Protokoll eines Co-Piloten Eurowings-Pilot: „Meine Frau fragt mich am Esstisch schon mal, ob ich noch wach bin“

Von Montag bis Mittwoch wurde die Airline Eurowings bestreikt. Die Piloten fordern bessere Arbeitsbedingungen und klagen über zu hohe Belastungen. Aber wie sieht ihr Alltag wirklich aus? Quelle: imago images

Von Montag bis Mittwoch streikten die Piloten von Eurowings Deutschland für eine geringere Arbeitsbelastung. Ein Co-Pilot der Airline schildert, wie groß die Arbeitsbelastung ist. Ein Protokoll.

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Nach dem Streik ist vor den Verhandlungen: Am Mittwoch beendete die Gewerkschaft Vereinigung Cockpit ihren Piloten-Streik bei der Lufthansa-Tochter Eurowings Deutschland. Ab Donnerstag läuft der Flugbetrieb bei Eurowings wieder regulär, nachdem zuvor ein Großteil der geplanten Flüge gestrichen werden musste. Nun sollen die Verhandlungen über den Manteltarifvertrag weitergehen, die Ausgangspunkt des Streiks waren. Ab wann weiter verhandelt wird, ist bislang unklar. Zuletzt waren die Fronten zwischen Piloten und Unternehmen verhärtet. Die Airline drohte gar damit, das Wachstum des bestreikten Flugbetriebes Eurowings Deutschland werde gestoppt - und Arbeitsplätze womöglich ins Ausland verlagert.

Ist es das wert? Während sich im Arbeitskampf vor allem die öffentlichen Vertreter von Eurowings und der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit zu Wort melden, bleiben viele aktive Piloten meist still, aus Angst um ihren Arbeitsplatz. Die WirtschaftsWoche hat mit einem erfahrenen Co-Piloten von Eurowings gesprochen, der Gewerkschaftsmitglied ist und sich am Streik beteiligte. Seinen Namen möchte er nicht veröffentlicht wissen, einen Einblick in seine durchschnittliche Woche und die Arbeitsbelastung im Flugbetrieb aber gibt er.

Ich bin seit Anfang 2018 Co-Pilot bei Eurowings Deutschland. Vorher bin ich mehrere Jahre für Airberlin geflogen. Als die Airline den Flugbetrieb einstellte, bin ich zu Eurowings gewechselt. Die Tarifbedingungen bei Airberlin waren besser als das, was wir jetzt fordern. Außerdem war die Vergütung 30 Prozent höher.

Aktuell verdiene ich als erfahrener Co-Pilot rund 90.000 Euro brutto im Jahr. Das ist im Vergleich zu anderen Jobs überdurchschnittlich. Aber bei diesem Streik geht es ja nicht ums Geld, sondern um die Arbeitsbelastung. Und die ist so hoch, dass sie die meisten Kollegen nicht noch einmal erleben möchten.

Im Jahr fliege ich 650 bis 700 Flüge. An einem Arbeitstag sind das manchmal zwei längere Hin- und Rückflüge, zum Beispiel zwischen Deutschland und den Kanaren. Jeden zweiten Arbeitstag fliege ich vier internationale Flüge. Häufig fliegen Eurowings-Piloten an einem Tag zum Beispiel die Verbindung Düsseldorf-Zürich und dann noch Düsseldorf-Ibiza, oder andersherum. Im Normalfall landen wir am Ende eines Arbeitstags immer an unserem Homebase-Flughafen und übernachten zu Hause.

Gesetzlich ist unsere Flugdienstzeit auf maximal zwölf Stunden begrenzt. Aber die Flugplanung von Eurowings ist sehr eng, das Unternehmen will die Zeit maximal ausreizen. Das stellt uns oft vor Probleme: Wenn ich laut Plan zuerst nach Palma de Mallorca und zurück fliege und dann nach Mailand und zurück, dauert das theoretisch 11 Stunden und 55 Minuten. Durch das Chaos an den Flughäfen kommt es aber oft zu Verspätungen – und wir liegen über der maximalen Dienstzeit.

Das ist nicht illegal, wenn es einen „Kapitänsentscheid“ des Piloten gibt, die Dienstzeit um maximal zwei Stunden zu verlängern. Das soll eigentlich eine absolute Ausnahme sein, im Moment wird das von Eurowings aber erwartet. In einem turbulenten Sommer wie dem vergangenen hatte ich teilweise zwei „Kapitänsentscheide“ pro Woche. Die sind aber eigentlich nicht gedacht, um eine schlechte Planung auszugleichen – sondern als Ausnahme bei unvorhergesehenen Vorfällen.

Uns wird da auch Druck gemacht. Ich habe am Telefon schon gehört: „Ihr wollt ja nicht ohne Wechselklamotten in Mailand stehen, oder?“ Natürlich könnten wir auch pro forma mehr einpacken, aber wir haben ja auch familiäre Verpflichtungen und wollen am Ende des Arbeitstags wieder zu Hause sein.

Eine Woche eines Eurowings-Piloten

Bei unseren Arbeitswochen starten wir am ersten Tag üblicherweise sehr früh und im Lauf der Woche immer später. Um ein Beispiel zu nennen: In einer Woche habe ich am ersten Arbeitstag kurz vor 5 Uhr morgens eingecheckt, dann ging es nach Gran Canaria und zurück, elf Stunden später war ich wieder an der Homebase. Am nächsten Tag habe ich wieder gegen 5 Uhr eingecheckt und bin erst nach Palma und dann nach Zürich geflogen.

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Um 10 Uhr startete der nächste Tag, erst ging es nach Palma und dann auf einen innerdeutschen Flug. Es gab einen „Kapitänsentscheid“, die Arbeitszeit betrug am Ende 12,5 Stunden. Am vierten Tag war der Check-In mittags und wir sind wieder auf die Kanaren geflogen. Und am fünften Tag, der um 13 Uhr startete, sind wir zuerst nach München und zurück und dann nach Süditalien und zurück geflogen.

Meistens habe ich Fünf-Tage-Wochen, etwa einmal im Monat reizt Eurowings die Arbeitszeit auch auf sechs Tage am Stück aus. Danach gibt es einen zusätzlichen Ruhetag.

Keine richtigen Pausen

Richtige Pausen während der Arbeitszeit gibt es nicht. Bodenzeiten zwischen Ankunft und Abflug sind bei Eurowings üblicherweise 35 Minuten lang. Am Boden ist mehr Stress als in der Luft. In dieser Zeit kümmern wir uns darum, dass die Gäste aus- und einsteigen, dass die Kabine mit Catering versorgt wird, wir gucken, dass der Tanker da ist, dass die Beladung richtig läuft, und berechnen die Beladung. Da bleibt nie Zeit, sich auch nur einen Kaffee zu nehmen.

In der Luft kann einer von uns beiden auch mal etwas essen oder einen Kaffee trinken. Aber es kann nie einer eine richtige Pause machen. Es braucht immer zwei Leute, um zu fliegen.

Laut Eurowings-Tarifvertrag dürfen wir maximal 55 Stunden pro Woche arbeiten, zwischen 50 und 55 Stunden sind der Schnitt. Das spürt man nach mehreren Wochen deutlich. Die Konzentrationsfähigkeit leidet, der Schlaf wird schlechter. Meine Frau fragt mich am Esstisch schon mal, ob ich noch wach bin, weil ich wirklich fertig bin. In den Sommermonaten ist die Belastung am schlimmsten, aber inzwischen geht die intensive Reisesaison von April bis Ende Oktober.

Jedes Jahr arbeiten über Weihnachten und Neujahr

Wir fordern ein Limit von 50 Stunden pro Woche, sind aber auch offen für kreative Lösungen, zum Beispiel, dass ein Mal im Monat 53 Stunden okay wären. Aber das lehnt Eurowings bislang ab. Wenn jetzt öffentlich über unsere Forderung nach 35 Ruhetagen im Quartal geredet wird, dürfen Sie nicht vergessen, dass für uns das Arbeitszeitgesetz nicht gilt. Bei normalen Angestellten steht im Vertrag ja keine 55-Stunden-Woche.

Außerdem haben wir keine Feiertage und oft auch kein Wochenende. Seit ich Co-Pilot bin, habe ich jedes Jahr vom 24. bis 26. Dezember und an Silvester und Neujahr gearbeitet.

Wenn Eurowings unsere Forderungen akzeptieren würde, müssten sie zehn Prozent mehr Piloten einstellen. Das wirkt vielleicht viel. Aber Eurowings Deutschland hat mit 4,7 Kapitänen und 4,5 Co-Piloten pro Flugzeug eine schlechtere Personaldecke als jeder mir bekannte Konkurrent. Selbst bei anderen Billigfliegern ist ein Crewfaktor von 5,5 bis 6 normal.

Warum wir jetzt gestreikt haben? Wir hatten zehn Verhandlungsrunden und begleitende Gespräche mit Eurowings. Die Gewerkschaft ist dabei immer wieder vor eine Mauer gelaufen. Eurowings hat jeden kreativen Vorschlag als wirtschaftlich nicht machbar abgelehnt. Was blieb uns dann anderes übrig?

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Wir fordern das ja nicht zum Spaß oder weil Freizeit so schön ist, sondern weil wir eine viel zu hohe Arbeitsbelastung haben. Dass Eurowings laut darüber nachdenkt, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, ist ein bekanntes Manöver. Aber das macht die Situation nicht besser. Bei vielen Piloten steht es schlecht um die Gesundheit, jetzt kommt noch die Angst um den Arbeitsplatz hinzu.

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