62 Töchter und Beteiligungen listet ein PDF-Dokument auf, das die komplexe Struktur der MediaForEurope (MFE), der Medienholding der Familie von Silvio Berlusconi, aufschlüsselt. Sie alle gelten als „konsolidiert“ – wahlweise durch komplette Übernahme oder durch Mehrheit der Anteile. Mit einer Ausnahme: der deutschen ProSiebenSat.1 Media SE. Sie ist die einzige Beteiligung, die lediglich als ein „Investment“ benannt ist.
Noch. Denn nun hat MFE angekündigt, seine Anteile an ProSiebenSat.1 von zuletzt einem Viertel auf 29,9 Prozent aufstocken zu wollen – und im gleichen Atemzug einen „geplanten Erwerbsvorgang“ bei der österreichischen Kartellbehörde angemeldet. In einer Bekanntmachung der Behörde vom Wochenende ist von Plänen zu „faktischer alleiniger Kontrolle“ der deutschen Fernsehsender durch den Berlusconi-Konzern die Rede.
Auch wenn MFE dementiert, wirklich die volle Kontrolle über ProSiebenSat.1 anzustreben: Die Symbolkraft dieser Vorgänge ist unübersehbar. Erst Mitte November hatte der Streit zwischen dem Großaktionär und der ProSiebenSat.1-Führung einen neuen Höhepunkt erreicht, als MFE-Finanzchef Marco Giordani eine neue Strategie von den deutschen Sendern forderte – einen Tag nachdem ProSiebenSat.1-Finanzvorstand Ralf Gierig angekündigt hatte, an der Senderstrategie nicht zu rütteln.
Ohnehin ist klar, dass MFE nicht vorhat, sich künftig als stiller Anteilseigner zurückzuhalten. Das TV-Unternehmen des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten hat nie einen Hehl aus seinen Zielen gemacht: Perspektivisch will es an der Spitze eines europäischen Senderverbunds stehen. „Von starken italienischen Wurzeln zu einem europäischen Projekt“, lautet das unmissverständliche Motto, das der Konzern auf seiner Webseite ausgibt.
Ob es für MFE in Deutschland einmal zu einem ähnlichen Medienimperium reichen wird wie jene, die sich der Konzern bereits in Italien und Spanien aufgebaut hat, sei dahingestellt. Fest steht aber: MFE will auch bei ProSiebenSat.1 auf lange Sicht nicht nur mitreden, sondern das letzte Wort haben.
Sollte der Einfluss des Berlusconi-Konzerns bei ProSiebenSat.1 weiterwachsen, wäre das eine schlechte Nachricht. Nicht nur für den Betriebsfrieden in Unterföhring, wo seit jeher eine unterkühlte Stimmung gegenüber dem Großaktionär herrscht, sondern für die gesamte deutsche Medienlandschaft. Die „faktische alleinige Kontrolle“ eines rechtspopulistischen Politikers – oder dessen Lakaien in Form der Unternehmensführung von MFE – wäre das Letzte, was das deutsche Fernsehen gebrauchen könnte. Gerade jetzt, in Zeiten von „Fake News“-Debatten und fragwürdigen Auslegungen von Meinungspluralität à la Elon Musk.
Über Silvio Berlusconis Umgang mit der Wahrheit in seinen italienischen Fernsehsendern sind allerlei kuriose Anekdoten überliefert. Etwa die, dass er Kameramänner stets dazu angehalten habe, einen Seidenstrumpf über die Linse zu ziehen, bevor sie ihn ablichteten – um seine Falten zu verdecken. Oder die, dass er seinen Journalisten geraten habe, auch mal Zitate berühmter Personen zu erfinden, die die eigene These stützen. „Die Leute“ seien „unglaublich gutgläubig“, soll Berlusconi dazu gesagt haben. „Wer macht sich denn schon die Mühe und schlägt im Lexikon nach?“
Berlusconi sei ein „unbewusster Lügner“, schrieb der italienische Journalist Indro Montanelli einmal. „Einer, der seine Lügen gegen allen Augenschein als Tatsachen wahrnimmt.“ Die deutsche Medienlandschaft tut gut daran, sich mit so einem und seinem Konzern nicht einzulassen. Auch dann nicht, wenn er noch so sehr beteuert, „nicht gegen irgendjemanden spielen“ zu wollen.
Erst am Freitag, unmittelbar vor Bekanntwerden der neuen Entwicklungen, hatte der Medienrat der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) die „mittelbare Beteiligung von Silvio Berlusconi“ an ProSiebenSat.1 für „mit dem Gebot der Staatsferne des Rundfunks vereinbar“ erklärt. Der Anteil der Stimmrechte der MediaForEurope (MFE) an den Fernsehsendern bleibe noch unter der rechtlich bedenklichen Schwelle von 25,01 Prozent, begründete das Gremium seine „Entwarnung“.
Drei Tage später ist es Zeit für eine Neueinschätzung.
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