Protokolle von Betroffenen „Die Geschäftsführung verbietet Homeoffice – aus Misstrauen den Mitarbeitern gegenüber“

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Privat treffe ich fast niemanden, aber im Büro ganz viele

Verwaltungsmitarbeiter in einer Uniklinik:

„Ich arbeite in der Verwaltung einer Uniklinik. Was wir machen, kann man vielleicht nicht zu hundert Prozent von zu Hause aus machen, manchmal gibt es den Bedarf, im Büro zu sein. Aber zu einem großen Teil wäre es möglich, wenn denn die Bereitschaft des Arbeitgebers da wäre.

Im ersten Lockdown hieß es noch: Aus jedem Team soll sich einer in Quarantäne begeben, quasi als Ersatzspieler. Falls sich das Virus dann ausbreitet im Büro, sollte der Laden immer noch am Laufen bleiben. Ich bin aus unserer Arbeitsgruppe dann ins Homeoffice gegangen. Im Mai hat mich meine Chefin zurückbeordert. Die meinte: Corona sei ja jetzt nicht mehr das Thema, das Risiko sei ja nicht mehr so groß.

Zwischendurch wollte man den Leuten zugestehen, mindestens einen Tag in der Woche von zu Hause zu arbeiten. Aber wenn man dann auf dem Antrag angekreuzt hat, dass man zusätzliche Hardware braucht, wurde der abgelehnt. Dafür ist kein Geld da, hieß es dann. Ich habe mir mittlerweile selbst einen Laptop gekauft, Maus, Tastatur und einen zweiten Bildschirm. Das setze ich dann halt von der Steuer ab.

Im zweiten Lockdown war erst immer nur eine Person aus unserem Team im Büro. Im Januar wollte meine Chefin dann, dass doch immer zwei anwesend sind. Wir hätten ja schließlich auch zwei Büros. Das ist irrational. Aber es gibt um solche Ansagen auch keine Diskussion, auch nicht mit den höheren Führungsebenen. Die meisten in der Führungsetage sind über 60 Jahre alt, klassische alte Schule, die sind auch alle komplett anwesend. Die denken dann: Wenn ich Mitarbeitern nicht auf die Finger gucke, dann arbeiten die auch nicht.

Ich fahre mit dem Fahrrad zur Arbeit. Aber die meisten kommen trotzdem mit dem Zug zur Arbeit und sind dadurch Risiken ausgesetzt. Und es wäre auch schon für den Umweltschutz ein riesiger Fortschritt, wenn man nicht täglich zur Arbeit pendeln müsste.

Ich sehe Homeoffice jetzt auch nicht schwarz oder weiß. Aber es gibt noch viele im Büro, die haben die Maske ständig unter der Nase hängen. Diese Menschen stellen für mich dann auch eine Gefahr da. Privat treffe ich fast niemanden, aber im Büro ist es dann egal, wie vielen ich über den Weg laufe? Dass die Arbeitgeber da nicht mehr in die Pflicht genommen werden, finde ich problematisch.“

Zwar ist bei vielen Infizierten unklar, wo sie sich mit dem Coronavirus angesteckt haben. Das Robert-Koch-Institut kann nur einem Sechstel aller Erkrankten eine Infektionsquelle zuordnen, die meisten davon haben sich bei anderen Infizierten im eigenen Haushalt angesteckt. Etwa fünf Prozent der Infektionsherde führt das Institut auf den Arbeitsplatz zurück.

Wissenschaftlich ist es trotzdem unumstritten, dass mehr Heimarbeit zu weniger Infektionen führt. „Hätten wir eine so hohe Quote an Homeoffice wie im Frühjahr, dann hätten wir die Hälfte an Infektionen in Deutschland“, sagt Harald Fadinger, Professor für VWL an der Universität Münster. Der Wissenschaftler hat die Auswirkungen des ersten Lockdowns untersucht. Das Ergebnis: bereits wenn ein Prozentpunkt mehr Beschäftigte von zu Hause aus arbeiten, kann das die Infektionsrate um bis zu acht Prozent senken.

Mitarbeiterin bei einem mittelständischen Maschinenbauer in Süddeutschland*:

„Obwohl Homeoffice für den Großteil der Belegschaft technisch möglich wäre, wird dies von der Geschäftsführung aus Misstrauen den Mitarbeitern gegenüber nicht erlaubt. Es gilt also Präsenzpflicht im Büro. Die Corona-Vorgaben werden bei uns nur halbherzig umgesetzt, z.B. dürfen und sollen Mitarbeiter mit Erkältung trotzdem weiter zur Arbeit kommen, nicht mal ein negativer Coronatest wird verlangt. Entsprechend wird in der kalten Jahreszeit bei uns rumgehustet und geniest. Es gibt auch weiterhin Meetings mit bis zu 10 Teilnehmern, bis vor wenigen Wochen auch alles ohne Maske.

Vor wenigen Wochen gab es dann bei uns die ersten vier Coronafälle, alle in derselben Abteilung und bei Mitarbeitern, die entweder im gleichen Büro saßen oder sonst Kontakt zueinander hatten. Falls das Gesundheitsamt offiziell informiert wurde, so wurde jedenfalls keine Quarantäne für Kontaktpersonen angeordnet. Eine Woche später waren weitere fünf Mitarbeiter infiziert, die in der Zwischenzeit ohne Symptome weiter im Büro gearbeitet hatten. Auf Nachfrage beim Gesundheitsamt hieß es, Quarantäne bzw. Tests würden erst bei Symptomen verordnet, vorher bestehe keine Veranlassung dazu. Letzte Woche erneut zwei Fälle in Nachbarbüros. Inzwischen sind die ersten Erkrankten wieder einigermaßen genesen und kommen (auch Führungskräfte) aber teilweise noch mit Symptomen wieder ins Büro, halten Meetings ab usw. und es wird weiterhin auch kein Homeoffice gewährt. Und das beste: die Corona-Warn-App zeigt auch trotz Kontakt zu Infizierten KollegInnen keine Risikokontakte an.

Es ist mir inzwischen völlig unverständlich, warum man einerseits die Schließung ganzer Branchen verfügt und andererseits bei den privilegierten noch geöffneten Unternehmen selbst bei deutlich erkennbaren Infektionsketten wie im Fall meines Arbeitgebers keinerlei Maßnahmen ergreift und einer weiteren Ausbreitung der Infektionen unter den Mitarbeitern tatenlos zusieht. Das ist nicht nur grob fahrlässig den eigenen Mitarbeitern gegenüber sondern auch rücksichtslos und unfair den Tausenden geschlossenen Betrieben gegenüber. Leider kann man als Mitarbeiter nichts dagegen machen, ohne seinen Job zu verlieren. Also muss man stillhalten und versuchen irgendwie Glück zu haben beim russischen Roulette am Arbeitsplatz.

Ich denke mir nur: Wenn dem Arbeitgeber und dem Gesundheitsamt die Infektionskettenunterbrechung derart egal ist, warum soll ich mich dann an 15 km-Regel, Ausgangssperre etc. noch dranhalten?“

*anonymer Bericht, veröffentlicht von Laura Sophie Dornheim

Die Grünen-Politikerin Laura Sophie Dornheim sammelt bereits seit Tagen unter dem Hashtag #MachtBüroszu Berichte von Arbeitnehmern, deren Vorgesetzte sich querstellen. Sie hat die negativen Berichte in einer Excel-Liste zusammengetragen, mittlerweile finden sich darin über 130 Unternehmensnamen. Ihre Parteikollegin Karin Göring-Eckardt forderte jüngst, dass es Bußgelder für solche Unternehmen geben sollte.

In anderen Ländern ist das bereits Realität. So gilt in Belgien bereits seit Oktober, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter nach Hause schicken sollen. Wer dagegen verstößt, dem drohen Strafen von bis zu 48.000 Euro. Ausnahmen gelten für Fabriken, Bauern, Bauarbeiter und andere systemkritische Berufe. Unternehmen sollen weiter ihre Produktion und Angebote aufrecht erhalten können. Dank dieser Regelung befinden sich in Belgien etwa 30 Prozent aller Beschäftigten in Heimarbeit. Allerdings berichteten auch die Hälfte der Unternehmen, dass die Regelung zumindest einen leichten Einfluss auf die Produktivität habe.

Das lässt auch deutsche Politiker zögern. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) schlug im Sommer noch ein Recht auf Homeoffice vor, mittlerweile ist er davon abgerückt. Gemeinsam mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) will er Druck auf die Unternehmen aufbauen, ihrer Verantwortung in der Pandemie nachzukommen. Doch es bleibt wohl bei „dringenden Appellen“. Eine verpflichtende Regelung steht bisher nicht zur Debatte.

Ingenieur bei einem mittelständischem Chemieunternehmen:

„Aus meiner Sicht ergibt es Sinn, mal von zu Hause zu arbeiten, wenn es der Job zulässt. Über unseren Flurfunk kam aber schnell zutage, dass seitens der Geschäftsführung Misstrauen in die eigene Belegschaft herrscht und diese ‚die Firma ja nur ausnutzen würden‘, beim mobilen Arbeiten nicht arbeiten würden. „Die Mitarbeiter bescheißen das Unternehmen,“ wurde aus der Chefetage kolportiert. Wenn man einmal ehrlich ist, ist es doch so, dass es auch im Büro Personen gibt, die effizienter arbeiten könnten.

Da in meiner Abteilung einige Kollegen Kinder zu betreuen haben, war der Teamleiter wesentlich pragmatischer als seine Geschäftsführung und hat kurzerhand Möglichkeiten geschaffen, um die Produktivität zu erhalten. Die Kollegen hätten ja ansonsten gar nicht arbeiten können.

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Mit Verlauf der Pandemie wurde dann auch spät mit einer Betriebsvereinbarung nachgeregelt. Auch hier wurde ich dann überrascht, als der Betriebsrat sich wunderte, warum in unserer Abteilung so lebhaft ins mobile Arbeiten gegangen wird. Die sei doch nur für die Personen mit Kindern reserviert. Für mich ist klar, dass es hier ein Gleichberechtigungsgrundsatz geben muss.

Grundsätzlich sollte man davon ausgehen dürfen, dass das (Über-)Leben der Mitarbeiter einen genauso hohen Stellenwert hat, wie das wirtschaftliche Überleben. Daher sind die Hindernisse und das sperrende Verhalten mehr als überflüssig. Es fühlt es sich an wie ein Mangel an Wertschätzung.“

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