Rennstreckendesaster Nächste Runde im Nürburgring-Skandal

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Wie Insolvenzverwalter und KPMG versagten

Der Knackpunkt ist die Fremdkapital-Rate von 45 Millionen Euro. Zu diesem, dem größten Bestandteil des Capricorn-Angebots wurde den Mitgliedern des Nürburgring-Gläubigerausschusses in der für den Zuschlag entscheidenden Sitzung am 11. März vergangenen Jahres laut Protokoll mitgeteilt: „Die Finanzierungsbestätigung der Deutschen Bank AG ist banküblich und valide.“

Eine höchst fragwürdige Bewertung des englischsprachigen Papiers, das der WirtschaftsWoche inzwischen vorliegt. Die Deutsche Bank hat einen fünfseitigen Brief mit beigefügter Konditionsübersicht („Term Sheet“) an Capricorn geschickt. Gleich im ersten Absatz des Briefes behält sich die Deutsche Bank vor, die Inhalte des Briefs oder des Term Sheets jederzeit zu ändern, zu ergänzen oder zu ersetzen.

Deutschlands sündhaft teure Prestigebauten
Die Elbphilharmonie ist das teuerste Kulturprojekt in Deutschland. Die Kostenexplosion und Bauverzögerung wird ein Fall für die Justiz. Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt, ob Straftaten vorliegen. Laut Abschlussbericht sind eine unfertige Planung, mangelnde Kontrolle vonseiten der Politik und ein Chaos auf der Baustelle schuld am Desaster beim Bau. Die Kosten für den Steuerzahler bei dem Projekt sind von ursprünglich 77 Millionen auf 789 Millionen Euro gestiegen, die Eröffnung wurde von 2010 auf 2017 verschoben. Erstmals nennt der Abschlussbericht, der die Ereignisse bis Ende 2008 untersucht, auch die Namen der Verantwortlichen. Demnach ist die städtische Realisierungsgesellschaft (Rege) mit ihrem Chef Hartmut Wegener für wichtige Fehlentscheidungen verantwortlich. Die politisch Verantwortlichen, allen voran Hamburgs damaliger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) und sein Chef der Senatskanzlei Volkmar Schön (CDU), seien dagegen ihrer Aufsichtspflicht nicht gerecht geworden. Aber auch die Architekten Herzog & de Meuron und der Baukonzern Hochtief kommen in dem Bericht nicht gut weg. „Wenn wir konkrete Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat finden würden, würden wir entweder einen Ermittlungsvorgang gegen einen bestimmten namentlich bekannten Beschuldigten oder mehrere einleiten oder wir würden ein Unbekannt-Verfahren einleiten, wenn wir noch nicht wüssten, wer der Beschuldigte ist“, erklärt die Sprecherin Nana Frombach. Quelle: dpa
Deutschlands teuerstes Kulturprojekt, die Hamburger Elbphilharmonie, wird die Steuerzahler laut Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) stolze 789 Millionen Euro kosten - und soll 2017 eröffnet werden. Das Prestigeprojekt würde damit gut zehnmal teurer als 2005 vom damaligen Bürgermeister Ole von Beust (CDU) veranschlagt. Damals war von rund 77 Millionen Euro die Rede. Auf der Baustelle im Hafen herrscht mittlerweile seit rund anderthalb Jahren Stillstand, weil sich die Vertragspartner lange nicht einigen konnten. Erst im März hatte Scholz mit Hochtief einen Vertrag geschlossen, wonach der Essener Baukonzern künftig sämtliche Risiken übernimmt und das Konzerthaus bis Ende Oktober 2016 zum „Globalpauschalfestpreis“ von 575 Millionen Euro zu Ende baut. Nicht berücksichtigt waren dabei jedoch unter anderem die Finanzierungs- und Baukosten für den kommerziellen Teil und die Vorplanungskosten. Nun geht aus dem vertraulichen zweiten Entwurfs des Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses hervor, der Spiegel Online vorliegt. Die Schuldigen sollen die Projektkoordination, Bauunternehmer und Architekt, sowie auch der damalige Erster Oberbürgermeister, Ole von Beust, sein. Quelle: REUTERS
Die sogenannte 'Kanzlerbahn', die derzeit zwischen dem Hauptbahnhof, Kanzleramt und dem Brandenburger Tor verkehrt, soll um 92 Millionen Euro teurer werden. Laut Berliner Morgenpost beläuft sich das Gesamtvolumen künftig auf 525 Euro, die das Land und der Bund zahlen müssen. Quelle: dpa
In Schlangen winden sich Hunderte Besucher durch den Saal, bestaunen historische Exponate, erhaschen per Kurzfilm einen Einblick in die Arbeit der Bundestagsabgeordneten. In einem Miniplenarsaal mit originalgetreuen blauen Sesseln lauschen sie einer gespielten Debatte und ergreifen selbst das Wort. Dann geht es durch den unterirdischen Gang ins Reichstagsgebäude, hinauf in die gläserne Kuppel. Zum Abschluss noch ein Imbiss an einem der 16 Bistro-Tische, die die 16 Bundesländer repräsentieren. So soll es aussehen, das Besucher- und Informationszentrum des Bundestages (BIZ). Ursprünglich sollte es 200 Millionen Euro kosten. Im Januar dann lag der anvisierte Preis schon bei 330 Millionen Euro. "Ein Bau für 330 Millionen Euro, das wird nicht kommen", sagte damals Eduard Oswald, CSU-Bundestagsvizepräsident und Vorsitzender der inneren Kommission, gegenüber WirtschaftsWoche. Nun heißt es in einem Bericht der Welt, dass der Bau mit bis zu 500 Millionen Euro zu Buche schlagen werde. das gehe aus einem Bericht der 36-köpfigen "Reformkommission Bau von Großprojekten" der Bundesregierung hervor. Quelle: dpa
Die Stuttgarter waren nicht ohnmächtig: Stuttgart 21 steht für einen politischen Umbruch in Baden-Württemberg und den Einzug neuer Formulierungen in die deutsche Sprache, wie zum Beispiel das Wort „Wutbürger”. Der alte Kopfbahnhof soll zu einem Tunnelbahnhof umgebaut werden. Eine riesige Protestwelle überrollte die baden-württembergische Landeshauptstadt, seit der Abriss des alten Bahnhofs startete. In einer Abstimmung Ende 2011 sprach sich eine Mehrheit der Bevölkerung jedoch für das Projekt aus. Gestritten wird vor allem über die Kosten des Umbaus... Quelle: dpa
Immer wieder wurden die prognostizierten Baukosten nach oben korrigiert. Zwischenzeitlich sprach die Deutsche Bahn von 4,5 Milliarden Euro, mittlerweile hat sie die Zahlen um ganze zwei Milliarden erhöht.. Andere Experten veranschlagen Kosten von bis zu elf Milliarden Euro. Auch der Bundesrechnungshof hat diese Summe bereits vor drei Jahren als viel zu gering bezeichnet. Die DB hatte damals die Einschätzung zurückgewiesen. Inzwischen sind viele Dokumente ans Tageslicht gekommen, die beweisen, dass die Bahn hohe Mehrkosten vorsätzlich verschwiegen hat. Nicht zuletzt die mangelnde Transparenz bezüglich der Gesamtkosten des Projekts hat viele Bürger auf die Straße getrieben. Die ersten Züge werden wohl nicht vor 2022 im unterirdischen Bahnhof einfahren. Quelle: dpa
Eigentlich sollte die Erweiterung des Saarland-Museums und der Modernen Galerie in Saarbrücken ein Prestigeprojekt werden. Allerdings haben sich die veranschlagten Kosten mehr als verdreifacht. Ursprünglich sollte der Bau neun Millionen Euro kosten. Wie tief der Steuerzahler dafür in die Tasche greifen muss, ist noch offen. Bisher steht in bester Lage in Saarbrücken unweit des Staatstheaters ein hässlicher Betonklotz im Rohbau, dem ein Gutachten jetzt zahlreiche Mängel bescheinigt hat. Die Landesregierung will aber auf jeden Fall an dem schon weit vorangeschrittenen Projekt festhalten, obwohl viele vor einer „zweiten Elbphilharmonie“, wenn auch in sehr viel kleinerer Größenordnung, warnen. Quelle: dpa

Als Voraussetzungen dafür, dass die Deutsche Bank das Kreditengagement eingeht, nennt die Bank im begleitenden Brief unter anderem die Verhandlung und den Abschluss, die Ausführung und Dokumentationszulieferung für jeden Part der Transaktion. Weiterhin fordert die Deutsche Bank als Voraussetzung für den Kredit, dass sich ihre Einschätzung („opinion“) über so ziemlich alles, was am Nürburgring passiert, nicht noch wesentlich ändert – über das Geschäft, über die Vermögenswerte oder die Finanzverhältnisse der Bietergesellschaft zum Beispiel, oder über die Entwicklung der Nürburgring-Ergebnisse 2014 im Vergleich zu den vorgelegten Planzahlen.

Mehrfach verweist das Begleitschreiben auf das beigefügte Term Sheet, in dem dann seitenweise Bedingungen genannt werden, die als Voraussetzung für den Kredit erst noch zu erfüllen sind. Darunter sind erhebliche finanzielle Anforderungen, 15 Millionen Euro Eigenkapital für den Kauf, eine Garantie von Capricorn-Chef Robertino Wild über 20 Millionen Euro, zwei Kreditraten auf einem Sicherheitskonto. Unter den Bedingungen sind auch etliche Dokumentationspflichten – und manche Bedingungen, die Wild schon gar nicht mehr erfüllen konnte, als die Deutsche Bank das Term Sheet am 10. März ausstellte.

So forderte die Deutsche Bank die private Kunstsammlung von Wild als Sicherheit für den Kredit. Diese war aber bereits anderweitig verpfändet – was Anfang dieses Jahres in anderem Kontext für Schlagzeilen sorgte, als die Staatsanwaltschaft Koblenz für eine Razzia bei Wild aufkreuzte. Die bereits beliehene Kunstsammlung hatte Wild nämlich später auch noch den Insolvenzverwaltern als Sicherheit für eine Stundung der ausgefallenen zweiten Kaufpreisrate gegeben.

"Nur zu Diskussionszwecken"

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat deshalb ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Kreditbetrug eingeleitet. Wilds Sprecher hat den Sachverhalt seinerzeit dem Grunde nach bestätigt, wies aber jede Betrugsabsicht zurück. Wild sei einem „Verbotsirrtum“ erlegen, weil der Wert der Kunstsammlung über der Summe der beiden Verpfändungen liege. Dass die zweite Eigenkapitalrate schon scheiterte, weckt jedoch auch Zweifel daran, dass Wild jemals in der Lage gewesen wäre, die Finanzanforderungen der Deutschen Bank zu erfüllen. Für die Bank waren 15 Millionen Euro Eigenkapital ebenfalls Voraussetzung.

Das einen Tag vor dem Zuschlag ausgestellte Term Sheet hat allerdings noch mehr Lücken. Es ist als Entwurf (Draft) gekennzeichnet und als indikative – also noch nicht verbindliche – Vereinbarung zu den Konditionen überschrieben. Gleich auf der ersten Seite weist die Deutsche Bank darauf hin, dass die interne Zustimmung der Gremien noch eingeholt werden muss, und dass am Ende des Term Sheet noch ein „wichtiger Hinweis“ zu beachten sei.

Dieser Hinweis hält fest, das Papier sei „ausschließlich zu Diskussionszwecken und nicht dazu gedacht, rechtlich verbindliche Verpflichtungen zwischen uns zu begründen“. Die „Important Notice“ im Englischen Original: „This term sheet is for discussion purposes only and is not intended to create any legally binding obligations between us.“ Da ist es fast schon müßig, dass die Deutsche Bank ein paar Zeilen weiter unten auch noch klar stellt, „keinerlei Haftung für jegliche direkten, [indirekt] folgenden oder sonstigen Verluste zu akzeptieren, die aus dem Vertrauen auf das Dokument resultieren.“

Für Lieser, Schmidt und KPMG war das eine valide Finanzierungsbestätigung. Wer genau vor den Mitgliedern des Gläubigerausschusses behauptet hat, die Bestätigung sei valide, ist in dem Protokoll der Sitzung nicht vermerkt. Nach Informationen der WirtschaftsWoche soll es Sachwalter Lieser gewesen sein.

Der Sprecher der Insolvenzverwalter, Pietro Nuvoloni von der Kölner PR-Agentur Dictum Law, teilt dazu auf Anfrage mit: „Die Finanzierungsbestätigung des Bieters wurde, als Ergebnis der gemeinsamen Diskussion von Verwaltern und Beratern, als banküblich und valide eingeschätzt.“ Es habe sich nicht um eine Einzeleinschätzung von Lieser gehandelt. Wer die Aussage getroffen hat, sagt er nicht. Auch auf die kritischen Punkte der vorgeblichen Finanzierungsbestätigung geht er in der Stellungnahme mit keinem Wort ein.

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