Protagonisten vor Gericht Auf diese Menschen kommt es 2022 im Wirecard-Skandal an

Quelle: Laif

Ex-Firmenchef Markus Braun gibt sich als Opfer, Staatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl will seine Schuld beweisen. Ein Blick auf die sechs zentralen Figuren im Fall Wirecard – und was 2022 für sie auf dem Spiel steht.

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Eineinhalb Jahre ist her, dass der deutsche Börsensuperstar Wirecard spektakulär abstürzte. Damals, im Juni 2020, hatte sich herausgestellt, dass mehr als die Hälfte des Umsatzes des Dax-Konzerns erfunden war und dass die angeblich mit Drittpartnern erzielten und auf Treuhandkonten gebunkerten Erträge in Milliardenhöhe nicht da waren.

Seitdem ist viel passiert: Der langjährige Wirecard-Chef Markus Braun kam in Haft, sein Vertrauter Jan Marsalek tauchte ab. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages legte katastrophale Versäumnisse der Behörden offen. Im Jahr 2021 stand die politische Aufarbeitung im Mittelpunkt.

2022 wird hingegen zum Jahr der Entscheidung für die beschuldigten Ex-Manager und ihre Berater, für den Insolvenzverwalter, die Staatsanwälte, die geschädigte Aktionäre und die langjährigen Wirecard-Wirtschaftsprüfer von EY. Wichtige Gerichtsprozesse stehen an. Die WirtschaftsWoche stellt die entscheidenden Protagonisten vor.

Quelle: via REUTERS

Markus Braun

Seit Juli 2020 sitzt der langjährige Wirecard-Chef in der JVA Augsburg-Gablingen in Untersuchungshaft. Die Münchner Staatsanwaltschaft verdächtigt Braun des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, der Untreue, der unrichtigen Darstellung und der Marktmanipulation. Sie beschreibt ihn als mutmaßlichen Boss einer kriminellen Bande, als Chef eines hierarchischen Systems, „geprägt von Korpsgeist und Treueschwüren gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden“.

Braun weist sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe entschieden zurück. Inzwischen hat er mehrmals bei den Staatsanwälten ausgesagt. Und er hat eine hochbezahlte Armada von Rechtsanwälten und Medienspezialisten angeheuert. Sie zeichnen das Bild eines ahnungslosen U-Häftlings, der nichts von den Schattenstrukturen um Wirecard herum gewusst hat, der vielmehr von Vorstand Jan Marsalek getäuscht wurde. Und der jetzt seine Tage mit dem Wälzen von Akten verbringt, höchstens mal unterbrochen von ein paar Fitnessübungen, um stark zu bleiben.

Aus der U-Haft kam Braun trotzdem nicht raus: Mitte Dezember entschied das Münchner Oberlandesgericht, dass weiterhin dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr bestehe.

So kann es gut sein, dass Braun in Haft bleibt, bis er vor Gericht kommt. Stand heute wird es wohl so sein, dass Braun seine Opfer-Geschichte auch dort präsentiert. Vielleicht bleibt ihm auch gar nichts anderes übrig, als nach jedem Schnipsel zu greifen, der für seine Unschuld spricht. Wenn er auch nur teilweise gestehen würde, könnte es gut sein, dass seine Manager-Haftpflichtversicherung nicht zahlt – und er seine teuren Berater nicht entlohnen könnte.

Der Strafrechtler und sein prominentester Mandant: Alfred Dierlamm (links) im November 2020 mit Markus Braun, bei dessen Vernehmung im Wirecard-Untersuchungsausschuss. Quelle: Getty Images

Alfred Dierlamm

Der renommierte Strafverteidiger hat sich bei seinem Mandanten Markus Braun für eine riskante Strategie entschieden: Dierlamm will „Beweise“ dafür haben, dass Wirecards ominöse Drittpartner zumindest teilweise doch echte Geschäfte mit Kunden betrieben haben und Einnahmen daraus erzielten. Diese wären eben doch nicht frei erfunden, wie die Staatsanwaltschaft und Wirecards Insolvenzverwalter Michael Jaffé aktuell meinen. Dierlamm zufolge sollen Erlöse aus den Drittpartnergeschäften an Wirecard vorbeigelaufen und von einer kriminellen Bande um Marsalek und Wirecards Dubai-Geschäftsführer Oliver Bellenhaus umgelenkt worden sein, etwa in Schattengesellschaften in der Karibik.

Das Problem ist nur: Wie die WirtschaftsWoche schon Anfang Dezember berichtete, handelt es sich bei den vermeintlichen Kunden der Drittpartner um Kleinstbetriebe, teilweise ohne jeden Hinweis auf eine Geschäftstätigkeit. Und dass diese Firmen jemals etwas mit Wirecard zu tun hatten? Insider fanden dafür bislang keine Hinweise – es gibt keine Verträge, keine Kommunikation, keine Umsätze. Dass Dierlamm mit seinem Vorstoß bislang nicht unbedingt Erfolg hatte, belegt auch die Entscheidung des OLG München im Dezember, nach der Markus Braun weiter in Haft bleiben muss.

Und jetzt? Wenn Dierlamm seine Strategie nicht radikal ändert, wird sich sein Mandant vor Gericht als Opfer darstellen, der vom Milliardenbetrug in seiner Firma nichts mitbekommen hat. Dabei war Braun fast zwei Jahrzehnte lang der starke Mann bei Wirecard. Er rühmte sich, dass er „vollen Einblick“ habe. Er war in höchst anrüchige Entscheidungen direkt und persönlich involviert: So ließ er einen Mann über Wirecards Treuhandkonten mit einem behaupteten Milliarden-Guthaben wachen, als der schon im Zusammenhang mit zweifelhaften Geschäften aufgefallen war. Gegen interne Widerstände drückte er Zahlungen in dreistelliger Millionenhöhe an dubiose Geschäftspartner durch. Und schließlich hat er umstrittene Ad-hoc-Mitteilungen an den Kapitalmarkt verschicken lassen.

Sie arbeitet an der Anklageschrift gegen Markus Braun: Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl. Quelle: dpa

Hildegard Bäumler-Hösl

Die Oberstaatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft München I arbeitet an einer möglichen Anklage gegen Markus Braun. Diese könnte noch Anfang 2022 fertig sein. Das Münchner Oberlandesgericht geht von einer Anklage bis Mitte März aus. Die Erwartungen sind riesig, vor allem weil die Münchner Staatsanwälte Markus Braun in einer Pressemitteilung im Sommer 2020 wie eine Art Paten der Wirecard-Bande beschrieben hatten. Es geht auch um den Ruf, den sich Bäumler-Hösl in spektakulären Fällen wie dem Schmiergeldskandal bei Siemens erarbeitet hat.

Bei Braun dürften es vor allem dessen verhängnisvolle Mitteilungen an den Kapitalmarkt sein, die ihm vor Gericht am schwersten zusetzen, wenn es zu einer Anklage kommt. Diese sind eindeutig belegbar: So hatte Braun etwa am 22. April 2020 eine Ad-hoc-Mitteilung zur Arbeit der Wirtschaftsprüfer von KPMG veröffentlichen lassen; die Prüfer sollten untersuchen, ob es das Drittpartnergeschäft gab. In Brauns Ad-hoc-Mitteilung hieß es, KPMG habe bislang nichts Substanzielles festgestellt, was erfordere, die Jahresabschlüsse 2016 bis 2018 zu korrigieren. Belege für Bilanzmanipulation seien nicht gefunden worden. Dabei hatte KPMG-Vorstand Sven-Olaf Leitz Braun zuvor noch gewarnt, das so herauszugeben: Es „entspricht nicht unserer Wahrnehmung der tatsächlichen Gegebenheiten“.

Was Braun veröffentlichte, war nicht falsch. Weil er aber wesentliche Informationen wegließ, wirkte die Meldung irreführend. Irreführung aber kann genauso Kapitalmarktbetrug sein wie eine Lüge. Brauns Ad-hoc konnte bei Anlegern den Eindruck erwecken, die KPMG-Prüfung werde wohl gut ausgehen, was sich auch an Wirecards Aktienkurs ablesen ließ. Der stieg nach Brauns Verlautbarung kurzfristig um rund zwölf Prozent.



Schwieriger gestaltet sich die Beweisführung beim Vorwurf des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Die Staatsanwaltschaft müsste beweisen, dass Braun bei dem mutmaßlichen Milliardenbetrug aktiv mitgewirkt oder zumindest davon gewusst hat. Diese Beweise heranzuschaffen stellt ein enormes Problem dar. Der Schlüssel für den Milliardenbetrug liegt im Ausland, wo Wirecard angeblich seine Milliardengewinne aus dem Drittpartnergeschäft gebunkert hatte; also in Singapur und auf den Philippinen. Die Zusammenarbeit mit den Behörden vor Ort soll alles andere als einfach sein.

Und somit hängt viel davon ab, ob sich Hildegard Bäumler-Hösl auf die Angaben eines Mannes verlassen kann, der zum Kronzeugen der Münchner Staatsanwaltschaft geworden ist.



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