Reisekollaps an Pfingsten Das aktuelle Flugchaos kam mit Ansage – und hat 5 Gründe

Rund ums Pfingstwochenende kam es an vielen Flughäfen zu Überlastung Quelle: imago images

Die unerwartet schnelle Erholung des Reisegeschäfts begleitet ein rekordverdächtiges Chaos. Schuld an dem Mix aus Flugabsagen und schier endlosen Warteschlangen sind alle Beteiligten – von den Airlines über die Abfertigungsfirmen bis zu den regulierenden Behörden und auch den Reisenden selbst.

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Wie immer sich Manager von Fluglinien und Reiseveranstalter in den vergangenen zwei Jahren der Pandemie die Rückkehr zur Normalität vorgestellt haben, es war bestimmt nicht so. Wer an diesem Wochenende in die Ferien starten wollte, musste etwa in Düsseldorf oft gleich mehrfach mehr als eine Stunde dicht gedrängt anstehen: Zuerst vor der Kofferabgabe und dann an den Sicherheitskontrollen.

Dabei hatten die Betroffenen noch Glück. Denn in der Woche vor Pfingsten war es noch deutlich schlimmer. So musste die Lufthansabilligtochter Eurowings an manchen Tagen 40 Flüge und mehr absagen. Noch mehr Verbindungen waren teilweise mehrere Stunden verspätet. Und wer flog, musste statt der gebuchten direkten Reise teilweise umsteigen und kam somit deutlich später an. Wessen Flug regulär ging, stand vor der Kofferabgabe oder Sicherheitskontrolle oft in einer mehrere hundert Meter langen Warteschlange. Und waren die Passagiere nach bis zu gut zwei Stunden endlich am Flugsteig, war oft die Maschine weg. 

Nach der Landung war es kaum besser. In Hamburg, Düsseldorf oder Köln warteten die Kunden häufig bis zu gut zwei Stunden auf ihren Koffer. An manchen Tagen hatten Rückkehrer erst nach zwei Uhr morgens ihr Gepäck zurück. „Ich habe schon ja viel harte Zeiten erlebt, aber so ein Chaos gab es noch nie“, sagt eine führender Manager eines Flughafens. Der Grund war überall der gleiche: „In allen Bereichen herrscht Personalmangel“, so Ralf Beisel, der Chef des Flughafenverbands ADV. Er schätzt den Mangel auf bis zu 20 Prozent. „Und das Schlimmste ist: es war ein Chaos mit Ankündigung, denn alle Beteiligten von den Airlines bis zu den Behörden wussten was kommt, aber nicht alle haben sich darauf eingestellt.“

Dabei ist es ein schwacher Trost, dass es im europäischen Ausland noch schlimmer war. Nachdem etwa in Manchester oder Amsterdam die Warteschlangen teilweise bis in die Parkhäuser vor den Terminals reichten, sagten British Airways und Easyjet teilweise mehr als 100 Flüge pro Tag ab. Die niederländische KLM stellte gar für manche Reiseorte tageweise den Ticketverkauf komplett ein. Ryanair-Chef Michael O’Leary rief gar danach, die Personallücken an den Flughäfen mit Hilfe der irischen Armee zu schließen. 

Weil das Chaos Urlaubern die Ferien und Geschäftsreisenden die Terminplanung störte, beschimpften sich vor allem in Großbritannien die Flugunternehmen und die Behörden gegenseitig. „Wir haben den Unternehmen monatelang gesagt, sie sollen sich vorbereiten“, keilte der britische Staatssekretär Lord Stephen Parkinson. Der Branchenverband Airlines UK ätzte in landestypischer Konfliktfreude zurück, statt hinterher guter Ratschläge hätte die Regierung besser mal frühzeitig einen Plan geben sollen, wann und wie sie die Corona-Restriktionen aufzuheben gedenkt. 

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In Deutschland hingegen hielten sich alle Beteiligten mit gegenseitigen Vorwürfen auffällig zurück. Aus gutem Grund: „Im Nachhinein ist klar: Von den Flughäfen über die Abfertigungsdienstleister und die Behörden bis zu den Passagieren hat jeder seinen Teil dazu beigetragen“, so ein Manager der Branche. Dazu hängt jeder in der Wertschöpfungskette Flug vom anderen ab und wenn einer überlastet ist, hängt der ganze Prozess. Doch weil die Coronakrise alle Beteiligten finanziell geschwächt hat, wollte keiner in Reserven investieren. „Darum kann anders als noch 2019 keiner mehr die Defizite der anderen in der Kette ausgleichen und das System kommt früher an seine Grenzen“, so ein Manager der Branche. 

So sagte etwa Eurowings in dieser Woche ungewöhnlich viele Flüge ab. Das lag jedoch nur zu einem geringen Teil daran, dass die Linie zu wenig Personal hatte. Vielmehr wollte die Linie eine Überlastung des Systems verhindern. „Weder die Sicherheitskontrollen noch Dienstleister wie Kofferverlader oder die Fluglotsen hätten die geplante Menge an Flüge bewältigen können“, so ein Insider. „Als uns das klar wurde, haben wir sicherheitshalber lieber gleich Verbindungen gestrichen. Sonst hätte es sonst nicht nur ein paar Dutzend Verzögerungen gegeben, sondern wahrscheinlich eine tagelange kaum noch zu kontrollierende Verspätungswelle.“
Trotzdem sind auch die Airlines nicht schuldlos. Das sind die fünf Gründe für das Reisechaos:

1.    Die Fluglinien haben den Buchungsboom unterschätzt

Lufthansa & Co. hatten bereits vor zwei Jahren auf dem Tiefpunkt der Krise eine deutliche Erholung für den Sommer 2022 vorhergesagt. Dass sie nun trotzdem teilweise zu wenig Leute hatten, lag zum einen an den umfangreichen Entlassungswellen, die sich jetzt als übertrieben herausstellen. Dazu haben die Airlines zwar früh ihr Angebot hochgefahren aber erst deutlich später auch genug Personal und Flugzeuge eingeplant. Für die im Nachhinein übertriebene Vorsicht sorgte zum einen, dass die Unternehmen angesichts ihrer Coronaschulden sich jede Investition in einen Ausbau gut überlegen mussten. Dazu lehrte sie die Erfahrungen in der Pandemie Vorsicht. Mehrmals hatte die Branche auf ein Abflauen der Pandemie und ein Ende der Reisebeschränkungen gesetzt – und musste dann reihenweise Reisen absagen, als es dann doch einen neuen Lockdown gab. „Weil wir dafür teils heftig kritisiert wurden, haben wir uns trotz vieler Buchungen beim Kapazitätsaufbau erstmal zurückgehalten als mit der Omikron-Variante des Virus die Inzidenzen in die Höhe schossen“, so ein Airliner. 

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Erst als ab März klar war, dass trotz der Rekordzahl an Infektionen die Einschränkungen fallen und sich die Kunden auch von Reisewarnungen nicht mehr bremsen lassen, holten alle im großen Stil Mitarbeiter zurück vor allem aus der Kurzarbeit und entmotteten die Flugzeuge. „Doch die drei Monate waren unterm Strich ein wenig knapp“, so ein Airlinemanager. Denn viele ihrer Angestellten hatten sich neue Jobs gesucht. Dazu zogen sich mitunter neben den gesetzlich vorgeschriebenen Auffrischungskursen auch die behördliche Überprüfung neuer Mitarbeiter länger hin. So hat Eurowings zwar im vergangenen Jahr knapp 800 neue Mitarbeiter eingestellt und will in diesem Jahr ähnlich zulegen. „Doch bislang sind leider ein paar hundert noch nicht einsatzbereit“, sagt ein Unternehmenskenner. 

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2.    Die Branche hat für viele Arbeitnehmer ihren Reiz verloren 

Vor der Covidkrise interessierten sich viele Arbeitnehmer für die Luftfahrt. Es gibt relativ viele Jobs für un- und angelernte Arbeitnehmer. Dazu bieten die Airports dank der großen Flugzeuge und dem Hauch von Fernweh etwas Glamour. Und weil die Passagierzahlen über Jahrzehnte auch in Krisen kräftig weiterwuchsen, erschienen die Jobs extrem sicher. 

Das Image hat in der Coronazeit gelitten. Weil das Geschäft so stark wie nie einbrach und eine Besserung nicht absehbar war, entließen die Unternehmen viele Mitarbeiter. Wer bleiben durfte, kam mit Kurzarbeitergeld oft nur schwer über die Runden. Gleichzeitig war unklar, ob und wie stark die Branche nach dem Ende der Pandemie zulegen würde. Dafür sorgen die Nachhaltigkeitsdebatte und die Unsicherheit, in welchem Umfang die Globalisierung und damit der Langstreckenverkehr zurückkommt. „Darum zieht es derzeit nicht nur weniger Arbeitnehmerin die Branche“, so ein Luftfahrtmanager. „Viele langjährig Beschäftigte am Flughafen haben in der Krise entdeckt, dass es nicht zuletzt in der Logistik Jobs gibt, die besser bezahlt sind und von den Anforderungen wie Schichtarbeit angenehmere Bedingungen bieten.“

Viele Kunden haben das Fliegen verlernt

3.    Die starke Regulierung macht die Branche unflexibel

In wenigen Branchen sind die Auflagen für neue Mitarbeiter strenger als in der Luftfahrt. Jeder, der an Bord oder am Flughafen im Sicherheitsbereich arbeitet, muss neben seiner Ausbildung auch eine Zuverlässigkeitsüberprüfung durch die Sicherheitsbehörden hinter sich bringen. Das soll vor allem Kriminelle oder politisch motivierte Gewalttäter von den Flugzeugen und ihrer oft wertvollen Fracht fernhalten. Doch die Vorschriften begrenzen auch die Zahl der Bewerber. Besonders für die körperlich anstrengen Jobs wie bei Wind und Wetter Flugzeuge zu beladen, interessieren sich traditionell wenige Deutsche, aber umso mehr Arbeitssuchende mit Migrationshintergrund. Doch wenn diese in den fünf Jahren vor ihrer Bewerbung mehr als ein halbes Jahr außerhalb von Deutschland gelebt haben, brauchen sie ein europäisches Führungszeugnis oder eine Straffreiheitsbescheinigung ihres Gastlandes des Landes. Weil das für viele nur schwer beizubringen ist, können Viele trotz Interesse und Ausbildung ihre Jobs oft nicht antreten. „Damit gibt es trotz des großen Interesses immer weniger Leute, die für den Job in Frage kommen“, so ein Airportmanager. 

Noch stärker reguliert ist die Luftraumüberwachung. Für die extrem fordernden Jobs der Flugsicherung dauert die Ausbildung mehrere Jahre. Dazu hat jeder Lotse lediglich für einen festen Abschnitt des Himmels eine Zulassung. Darum können nur begrenzt andere Mitarbeiter einspringen, wenn etwa ein Lotse krank wird oder gar ganze Bereiche durch Streiks oder technische Neuerrungen ausfallen. Gibt es keinen Ersatz, müssen Flüge umgeleitet werden oder es dürfen weniger Maschinen in einem Abschnitt unterwegs sein. Dann begrenzen die Aufseher die Zahl der Starts oder ordnen Umwege an. Beides führt zu Verspätungen und Staus.

So sorgte in der vergangenen Woche allein die Krankheit eines Lotsen in Norddeutschland dafür, dass die Flugzeuge in seinem Sektor an diesem Tag 1000 Minuten Verspätung aufbauten. „Als die anderen Teile des Systems Flug vor der Krise noch Reserven hatten, wäre das vielleicht aufzufangen gewesen“, so ein Flugmanager. „Doch im Moment schlägt das voll durch.“ 

4.    Die zuständigen Behörden sind oft weltfremd

Als ob das nicht reichte, bremsen auch die deutschen Behörden die Neueinstellungen. Das beginnt bei den Sicherheitsüberprüfungen. Dauerten diese Background-Checks früher nur sechs Wochen, können nun mehrere Monate vergehen. „Wenn wir also beim Beginn der Lockerung im März jemanden in die Ausbildung genommen hätten, wäre der wohl nicht vor Oktober an einer unserer Sicherheitskontrollen am Flughafen einsetzbar gewesen“, sagt ein Manager eines Dienstleisters. Grund ist dem Vernehmen nach ein Personalmangel auch bei der Behörde. „Es gibt offenbar wegen zu vieler anderer Verfahren nicht genug Leute, die solche Checks durchführen können“, vermutet der Manager.

Noch größer ist das Problem bei der Organisation der Sicherheitskontrollen. Zuständig ist hier mit Ausnahme von Bayern die Bundespolizei, die für die Kontrollen Unternehmen wie Kötter oder Securitas engagiert. Die Behörde bezahlt sie nach einem System, das Warteschlangen geradezu provoziert. Geld bekommen die Dienstleister nur nach der Zahl der geprüften Passagiere. Praktisch keine Rolle spielt hingegen Qualität ihrer Arbeit, genauer die Wartezeiten. Ob Passagiere zwei Minuten oder zwei Stunden anstehen, der Dienstleister bekommt das gleiche Geld“, so ein Airportmanager. „Also lohnt es sich für die Unternehmen nicht, mehr Leute einzustellen.“ Zudem muss die Behörde oder die Dienstleister nicht geradestehen, wenn Reisende wegen unerwartet langer Wartezeiten ihren Flug verpassen. Die Folge: Obwohl die Flughäfen in der Regel der Bundespolizei Wochen im Voraus melden, wie viele Kontrollspuren in einem bestimmten Viertelstundenintervall gebraucht werden, sind gerade zu Spitzenzeiten in der Regel zu wenig Checkpoints offen. 

Besonders ärgert die Flughäfen, dass die Bundespolizei auch sehr zögerlich in neue Technologie wie moderne Kontrollspuren investiert. So nutzen fast alle deutschen Flughäfen noch alte Systeme, bei denen nur jeweils ein Passagier Handgepäck oder Jacke auf das Band legen kann. „Dabei gibt es nicht nur im Ausland, sondern längst auch in Deutschland erprobte Systeme, wo mehrere Kunden auflegen können, so dass eine Spur pro Stunden im Schnitt bis zu doppelt so viele Reisende schafft“, ärgert sich ein Flughafenmanager.

5.    Viele Kunden haben das Fliegen verlernt 

Am Ende tragen auch die Kunden zu mehr Warteschlangen und Verspätungen bei. Zum einen haben viele nach der langen Coronapause die Reiseregeln nicht mehr vor Augen. Weil mehr Passagiere als früher Flüssigkeiten nicht in einem Beutel haben oder zu große Fläschchen nutzen, dauern die Sicherheitskontrollen derzeit im Schnitt länger als früher. Das verlängert die Staus vor den Checkpoints.

Zur Überraschung der Airlines geben in diesem Jahr mehr Reisende als vor der Pandemie einen Koffer auf, statt nur mit Handgepäck zu reisen. Darum stellen sich nicht nur mehr Menschen an den Check-in-Schaltern an. Das sorgt für mehr Wartezeit. Auch das Be- und Entladen der Flugzeuge dauert nun länger. „Damit müssen die Flugzeuge länger am Boden bleiben und starten häufiger verspätet, was sich über den Tag dann schnell zu größeren Verzögerungen aufschaukelt“, klagt ein Airlinemanager.



So sehr die Probleme drücken, die Aussicht, dass sie bald verschwinden halten die meisten in der Branche für gering. Damit es besser wird, müssten alle in der Kette in neues Personal und mehr Kapazität investieren. „Doch das tun die Unternehmen wohl erst, wenn sie sicher sind, dass der aktuelle Boom auch wirklich anhält – und ihn nicht die Inflation oder eine neue Coronawelle wieder alles abbremsen“, so ein Kenner der Branche. „Und das wissen wir alles frühestens im kommenden Jahr.“ 

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