Herr van den Broek, einer Sekretärin, die 2013 ihren Job verloren hat, habe ich ein seriöses Zeitarbeitsunternehmen empfohlen, das ich kenne...
...also Randstad.
Nein, ein anderes. Sie hat geantwortet: „Zeitarbeit ist natürlich das Allerletzte, was man versucht.“ Wissen Sie, dass viele Arbeitnehmer in Deutschland so denken?
Ja. Aber den schlechten Ruf hat die Branche vor allem bei Leuten, die sie nicht kennen. Da gibt es noch einiges zu tun für uns. Ihre Bekannte sollte wissen, dass Randstad 2013 im kaufmännischen Bereich bundesweit durchschnittlich eine Vermittlungsquote von 35 Prozent hatte. Branchenüblich sind 20 bis 30 Prozent. Randstad wäre also ein guter Tipp für die Dame. Sie verpasst sonst die Chance, bei einem unserer Kunden einen guten Job zu bekommen – das wäre doch schade.
Ist Ihre Branche in anderen Ländern auch so unbeliebt wie in Deutschland?
In Holland hat die Zeitarbeit auch nicht den besten Ruf. Aber nirgends finde ich die Kritik an der Zeitarbeit so paradox wie in Deutschland.
Zur Person
Jacques Van den Broek, 54, arbeitet seit 1988 für die niederländische Randstad-Gruppe, die in Diemen bei Amsterdam ihren Sitz hat und in Deutschland Marktführer ist. Am 1. März dieses Jahres wurde der Jurist Vorstandschef des Konzerns.
Warum?
Deutschland war vor zehn Jahren, was jetzt Frankreich ist: eine unflexible, schwache Wirtschaft. Dann machte der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 den Arbeitsmarkt flexibler. Das ist nicht die einzige Ursache, warum es Deutschland wieder viel besser geht, aber eine wichtige. Trotzdem erleben wir jetzt einen Reflex der Politik. Sie will das Rad wieder zurückdrehen. Aber warum?
Weil die Branche ihre Freiheiten missbraucht hat?
Was verstehen Sie unter Missbrauch?
Dumpinglöhne, Tarifumgehung – Stammarbeitnehmer mussten in schlechter bezahlte Zeitarbeitsverhältnisse wechseln.
Das hat es gegeben. Aber es wird zu viel über die negativen Einzelfälle geredet und zu wenig über Zehntausende von Leuten, die jedes Jahr neu eingestellt wurden. Mehrere Jahre hat keine Branche mehr Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen als die Zeitarbeit. Und die Zeitarbeit hat sich geändert: Es gibt heute gute Tarifverträge. Unsere Einstiegstarife in der Entgeltgruppe 1 liegen in Westdeutschland über dem jetzt diskutierten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Auch in Ostdeutschland wird ab Juni 2016 der Mindestlohn von 8,50 Euro bezahlt.
Der Mindestlohn macht Ihnen also keine Sorgen, wenn er in Kraft tritt?
Nein. Aber wenn der Mindestlohn zu schnell steigt, werden Unternehmen, denen schon kleine Kostensteigerungen die Marge wegnehmen, neue Standorte suchen. Autozulieferer zum Beispiel. Polen ist nicht weit für die deutsche Industrie.
Was halten Sie von den Berliner Plänen, Arbeitnehmerüberlassungsverträge auf 18 Monate zu befristen?
Das ist keine gute Idee. Welches Problem wollen wir damit lösen? Zeitarbeiter, die gute Arbeit leisten, müssen dann nach 18 Monaten das Unternehmen verlassen, wo wir sie einsetzen, und in einen anderen Einsatz gehen. Das ist vor allem bei höher qualifizierter Projektarbeit nachteilig für Kunden und Mitarbeiter gleichermaßen.
Oder sie werden vom Einsatzbetrieb nach 18 Monaten übernommen.
Sicher nicht der überwiegende Teil. Leider übersehen Politik und Medien, dass Zeitarbeitsjobs in keinem anderen Land – ausgenommen in Österreich – so sicher sind wie in Deutschland. In vielen anderen Ländern sind die Zeitarbeitsunternehmen reine Vermittler befristeter Arbeitsverhältnisse. Dort ist nach einem Einsatz das Arbeitsverhältnis zu Ende, und die Arbeitsverträge sind somit von Anfang an auf den Auftrag befristet. In Deutschland hingegen sind Zeitarbeitsunternehmen vollwertige Arbeitgeber mit allen gesetzlichen Pflichten plus denen aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Sie stellen die Mitarbeiter bei sich selber fest an – befristet oder unbefristet – und zahlen Lohn auch für einsatzfreie Zeiten. Weshalb also die 18 Monate?
Die Poleposition in Deutschland werden wir nicht freiwillig räumen"
Weil betroffene Arbeitnehmer es als unfair empfinden, auf Dauer Zeitarbeitskräfte zu bleiben und nicht in die Stammbelegschaft des entleihenden Unternehmens übernommen zu werden.
Jede Wirtschaft braucht aber gute Flexibilität. Ohne sie kann kein Land konkurrieren im Weltmarkt. Sonst werden Arbeitsplätze verschwinden. Wenn man die gute Flexibilität weiter einschränkt, wird es nicht mehr feste Arbeitsverhältnisse geben, sondern mehr schlechte Flexibilität.
Die größten Arbeitskräfteverleiher in Deutschland 2013
Autovision
Umsatz in Mio. Euro: 550
Zeitarbeitnehmer: 13.000
Quelle: Lündendonk
Manpower
Umsatz in Mio. Euro: 576
Zeitarbeitnehmer: 19.000
Persona Service
Umsatz in Mio. Euro: 662
Zeitarbeitnehmer: 18.000
Adecco
Umsatz in Mio. Euro: 1571
Zeitarbeitnehmer: 40.000
Randstad
Umsatz in Mio. Euro: 1880
Zeitarbeitnehmer: 60.000
Sehen Sie noch die Chance, die Höchstüberlassungsdauer zu verhindern?
Ja, denn Brüssel steht der Zeitarbeit positiv gegenüber. Der zuständige EU-Kommissar Lazlo Andor hat uns geschrieben, er werde jetzt alle Länder mit unzulässigen Beschränkungen der Zeitarbeit fragen, warum sie die EU-Richtlinie von 2008 noch nicht umgesetzt haben. Die verbietet Einschränkungen der Zeitarbeit. Eine Begrenzung auf 18 Monate verstößt gegen den Geist dieser EU-Richtlinie. Uns vorzuschreiben, wie lange wir Mitarbeiter an einem Arbeitsplatz beschäftigen dürfen, ist ein Eingriff in unsere Vertragsfreiheit.
Würden Sie auf Grundlage der EU-Richtlinie gegen die Höchstüberlassung klagen?
Dazu wären wir bereit.
Werden Zeitarbeitsunternehmen versuchen, die Befristung zu umgehen – indem sie etwa Mitarbeiter zu eigenen Tochtergesellschaften verschieben und von da aus erneut zum selben Kunden vermitteln wie zuvor?
Für die Branche hoffe ich es nicht. Für Randstad kann ich sagen, dass wir uns daran nicht beteiligen und uns an die gesetzlichen Bestimmungen halten.
Medienberichten zufolge beendet gerade Randstad aber bei der Telekom-Tochter T-Systems langfristige Zeitarbeitseinsätze – eine Randstad-Tochter schickt die Leute dann als Werkvertragskräfte erneut zu T-Systems. Kennen Sie den Vorgang?
Nein, den kenne ich nicht. Aber ich bin sicher, dass die Kollegen in Deutschland ihr Geschäft nach gültigen gesetzlichen Regelungen handhaben. Grundsätzlich steht Randstad nicht für Umgehungen von rechtlichen Vorgaben oder für Tricks wie Ketten-Arbeitnehmerüberlassung, Drehtüreffekt und Ähnliches zur Verfügung.
Bessere Tarifverträge und Branchenzuschläge haben die Zeitarbeit in Deutschland verteuert? Wer bezahlt das?
Dadurch steigt zwar unser Umsatz in Deutschland, unsere Marge jedoch nicht. Es kommt auf die Preisverhandlungen mit unseren Kunden an.
Randstad als Massenanbieter tritt in Deutschland auf der Stelle. Warum ist Adecco im margenstarken Geschäft mit Fachkräften besser als Sie?
Zunächst: Wir verstehen uns nicht als Massenanbieter, sondern als Full-Service-Anbieter. Adecco hat 2006 die DIS AG gekauft – für sehr viel Geld. Das fanden wir zu teuer. Aber DIS ist ein gutes Unternehmen. Deshalb hat Adecco zurzeit mehr Professionals und Spezialisten als wir. Derzeit hat Randstad Deutschland einen deutlich höheren Anteil an gewerblichen Mitarbeitern im Vergleich zu höher Qualifizierten wie kaufmännischen Mitarbeitern oder Ingenieuren. Aber auch hier weiten wir unsere Aktivitäten derzeit deutlich aus.
Warum Unternehmen Zeitarbeit einsetzen
Laut einer aktuellen Studie der Personalberatungs- und Personalvermittlungsgesellschaft Page Personnel ist die Flexibilität für 94,3 Prozent der befragten deutschen Unternehmen ausschlaggebend für den Einsatz von Zeitarbeitern. Global nannten 89,4 Prozent der Befragten Flexibilität als Hauptargument.
Befragt wurden Unternehmen (und Fachkräfte), die in den letzten zwölf Monaten Zeitarbeit eingesetzt haben, beziehungsweise als Zeitarbeiter beschäftigt waren. Mehrfachantworten waren möglich.
Fast 80 Prozent der deutschen Unternehmen (global 75,7 Prozent) nutzen die Zeitarbeit, um Kandidaten für eine Festanstellung zu finden.
Die Deckung kurzfristigen Personalbedarfs - etwa in Stoßzeiten oder als Krankheitsvertretung - nannten 61,9 Prozent als Motiv.
Für rund die Hälfte der Befragten sind Zeitarbeiter schlicht eine günstige Alternative zu festangestellten Kräften. Global sagten sogar 61,2 Prozent, dass sie Zeitarbeiter aus Gründen der Kosteneffizienz beschäftigten.
Frischer Wind von außen: Für mehr als ein Drittel sind Zeitarbeiter eine Möglichkeit, externes Wissen und Kenntnisse in den Betrieb zu bringen.
Langfristige Weiterentwicklung des Unternehmens erhoffen sich 14,2 Prozent der deutschen Studienteilnehmer von Zeitarbeitern. Global betrachtet steigt die Zahl auf 26,9 Prozent.
Sie kommen mit der Dachmarke Randstad gegen die eigenständigen Marken von Adecco nicht an?
Das hat nichts mit der Marke zu tun. Andere Ländergesellschaften machen unter dem Namen Randstad ein gutes Geschäft im Professionals-Bereich. Dass Randstad als Unternehmen und Marke identisch ist, hilft uns bei Großkunden wie Philips und ThyssenKrupp, wo wir Komplettanbieter sind. Bei Adecco hingegen geht nicht die Gruppe zu den Kunden, sondern jedes einzelne Unternehmen.
Trotzdem greift Adecco-Deutschland-Chef Andreas Dinges Ihre Marktposition an. Dinges hat erklärt, er wolle Randstad von der Branchenspitze verdrängen. Was tun Sie dagegen?
Die Poleposition in Deutschland ist uns wichtig. Die werden wir nicht freiwillig räumen, sondern verteidigen, indem wir wachsen – insbesondere im Professionals-Bereich. Das müsste in der Tat schneller gehen. Deshalb haben wir für den Ingenieur- und IT-Bereich einen neuen Geschäftsführer in Deutschland eingestellt.
"Für die Sorgen der Wirtschaft in Europa sind wir die Lösung, nicht das Problem"
Könnten Sie mit einer größeren Übernahme den Spezialistenbereich stärken?
Wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine Übernahme vor allem dann gut gelingt, wenn man selber seine Hausaufgaben in dem jeweiligen Geschäftsbereich gemacht hat. Daran arbeiten wir derzeit intern. Daher wäre es jetzt kein guter Moment, um im Professionals-Bereich in Deutschland etwas zu kaufen.
Was sich Fachkräfte von Zeitarbeit versprechen
Mehr als die Hälfte der von Page Personnel befragten Fachkräfte, verspricht sich von der Zeitarbeit einen Aufbau des beruflichen Netzwerks.
Befragt wurden Fachkräfte (und Unternehmen), die in den letzten zwölf Monaten Zeitarbeit eingesetzt haben, beziehungsweise als Zeitarbeiter beschäftigt waren. Mehrfachantworten waren möglich.
Für viele ist Zeitarbeit Rettungsanker: 57,2 Prozent nannten "Beschäftigung in wirtschaftlich unsicheren Zeiten" als Vorteil von Zeitarbeit.
Für gut die Hälfte der Befragten bietet Zeitarbeit eine Verbesserung der Chancen auf eine Festanstellung.
Als Perspektive, professionelle Kenntnisse weiterzuentwickeln bezeichneten 24,6 Prozent der Studienteilnehmer die Zeitarbeit.
Für gut ein Viertel der deutschen Umfrageteilnehmer ist die Zeitarbeit ein Zugang zur Weiterbildung. Global nannten 49,6 Prozent "Weiterbildung" als großen Vorteil.
Für 14,7 Prozent hat Zeitarbeit den Vorteil einer guten Work-Life-Balance.
Wie unterscheiden sich die Margen zwischen einfacher Zeitarbeit und dem Spezialistenbereich?
In unserer weltweiten Strategie streben wir insgesamt einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von fünf bis sechs Prozent an: vier bis fünf im Inhouse-Bereich, also mit Sitz im Kunden-Unternehmen, fünf bis sieben Prozent im einfachen und acht Prozent im Professionals-Bereich.
Ist Deutschland ein Krisenland im Portfolio der weltweit insgesamt 39 Randstad-Gesellschaften?
Nein. Wenn zehn Prozent des Geschäfts einen Mangel an Wachstum hat, ist das keine Krise. Deutschland ist wichtig für uns, die größte Wirtschaft Europas mit weniger Zeitarbeitskräften als im europäischen Durchschnitt – also mit viel Potenzial.
Manpower ist in 80 Ländern aktiv, Adecco in 60. Lassen Sie Chancen ungenutzt?
Die 39 Länder rund um den Globus decken 90 bis 95 Prozent des Weltmarktes ab. Es ist leichter, in einem florierenden Markt zwei oder drei gute Leute im Management zusätzlich einzustellen und damit zwei, drei Millionen Euro zusätzlichen Umsatz zu erwirtschaften, als in Ländern mit kleineren Märkten mit geringem Potenzial neu einzusteigen und jahrelang Anlaufverluste zu haben. Es gibt allenfalls zwei oder drei Länder, die für uns noch interessant sein könnten in den nächsten drei bis fünf Jahren. Aber kurzfristig haben wir nicht die Absicht, in neue Märkte einzusteigen.
Manpower und Adecco haben dem Emirat Katar angeboten, Personal für den Bau von WM-Stadien zu rekrutieren. Und Sie?
Wir haben uns das angeschaut. Das ist ein großes Geschäftsvolumen, aber nicht profitabel. Man sollte nur etwas unterstützen, wovon man glaubt, dass es ein Erfolg wird. Die WM in Katar gehört aus meiner Sicht nicht dazu. Die Arbeitsumstände für die Arbeiter sind nicht akzeptabel. Außerdem: Ich habe 30 Jahre Fußball gespielt. Bei 50 Grad im Schatten geht das nicht.
Wieso sponsern Sie als Ex-Fußballer kein Fußball-, sondern ein Formel-1-Team?
Weil unsere Recherchen ergeben haben, dass uns das weltweit die größte Aufmerksamkeit schaffen würde. Es ist der Sport Nummer eins im TV, der ein großes Publikum anspricht. Formel-1-Rennen finden auch in den Ländern statt, in die wir mit unserem Clipper „Stad Amsterdam“ nicht hinsegeln können, und schafft uns dort Aufmerksamkeit. Wir setzen die Formel 1 auch zur Rekrutierung von Bewerbern und als Incentive für unsere Mitarbeiter ein.
26 Jahre Randstad, zehn im Vorstand, nun weltweiter Konzernchef. Reizte Sie nie eine Branche mit besserem Image?
Das Branchenimage war für mich nicht so ausschlaggebend. Wir finden pro Jahr Jobs für zwei Millionen Menschen weltweit. Wir senken die Arbeitslosigkeit. Wir bieten den Unternehmen die erforderliche Flexibilität. Für die Sorgen der Wirtschaft in Europa sind wir die Lösung, nicht das Problem. Daran bin ich beteiligt, und das macht diese Branche für mich sehr attraktiv.