Protokolle von Betroffenen „Die Geschäftsführung verbietet Homeoffice – aus Misstrauen den Mitarbeitern gegenüber“

Quelle: ddp images

In Deutschland infizieren sich täglich Tausende mit dem Coronavirus. Trotzdem beordern viele Arbeitgeber ihre Mitarbeiter weiter ins Büro, obwohl Heimarbeit möglich wäre. Fünf Betroffene protokollieren ihre Situation.

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In der Theorie klingt es ganz einfach: Wer kann, arbeitet von zu Hause, sieht deshalb weniger Kollegen, begegnet weniger Personen in Bus und Bahn und senkt so das Infektionsrisiko. Nicht nur das eigene, sondern auch das der Mitmenschen.

Doch mittlerweile ist Mitte Januar, und das Coronavirus hat Deutschland noch immer voll im Griff. Nach Weihnachten und Silvester steigen die Inzidenzzahlen wieder, trotz Lockdown light und Kontakteinschränkungen. Mittlerweile gelten in vielen Städten nächtliche Ausgangssperren. In Städten, in denen es mehr als 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner gibt, sollen sich Menschen nicht über einen Radius von 15 Kilometern hinaus bewegen – ausgenommen davon selbstverständlich: Der Weg ins Büro ist weiterhin erlaubt.

Verbreitet sich das Virus weiter, weil zu wenige Menschen im Homeoffice sind? Aussagekräftige Daten gibt es dazu nur wenige, politische Meinungen umso mehr. Die Debatte um das Homeoffice ist im vollen Gange. Noch heute wollen Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dazu mit Personalvorständen und Unternehmen beraten, wie sie es erreichen können, dass mehr Menschen zu Hause bleiben.

Die WirtschaftsWoche hat mit Angestellten gesprochen, die gerne zu Hause bleiben wollen, aber nicht dürfen. Dabei zeigt sich: Viele Vorgesetzte haben noch immer Vorurteile gegenüber Mitarbeitern im Homeoffice. Sie fürchten den Kontrollverlust oder sinkende Arbeitsleistung. Viele führen Heimarbeit kurzfristig ein, um sie gleich wieder zurückzunehmen. Die Entwicklung der Infektionszahlen scheint dabei keine entscheidende Rolle zu spielen. Fünf Beschäftigte berichten, wie chaotisch die Situation in ihren Büros ist:

Verwaltungsmitarbeiterin bei einem Hersteller von medizinischem Bedarf:

„Ich war seit Ausbruch der Pandemie nur ein paar Tage im Homeoffice. Bei der ersten Welle im Frühjahr hieß es von heute auf morgen: Wir schicken euch nach Hause. Aber es gab null Vertrauen aus der Geschäftsführung. Wir hatten mehrere Teamgespräche am Tag. Als würde man kontrollieren wollen, dass wir auch wirklich zu Hause sitzen. Nach ein paar Tagen hieß es dann: Das funktioniert nicht, ihr müsst wieder zurückkommen.

Als dann beim zweiten Lockdown wieder die Aufforderung der Regierung kam, wenn möglich im Homeoffice zu arbeiten, sollte es bei uns noch mal einen Test geben. Alles sollte vertraglich geregelt sein. Aber es hat dann ewig gedauert, bis der Vertrag fertig war. Im Dezember haben wir gesagt: „Wir wollen jetzt endlich ins Homeoffice." Wir wollten kein schlechtes Gewissen haben müssen, dass wir an Weihnachten sonst unsere Familien gefährden könnten.

Trotzdem durfte nur eine Handvoll Mitarbeiter nach Hause. Wer ein Einzelbüro hat, der solle bitte bleiben. In unseren Bürokomplex haben wir zwar Hygieneregeln und Maskenpflicht. Aber eingehalten oder kontrolliert werden die nicht wirklich.

Dabei verkaufen wir medizinische Produkte. Wenn Mitarbeiter zum Kunden fahren, dann sollen sie auf Hygiene achten. Aber hier ist das egal. Da fragt man sich wirklich, ob die Geschäftsführer überhaupt selbst an den Sinn ihrer Produkte glauben.

Dass die Infektionszahlen jetzt wieder so hoch sind, interessiert hier auch niemanden. Meine Kollegin ist erkältet, unser Chef hat trotzdem gesagt: 'Wenn die Symptome wieder weg sind, dann kannst du auch wieder reinkommen.' Aber ich will nicht diejenige sein, die ein Spreader-Event auslöst. Wir haben viele ältere Kollegen, die will ich nicht gefährden. Ich habe Aufgaben, die ich von zu Hause machen kann. Bei anderen geht das nicht so einfach.“

Natürlich gibt es viele, die keine Wahl haben, weil sie Kranke versorgen, Häuser bauen, Fliesen legen oder in Fabriken arbeiten. Und andere, die sich zu Hause nicht konzentrieren können. Aber nach Schätzungen des Münchener Ifo-Instituts wäre es für 56 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland durchaus möglich, im Homeoffice zu arbeiten. In der Theorie.



Wie viele Menschen in der Praxis tatsächlich den Großteil ihrer Zeit in ihren eigenen vier Wänden arbeiten, dazu gibt es keine offiziellen Angaben. Zwar geben viele Arbeitgeber an, dass sie Homeoffice möglich machen wollen. So erklärten im Mai noch 71 Prozent der Maschinenbauer in einer Umfrage des Verbandes VDMA, dass sie Homeoffice anbieten, wo immer möglich. Ein paar Monate später, im Oktober, erklärten bei einer Erhebung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) jedoch nur 42 Prozent der Unternehmen, dass zumindest ein kleiner Teil ihrer Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten können. Und dabei zeigten sich deutliche Unterschiede je nach Größe des Unternehmens: Zwar gaben beinahe alle Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeiter an, dass sie Heimarbeit erlauben würden. Bei Unternehmen mit weniger als zehn Angestellten waren es jedoch nur noch 36 Prozent.

Selbst Behörden und Ämter schaffen es nicht, flächendeckend Homeoffice einzuführen. Nach einer Umfrage des Deutschen Beamtenbunds dbb sind nur 67 Prozent der Beschäftigten des Bundes in Heimarbeit, auf Landesebene nur 55 Prozent und bei kommunalen Behörden gerade mal 37 Prozent. Die Gründe? Vielfältig. Mal wird die schlechte technische Ausstattung angeführt, mal die Datensicherheit oder auch der Unwillen der Führungskräfte.

Teamassistentin in einem jungen Unternehmen:

„Ich arbeite seit fast zehn Jahren in einem ehemaligen Start-up mitten im Herzen einer der größten deutschen Städte. Die Firmenkultur ist geprägt von weißen Hochglanzmöbeln und Arbeitsplatz-Sharing. Mitten in diesem gelebten Lifestyle-Büroleben bricht eine Pandemie aus und bedroht unser aller Leben und unsere Existenz. Dies sei aber kein Anlass, unsere Büros zu verlassen, ‚schließlich liegen die Leute zu Hause eh nur faul rum‘, so die Auffassung unserer Geschäftsführung.

Geschäftsführer, die sich an Brückentagen selbst ‚Homeoffice‘ eintragen, obwohl sie in Wirklichkeit nichts Produktives machen – wie soll ich da erklären, dass ich zu meinem Schutze und dem Schutz meiner Mitmenschen von zu Hause arbeiten möchte? Vielleicht sogar mehr Stunden als in meinem Vertrag stehen, da ich mich nicht durch die alltägliche Rushhour in die Stadt quälen muss?

Meine Kollegen im Büro taten weiterhin so, als gäbe es dieses Virus gar nicht. Sie trafen sich mit Freunden, fuhren Bahn, gingen ins Fitnessstudio, hielten im Büro keinerlei Mindestabstand ein und trugen keine Masken. Die Arbeitsplätze wurden nach wie vor von vielen Mitarbeitern genutzt – es sitzen bis zu vier Personen in einem Raum. Von Lüften keine Spur – ‚da wird man ja krank bei solchen Temperaturen‘. Die Geschäftsführung unternahm auch auf Nachfrage nichts.

Für mich war das eindeutig die Zeit zu handeln. Irgendwann habe ich es doch geschafft, dass meine Chefs resignierten und mich ins Homeoffice entließen. Nun telefonieren wir mehrmals täglich, es gibt Onlinekonferenzen. Ich habe nicht selten das Gefühl, etwas mehr überwacht zu werden als meine Kollegen im Büro. Aber ich bin sehr bestrebt, immer 110 Prozent zu geben, um niemanden Grund zur Annahme zu geben, ich würde nicht arbeiten. Im Büro arbeite ich netto sehr wahrscheinlich weniger, aber das ist es mir wert.“

Tatsächlich scheint die Homeoffice-Quote sich seit der ersten Welle im Frühjahr eher verringert zu haben. Bei einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung im November gaben im November nur 14 Prozent der Beschäftigten an, dass sie „ausschließlich oder überwiegend“ im Homeoffice arbeiten. Damit ist die Quote seit April gravierend gesunken: Damals arbeiteten noch 27 Prozent der Befragten von zu Hause.

Auch Google berichtet, dass vor Weihnachten mehr Menschen zur Arbeit pendelten als noch im April. Der Onlinekonzern erhebt solche Daten mithilfe von Nutzern zum Beispiel des Kartendiensts Google Maps, die einen Standortverlauf in ihren Einstellungen aktiviert haben. Das Ergebnis: Während Google im April noch 30 Prozent weniger Bewegung zu Büros und Arbeitsstätten verzeichnete, waren es vor Weihnachten nur noch minus 15 Prozent.

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