
Das Interesse an seiner ersten großen Mitarbeiterversammlung am Donnerstagnachmittag hat Lufthansa-Vorstand Karl Garnadt offenbar überrascht. Deutlich mehr Mitarbeiter als erwartet wollen wissen, was der Chef des Passage genannten Fluggeschäfts unter der Marke Lufthansa zu sagen hat. Darum steigt die Veranstaltung nun nicht in der Konzernzentrale der Fluglinie westlich des Frankfurter Flughafens, sondern im nahen Steigenberger Airport Hotel. Dass der Ort fußläufig zur Hauptverwaltung der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit liegt, passt auch.
Die Neugierde ist verständlich. Nach knapp neun Monaten im Amt will der 58-Jährige in dem dreizackigen weiß-grau-brauen Bau endlich erzählen, wie er das Kerngeschäft der nach Umsatz größten Airline Europas auf Vordermann bringen will. Denn auch wenn Christoph Franz nun seit einem Jahr den Chefsessel an Carsten Spohr abgegeben hat und viele Konzernteile bereits besser arbeiten als zuvor: An den grundlegenden Problemen des Passage- Fluggeschäfts hat sich recht wenig geändert.
Trotz aller Sparerfolge fliegt die Lufthansa noch zu teuer, um mit den Fluglinien vom Golf und erst recht den europäischen Billigfliegern wie Ryanair oder Easyjet mithalten zu können. Und dort wo sie Qualität bietet, sind die anderen entweder besser (Emirates oder Qatar Airways) oder für die Kunden bei niedrigeren Preisen gut genug (die US-Fluglinien).
Die Sparprogramme der Lufthansa
Nach dem Golfkrieg Anfang der neunziger Jahre brach der Luftverkehr ein und die Lufthansa rutschte wegen zu hoher Kosten und Überkapazitäten an den Rand der Pleite. So startete der 1991 zum Vorstandschef gewählte Jürgen Webers sein erstes Sparprogramm, bei dem er mit Zustimmung der Gewerkschaften 8000 Stellen abbaute. Das Programm war ein Erfolg, nicht zuletzt, weil es die Lufthansa zur Schicksalsgemeinschaft machte und die Arbeit im Sparteam die späteren Konzernchefs Wolfgang Mayrhuber und Christoph Franz zu engen Vertrauten machte.
Trotz der Erfolge der Sanierung knickte der Lufthansa-Gewinn 1996 wieder ein. Die nach wie vor zu hohen Kosten sollte das Programm 15 drücken, von 17 Pfennigen um einen Passagier einen Kilometer weit zu transportieren auf höchstens 15, was einer Einsparung von einer Milliarde Mark oder fünf Prozent des Umsatzes entsprach. Das Programm erreichte das Sparziel eine Milliarde, doch am Ende scheiterte es, weil andere Kosten die Lufthansa wieder zu einem der teuersten Anbieter der Branche machte.
Trotz boomender Wirtschaft sanken Ende der neunziger Jahre die Lufthansa-Gewinne, nicht zuletzt wegen der wachsenden Konkurrenz durch Billigflieger. Darum sollte Operational Excellence nicht nur die Kosten senken, sondern auch die Qualität und besonders die Pünktlichkeit steigern, damit die Lufthansa ihre höheren Preise rechtfertigen konnte. In Sachen Pünktlichkeit half das Programm. Doch zum Qualitätsführer machte es Lufthansa nicht, nicht zuletzt, weil der Bordservice trotz hoher Investitionen unter dem Branchenstandard blieb.
Noch vor dem Ende des New Economy-Booms sackte 2000 der Lufthansa-Gewinn. Weil bisherige Sparprogramme kaum langfristig wirkten, wollte Konzernchef-Jürgen Weber mit D-Check – benannt nach der Generalüberholung eines Flugzeugs – die Arbeitsweise des Unternehmen verändern und die Kosten nachhaltig um eine Milliarde Euro senken. Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 kam D-Check akut und wurde dank Streckenstreichungen und Lohnzugeständnissen von gut 200 Millionen Euro mit fast 1,5 Milliarden Euro Ersparnis das einzige erfolgreiche Sparprogramm des Jahrzehnts.
Kaum im Amt musste der neue Konzernchef Wolfgang Mayrhuber nach Krisen wie dem Nachfrageeinbruch durch die Lungenseuche Sars in China für das Jahr 2003 einen erneuten Gewinneinbruch verkünden und wollte mit dem Aktionsplan die Kosten um 1,2 Milliarden Euro senken. Parallel dazu versuchte die Lufthansa ihren Europaverkehr im Rahmen von „Zukunft Kont“ neu und effizienter zu organisieren. Am Ende fehlte dem Programm die klare Linie und weil Flughäfen und anderen Lieferanten kaum Sparbeiträge lieferten, blieb es unter den Erwartungen.
Nach dem wenig erfolgreichen Aktionsplan rückte die Lufthansa in der nächsten Effizienzrunde wieder die Qualitätsverbesserung nach vorne. Doch das komplette „Upgrade to Industrie Leadership“ genannte Programm verpuffte, nicht zuletzt, weil in der 2008 beginnenden Finanzkrise den Kunden und besonders Geschäftsreisenden Qualität weniger wichtig war als ein guter Preis. Darunter litt besonders die Lufthansa, deren Service besonders im Vergleich zu Wettbewerbern wie Emirates eher dürftig ausfällt.
Nach dem Misserfolg des Qualitätsprogramm Upgrade startete Christoph Franz seine Zeit als Chef das Fluggeschäfts mit einem klassischen Sparprogramm. Auch weil es erstmals Entlassungen androhte und einen – Hochverrats verdächtigen - Umbau der Europaflüge in Richtung der Billigflieger vorschlug, musste Franz zurück rudern. Doch weil der Spardruck bleib und der Versuch den Einkauf im Konzern zu zentralisieren, grandios scheiterte, bleib am Ende eine magere Ersparnis von gut 600 Millionen - und an der unzeitgemäß aufwändigen Arbeitsweise änderte sich nichts.
Kaum Konzernchef, kündigte Christoph Franz den in drei wirkungslosen Sparrunden vermiedenen Komplettumbau an: mit zuvor unvorstellbaren Dingen wie Entlassungen, Entmachtung der Konzerntöchter zu Gunsten der Zentrale und dem Übergang der tiefroten Europafliegerei zur Billigtochter Germanwings. Die Aussichten sind gut, weil Franz Erfolge vorsichtig feiert, die Führung durch konzernfremde Manager ergänzte, der ganze Vorstand in Workshops für das Programm wirbt - und Franz beim Umbau der Tochter Austrian zeigte, dass er noch radikalere Dinge wie ein Ausflaggen nicht fürchtet.
Zu guter Letzt tut sich die Lufthansa mit Veränderungen ohnehin schwer. Die Firmenkultur ist – aller Ruppigkeiten zum Trotz – noch immer allzu konsensorientiert. Statt konsequent auf mehr Effizienz zu setzen, pflegt die Lufthansa den Anspruch: „Wir machen alles selbst“ und schleppt selbst unprofitable Töchter und eine zweite Firmenzentrale in Köln durch.
In solchen Strukturen einen Wandel einzuleiten, ist keine leichte Aufgabe. Doch wer das knorrige Lufthansa-Urgestein Garnadt kennt, weiß: Es geht zur Sache und das nicht zuletzt für die Piloten.
Die Lufthansa zieht die Zügel an
Die wichtigste Botschaft kam deshalb bereits vorab: Die Lufthansa zieht im Kurzstreckengeschäft die Zügel an. Die neue Billigmarke Eurowings, unter der künftig auch der Kölner Discount-Ableger Germanwings fliegt, startet ihre ersten Flüge in Wien.
Sie stationiert auch gleich Flugzeuge an dem Ort, an dem die kämpferischen Piloten nach einer Fast-Pleite konzernweit die geringste Macht haben. Denn Austrian-Chef Jan Albrecht hat nicht weniger geschafft, als den kompletten Flugbetrieb in eine Billigtochter namens Tyrolean zu packen.
Die Macht der Flugzeugführer nebst einem Großteil ihrer Privilegien inklusive der Gehälter blieb in der der teuren rechtlichen Hülle Austrian Airlines. „Das war angesichts der Not eher Heuschrecke als Kranich“, beschreibt ein führender Lufthanseat das für den Frankfurter Konsenskonzern ungewohnt ruppige Vorgehen.





Neben dem Gang an die Donau werden Garnadt und sein Konzern-Chef Carsten Spohr laut Insidern morgen wohl noch ein paar weitere Umbauten in der Verwaltung andeuten. Dabei schleifen sie vor allem die üppigen – je nach Zählweise – Doppel-, Dreifach- oder Vierfach-Strukturen. Nachdem andere Teile wie das Frachtgeschäft oder die IT-Tochter Systems bereits kräftig gespart haben, geht es nun endlich auch im Fluggeschäft los.
Abstimmung unter den Töchtern
Dabei werden vor allem die Flugtöchter im Ausland Austrian, die Züricher Swiss sowie Brussels näher an die Hauptmarke Lufthansa sowie die Billigflieger Germanwings und Eurowings heran geführt. Bisher hatten die Flugmarken nur einen gemeinsamen Ticket-Vertrieb unter dem Verkaufsvorstand der Lufthansa-Marke Jens Bischof. Künftig stimmen sich die Töchter auch ab, wann sie wohin fliegen und zu welchem Preis sie ihre Flugscheine über welchen Weg an welche Kunden verkaufen.
Das galt bis zum Amtsantritt von Spohrs Vorgänger Christoph Franz als undenkbar. Denn sein Vorgänger und heutiger Aufsichtsratschef Wolfgang Mayrhuber pflegte eine Art Management-theoretische Alleinstellung. Zentralisierung, so die als Mayrhuber-Doktrin bekannte Denkweise, bringe weniger Effizienz als interner Wettbewerb. Und das galt selbst dann, als die einzelnen Lufthansa-Linien sich dabei gegenseitig die Preise kaputt machten.
Nötige wäre eine Erweiterung des Sparprogramms Score
Auch wenn die ersten Reaktionen von den Arbeitnehmervertretern nicht sehr freundlich waren: die Umbaupläne sind nicht überraschend. Wenn man Garnadts Grundsanierung einen Vorwurf machen kann, dann dass sie etwas spät und mit gebremstem Schub kommt. Denn die Umbauten und ihre Richtung hatte schon Ex-Konzernchef Christoph Franz vorgegeben. Vor rund drei Jahren stellte er in der Messe Frankfurt sein Effizienz-Programm Score vor, mit dem er die immer härtere Konkurrenz durch aggressive Billiglinien und die effizienten Golflinien mindern wollte. „Wenn einem die Sachen also heute neu vorkommen, dann weil wir für Reformen so lange brauchen, dass andere in der Zeit bereits ein Sparprogramm weiter sind“, lästert ein Lufthanseat.
Das soll sich bei der Lufthansa verändern
Mit einem ganzen Bündel an Vorhaben will sich die Lufthansa zukunftsfähig machen und sich vor allem gegen die Konkurrenz der europäischen Billigflieger und der mit Staatsgeld gepolsterten Golf-Airlines stemmen. Nach noch nicht einmal drei Monaten im Amt stellte der neue Konzernchef Carsten Spohr am 10. Juli seine Pläne vor. Er setzt demnach auf mehr Billig-Angebote, mehr Luxus und eine effizientere Organisation. Die Pläne im Einzelnen.
Die Lufthansa-Tochter Germanwings hat das Konzept mit den günstigen Flügen vorgegeben, nun sollen weitere folgen: Der Konzern plant eine ganze „Wings-Familie“ mit Billig-Marken zu initiieren, wie Vorstandschef Carsten Spohr beschrieb. Für den Europa-Verkehr soll die Tochter-Gesellschaft Eurowings ab kommenden Frühjahr als zweiter konzerneigener Low-Cost-Anbieter neben Germanwings in Aktion treten. Germanwings bietet schon heute außerhalb der Drehkreuze Frankfurt am Main und München günstige europäische Direktflüge an. Die dafür genutzte Flotte soll bis Frühjahr 2015 auf 60 Flugzeuge angewachsen sein. Eurowings soll dann seine Strecken mit bis zu 27 Flugzeugen bedienen.
Erstmals will der Konzern außerdem auch auf der Langstrecke mit einer Billig-Marke Passagiere locken. Unklar ist Konzernangaben zufolge noch, ob die Lufthansa diese Plattform alleine oder mit einem Partner-Unternehmen aufbaut. Ab Ende 2015 könnten dann schrittweise bis zu sieben Flugzeuge zu Einsatz kommen. Sie sollen Passagiere zu günstigen Preisen in Städte fliegen, die für die Lufthansa-Marke weniger interessant sind, sowie zu beliebten Touristenorte in Übersee, sogenannten „Warmwasserzielen“, wie Spohr sich ausdrückte.
Der Lufthansa-Marke verordnete die Konzernführung ein größeres Maß an Luxus. Lufthansa wolle die erste Fünf-Sterne-Airline der westlichen Hemisphäre werden, versprach Spohr. Vorgesehen seien dazu unter anderem ein besseres Catering in der Business-Klasse, ein verbesserter Premium-Check-In an den großen Flughäfen in Frankfurt am Main und München und ein persönlicher Service an Bord. Insgesamt plane der Konzern eine groß angelegte Qualitätsoffensive.
In technischen Angelegenheiten und im Bereich der Digitalisierung will die Lufthansa ganz vorne dabei sein. Deshalb kündigte Spohr an, sich auf Vorstandsebene persönlich um das Thema Innovationen zu kümmern. Bis 2020 sollen insgesamt 500 Millionen Euro in die Zukunftsarbeit fließen. In Berlin will der Konzern außerdem eine „Innovation Hub“-GmbH gründen, „um näher an die Welt der Start-ups und an die digitale Technologieszene heranzurücken“, wie Spohr erklärte. Daneben solle es seinen „Innovationsfonds“ geben, um gute Ideen schneller voranzubringen.
Was 2012 im Umbauprogramm „Score“ begonnen wurde, soll künftig Alltagsgeschäft bei der Lufthansa werden: Die Idee, kontinuierlich die Profitabilität des Unternehmens zu verbessern, solle über das Ende von „Score“ hinaus „in einen Dauerprozess überführt“ werden, sagte der Lufthansa-Chef. Effizienter soll das Unternehmen den Plänen zufolge auch bei der Entscheidungsfindung werden. „Ich möchte mindestens eine Hierarchieebene herausnehmen“, kündigte Spohr Veränderungen im internen Konzernaufbau an. Ziel sei eine dynamischere und schlankere Organisation der Kranich-Airline.
Dabei braucht die Lufthansa eigentlich längst eine Erweiterung von Score. Denn der Druck durch die Konkurrenz ist eher größer geworden. Das drückte nicht nur den skandinavischen Billigflieger Norwegian im vorigen Jahr ebenso in die roten Zahlen wie viele der lange profitablen Europaflüge der Lufthansa-Tochter Swiss. Auch Germanwings tat sich schwer.
Noch vor zwei Jahren galten die bewusst abseits der Frankfurter Konzernzentral nach Köln gepackten Billigheimer als Zukunftsmodell. Sie flog 40 Prozent günstiger als die klassische Lufthansa.
Doch der Abstand ist inzwischen kaum noch halb so hoch. Denn Germanwings musste in den vergangenen zwei Jahren mit den Lufthansa-Strecken abseits der Drehkreuze Frankfurt und München auf Geheiß der Zentrale viele Extras übernehmen: Loungezugang für Vielflieger, Bonusmeilen, Umsteigeverbindungen zu den Partnern der Lufthansa in der Star Alliance, teure Tarifverträge und natürlich viele Verluststrecken.
Signal an die Belegschaft
Um das wett zu machen, muss Garnadt nun Gas geben. Die ersten Ankündigungen wirken noch nicht sehr radikal.
Sicher, der Gang nach Wien ist ein klares Signal für einen Umbau. Doch das geht erstmal vor allem an die Belegschaft. Und die Botschaft ist eindeutig. Sie lautet: 'Wir zerschlagen die Lufthansa oder Germanwings nicht. Doch wenn ihr und besonders die Piloten nicht auf Privilegien verzichten, dann wachsen künftig eben nur noch die profitablen Teile.' Das ist alles außerhalb der „Konzerntarifvertrag“ genannten Trutzburg lufthanseatischer Arbeitnehmerrechte. Und damit vor allem der Eurowings-Billigverkehr, um den sich offenbar alle Konzerntöchter außerhalb Deutschlands reißen. Nach Wien jedenfalls kommt Eurowings „auf Wunsch und in enger Absprache“, wie es in der offiziellen Mitteilung heißt.
Lufthansa nebst Germanwings hingegen - so die ungeschriebene Fortsetzung – schrumpfen künftig, weil sie frei werdende Stellen bestenfalls in begrenztem Umfang neu besetzen werden.
Dienstleister
Etwas versteckt ist leider noch der zweite Teil der Wien-Botschaft: Die Nachricht an die Konkurrenz, dass Lufthansa um ihren Markt kämpft. Denn Eurowings beginnt in Wien extrem bescheiden mit gerade mal zwei Fliegern am östlichen Rand des Lufthansareiches. Das ist viel zu wenig. Schließlich steht ganz Europa vor einem noch härteren Verdrängungswettbewerb. „In den nächsten zehn Jahren bekommen alle europäischen Airline zusammen weit mehr als 1000 neue Maschinen“, rechnet der Chef einer großen Fluglinie vor.
Doch wer die Mitteilung zum Start genauer liest, entdeckt die nächsten Schritte. Bis Ende 2015 sollen Eurowings auch in der Schweiz und in Belgien fliegen mit lokalem Personal statt teurer Germanwings-er und erst recht ohne Lufthanseaten.
Und auch das dann sicher „auf Wunsch und in enger Absprache“.