene Kerosinpreis begünstigt derzeit Gesellschaften, die sich nicht gegen starke Preisschwankungen abgesichert haben. Lufthansa gehört nicht dazu, sondern hat einen Großteil ihres Spritbedarfs für die kommenden zwei Jahre bereits abgesichert und leidet zudem an der ungünstigen Währungsrelation zwischen Euro und Dollar. Um ihre Tickets zu verkaufen, muss sie aber die Kampfpreise der Konkurrenz halten.
In regelmäßigen Abständen verlangt Lufthansa politischen Schutz vor dem angeblich unfairen Wettbewerb durch Fluggesellschaften vom Arabischen Golf. Zuletzt stimmten auch die großen US-Gesellschaften in den Chor ein. Aber es bleibt dabei: Emirates, Qatar Airways und Etihad lenken mit immer größeren Flugzeugen tausende Fluggäste aus Europa über ihre Wüstendrehkreuze und haben bereits weite Teile des Verkehrs nach Südostasien und Ozeanien fest im Griff. Um streitbare Gewerkschaften, hohe Gebühren und Sozialabgaben oder Nachtflugverbote an ihren Heimatbasen müssen sich die Araber keine Gedanken machen. Zudem ändern die europäischen Billigflieger ihr Geschäftsmodell und werden für Geschäftsleute immer attraktiver. So folgt Ryanair dem Vorbild von Easyjet und verlässt die Provinz-Flughäfen. Am Eurowings-Drehkreuz Köln-Bonn treten die Iren demnächst sogar wieder mit Inlandsflügen nach Berlin an.
Auf Hilfe aus Berlin oder Brüssel hat die Lufthansa in den vergangenen Jahren meist vergeblich gewartet. Die nationale Luftverkehrssteuer verteuert Tickets für Flugreisen von deutschen Flughäfen. Sie bietet zudem der europäischen Konkurrenz Anreize, Umsteiger auf die eigenen Drehkreuze zu locken. Grenznah lebende Passagiere können gleich ganz auf ausländische Flughäfen und Airlines ausweichen. Den häufig angemahnten nationalen Luftverkehrsplan gibt es auch immer noch nicht. Dafür unsinnige Subventionen für Regionalflughäfen, die bislang das Geschäftsmodell der Billigflieger gestützt haben.
Weitere Regeln dürften folgen. Momentan erprobt ein Team um Produktchefin Katrin Flöther gerade kostenpflichtige Extras wie etwa die Möglichkeit, sich einen freien Nachbarsitz zu sichern oder für weniger als den üblichen Aufpreis in die „Best“-Reihen vorrücken zu dürfen. Im Herbst sollen auch die ersten Eurowings-Flieger Internet an Bord bieten und über die hauseigene App auf der Kurzstrecke wahrscheinlich für vier Euro Filme, Musik und Spiele bieten.
Weiter gediehen sind die Partnervorgaben für die Arbeit hinter den Kulissen. Hier listet Garnadts Fibel gut 30 Punkte auf, wie künftige Auftragsflieger ihre IT stricken müssen, damit die an die Eurowings-EDV passt.
Die Namen möglicher Partner will Garnadt nicht preisgeben. In der Branche gelten aber die belgische Lufthansa-Beteiligung Brussels und Lot aus Polen sowie Condor oder Germania aus Deutschland als Kandidaten. Infrage kommen auch kleinere Linien wie Croatia Airlines aus Kroatien oder Adria Airways aus Slowenien.
Doch ob das klappt, ist ungewiss. „So interessant das Angebot angesichts der wachsenden Konkurrenz auch ist, wir müssten als Eurowings-Partner praktisch die eigene Marke aufgeben“, so ein Vorstand einer kleinen europäischen Linie. „Das ist für uns derzeit ein zu großes Wagnis.“
Doch viel Zeit haben Spohr und Garnadt mit der Partnerwahl nicht. Denn bereits jetzt tun sich Norwegian oder die British-Airways-Schwester Vueling leichter im Kampf um Platz drei des europäischen Billigmarktes als Eurowings. Zudem wollen Ryanair und Easyjet nach dem Brexit-Votum verstärkt in Mitteleuropa aktiv werden.
Auf Letzteres immerhin ist Garnadt vorbereitet. Eurowings prüft, 2017 auch Lufthansa-Drehkreuze wie München anzufliegen, um dort die Marktposition der Mutter gegen Billigwettbewerber zu verteidigen. „Wir reden intern bereits darüber“, erklärte Garnadt jüngst auf einer Investorenveranstaltung. „Für 2017 ist das eine Option.“ Spätestens dann ist auch klar, ob Spohrs Vorzeigeprojekt Eurowings tatsächlich der geballten Billigkonkurrenz Paroli bieten kann.