Rekordtemperaturen „Manche trinken 12 Liter Wasser an solchen Tagen“

Straßenbau

Der Straßenbau stellt sich auf Klimawandel und extreme Temperaturen ein. Kaum ein Problem ist das beim Asphalt: den machen neue Bitumenmischungen hitzebeständig. Die Personalrekrutierung aber wird immer schwieriger.

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39 Grad heiß soll es am heutigen Donnerstag im Südwesten Deutschlands werden. Das klingt nach Knochenjob für die 17 Mitarbeiter, die Andreas Ruf etwa in der Freiburger Innenstadt bei Tief- und Straßenbauarbeiten einsetzt. Und nach Tortur für die 30 Joos-Männer inklusive LKW-Fahrer, die in St. Märgen die Fahrbahndeckenerneuerung der L 128 vorantreiben. Liegt der Wetterdienst wetter.com richtig, dürfte kein Wölkchen die brennende Sonne verdecken. Wird in St. Märgen Asphalt frisch aufgebracht, klettert die Lufttemperatur im Arbeitsumfeld dann auf über 80 Grad.

Ruf, Geschäftsführer der Johann Joos Tief- u. Straßenbauunternehmung aus Hartheim in Baden-Württemberg, beschönigt die Bedingungen nicht: „Bei solchen Temperaturen zu arbeiten, ist sehr anstrengend und wirklich hart.“ Aber die 350 Mitarbeiter, die für das Unternehmen aus dem Städtchen westlich von Freiburg tätig sind, relativiert der 57-Jährige, seien das „ja gewohnt“.

Denn was sich Laien oft als Worst-case-Szenario vorstellen, ist in der Straßenbau-Branche zunehmend Routine. Immer häufiger steigen die Thermometer schließlich auf Rekordlevel um die 40 Grad. Und seit Jahren tun Unternehmer und Manager einiges, um die Extrem-Bedingungen und die gesundheitlichen Gefahren für ihr Personal zu lindern.

Fängt die Arbeit bei Joos sonst um sieben Uhr an, so stehen die Leute heute bereits um 5.30 Uhr morgens mit ihrem Werkzeug bereit und lassen die Maschinen an. Dann sind es gerade mal angenehme 18 Grad. Um 15.30 Uhr, „wenn die Hitze am schlimmsten ist“ (Ruf), also bei 38 oder 39 Grad, ist Feierabend. Praktiziert wird die versetzte Arbeitszeit „so lange es die Helligkeit zulässt und nur bei extremen Temperaturen deutlich oberhalb 30 Grad“.

Außerdem stellt das 1950 gegründete Unternehmen, das Ruf seit 21 Jahren führt, Sonnencreme mit Schutzfaktor 50, UV-Schutzkleidung und Gratis-Versorgung mit Mineralwasser. Der Joos-Chef: „Manche trinken 12 Liter Wasser an solchen Tagen.“

Seit 2019 müssen Unternehmen, deren Beschäftigte regelmäßig mindestens eine Stunde pro Tag im Freien unter der Sonne tätig sind, diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine arbeitsmedizinische Vorsorge anbieten. Denn Hautkrebs zählt mittlerweile zu den häufigsten Berufskrankheiten bei den Versicherten der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau). Alle zwei Jahre gehen die Joos-Leute deshalb zum Hautkrebs-Screening.

Die BG Bau rät zu weiteren Arbeitsschutzmaßnahmen, etwa dem Einsatz transportabler Schutzzelte, unter denen im Schatten gearbeitet wird, und UV-Schutzbrillen, um Schädigungen der Augen und der Netzhaut zu vermeiden.

Seit 2020 investiert der Mittelständler rund 500 Euro pro Kopf und Jahr in Anti-Hitze-Maßnahmen, in der Summe also rund 170.000 Euro im Jahr. Schriftlich angeordnet hat Ruf, dass die UV-Shirts und -Hosen auch wirklich getragen werden müssen. Gleichzeitig weiß er, „dass mancher Mitarbeiter aus dem Ausland die Hemden trotzdem auszieht und mit nacktem Oberkörper arbeitet“.



Doch „die Hitze ist gar nicht unser größtes Problem“, sagt der Manager. Materialknappheit, fehlende Ersatzteile, Probleme mit der Angebotskalkulation wegen ständig sich ändernder und meist steigender Preise zählt Ruf auf. Und natürlich: den Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel. Der trifft Joos wie die ganze Branche.

Trotz der jüngsten Abkühlung am Bau meldete die Bundesagentur für Arbeit (BA) für den Juni im Vergleich zum Vorjahresmonat einen weiteren Anstieg der Zahl offener Stellen in bauhauptgewerblichen Berufen von 11,4 Prozent auf 18.450. Inklusive ausbaugewerblicher Berufe und Helfern stieg die Zahl der offenen Stellen sogar um 14,6 Prozent auf 23.330, rechnet der Hauptverband der deutschen Bauindustrie (HDB) vor. „Und das sind nur die Stellen, die der Bundesagentur gemeldet werden“, betont HDB-Geschäftsführer Tim-Oliver Müller: „Die tatsächliche Zahl wird deutlich höher ausfallen.“

Egal was Ruf unternimmt, um neues Personal zu gewinnen und Arbeitsbedingungen zu verbessern – die Rekordtemperaturen machen die Jobs im Straßenbau nicht attraktiver und nicht gesünder.

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Kein großes Problem ist die Hitze heute hingegen für die technische Fertigstellung von Asphaltarbeiten. Zwar macht es schnell Schlagzeilen, wenn Startbahnen eines Flughafens oder Kreisstraßen aufweichen und sich dabei Wellen oder Spurrillen bilden. Doch handelt es sich dabei in der Regel um Jahrzehnte alte Beläge, erklärt Ruf. Das Bindemittel Bitumen wurde in den vergangenen Jahren mit versteifenden Zusätzen so verändert, dass neue Asphaltdecken mehr Hitze aushalten.

Allerdings muss frischer Asphalt, der mit rund 170 Grad verarbeitet wird, mindestens 24 Stunden lang deutlich unter 20 Grad abkühlen, bevor die nächste Schicht aufgetragen oder die Fahrbahn belastet werden kann. „Sonst können wir keine Gewährleistung geben“, sagt Ruf. Also verzögert sich die Freigabe einer neuen oder erneuerten Straße schon mal um mehrere Tage, wenn selbst die Nächte zu warm sind: „Dass wir eine Verzögerung der Freigabe um eine Woche hatten, gab es schon in den vergangen Jahren“, berichtet Ruf: „Ohne Auskühlung keine Verkehrsfreigabe.“

Der Branchenführer Strabag aus Köln bestätigt das Problem: „Bei tropischen Nächten mit Temperaturen über 20 Grad“ sei die Auskühlungszeit nicht mehr ausreichend. In Hitzeperioden kalkulieren die Baustellenplaner deshalb mit verlängerten Auskühlungszeiten, sodass sich laut Strabag „die Verkehrsfreigabe um einige Stunden verzögern kann – sofern die Freigabe in der Ablaufplanung direkt nach der Auskühlung vorgesehen war“.

Problematischer für den Asphalteinbau sind laut Strabag „im Gegenteil eher besonders tiefe Frosttemperaturen“.

Hitzeempfindlich sind auch ältere und sehr alte Fahrbahnen aus Beton-Platten. Hier drohen durch Ausdehnung und Spannungen zwischen den Platten bei hohen Temperaturen sogenannte Blow-ups: Wölbungen und Rissen in der Fahrbahn, die plötzlich auftreten und für den Verkehr gefährlich sein können. Je älter, je dicker und mehr die Platten vorgeschädigt sind, desto stärker ist das Blow-up-Risiko.

Aber neue Beton-Fahrbahnen sind wie moderner Asphalt hitzebeständig und haben rund 30 Jahre Lebensdauer. Beton-Beläge machen rund 30 Prozent der deutschen Autobahnen aus und finden sich vor allem in Süd- und Ostdeutschland.

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