Der Himmel über Berlin ist am letzten Oktobertag 2020 tief grau. Fast den ganzen Morgen nieselt es aus tiefhängenden Wolken. Dabei hätte die deutsche Luftfahrtbranche an ihrem wohl einzigen Freudentag dieses Jahres besseres Wetter verdient.
Denn endlich wird im Südosten der Hauptstadt der neue Flughafen Willy Brandt mit einer Feierstunde offiziell öffnen. Dann ersetzt der nach seinem Branchencode BER genannte Betrieb die zwei bisherigen Berliner Landeplätze Tegel und Schönefeld - nach gut 14 Jahren Bauzeit und mit mindestens neun Jahren Verspätung.
Die Erwartungen sind hoch. Wenn ab Sonntagmorgen die ersten Linienflüge starten, verspricht Flughafen-Chef Engelbert Lütke Daldrup, erhält die Metropole mit dem unterm Strich rund sechs Milliarden Euro teuren Projekt endlich einen zeitgemäßen Landeplatz, der halbwegs zum Machtzentrum einer führenden Industrienation passt.

Die Eröffnung ist für Easyjet-Chef Johann Lundgren „ein fantastischer Fortschritt“ und Peter Gerber, Chef des Lufthansa-Frachtgeschäfts und Präsident des Branchenverbands BDL sieht „in der tiefsten Krise der Luftfahrt“ einen positiven „Lichtblick“. Er erwartet, dass der neue BER „die Kundenfreundlichkeit deutlich steigern wird.“

Kenner lesen hinter dem Lob des Lufthanseaten freilich einen versteckten Seitenhieb. Zwar komme das Terminal 1 genannte Hauptgebäude mit seiner gewaltigen, überdachten Vorfahrt von außen eindrucksvoll daher, übersetzt einer von Gerbers Kollegen. „Doch das Design und die Abläufe im Inneren sind im Vergleich zu anderen Airports veraltet. Damit bietet der BER den Kunden einen schlechteren Service als vergleichbare Airports.“ Und ein führender Manager eines anderen deutschen Flughafens ergänzt: „Er wird sicher in den einschlägigen Vergleichen mehr als die zwei von zehn Punkten bekommen, die Berlins bisherige Airports Tegel und Schönefeld als Quasi-Schlusslichter haben“, so der Manager mit Blick auf das wichtigste Flughafen-Ranking der britischen Skytrax. „Doch unter den ersten zwei, drei Dutzend der Welt wird der erstmal nicht vorne landen.“
Wie gut der BER nun wirklich ist, zeigt ein Besuch. Und der beginnt am besten am bisherigen Hauptflughafen Berlin Tegel, wo bisher fast alle Berlin-Besucher aus der Luft landeten. Im ehemaligen Flughafenrestaurant bemüht sich Easyjet-Chef Johan Lundgren um positive Stimmung bei Kaffee aus der Thermoskanne und Thunfischsandwiches – bevor er um 13 Uhr mit Medienvertretern und Geschäftsfreunden in einem kurzen Sonderflug eine seiner Maschinen zum BER überführt. „Für eine Airline wie uns ist der BER wirklich gut, Sie werden sehen.“
Das Design: Schloss oder gläsernes Brikett?
Die auffälligste Veränderung zeigt sich beim Anflug. 40 Minuten, nachdem die Maschine eine letzte Ehrenrunde über Tegel mit seinem charakteristischen Sechseck als Hauptgebäude gedreht hat, nimmt Lundgrens Sonderflug EJU 3110 als erste Linienmaschine Kurs auf die Landebahn und in Richtung des neuen Terminals. Was den gebürtigen Schweden besonders freut: Er ist vor einer Verbindung der Lufthansa dran, die zur Feier des Tages eine Maschine als Hauptstadtflieger lackiert hat. Von oben ist klar: das ganze Areal wirkt auch viel geordneter als der Wildwuchs in Tegel. Die insgesamt drei Terminals des BER haben mit fast 1500 Hektar oder rund 2000 Fußballfeldern nicht nur die dreifache Fläche von Tegel zur Verfügung und mehr als doppelt so viel nutzbaren Raum. Der Bau verfügt auch endlich über zeitgemäße Technik – von der Klimaanlage über die Kofferbeförderung bis zu einem vernünftigen WLAN.

Das macht ihn sicher besser als Tegel, „doch das ist auch nicht schwer“, merkt ein Manager einer ausländischen Fluglinie später am Rand der Eröffnungsfeier an. Wer dort für eine Urlaubsreise mit Familie und viel Gepäck Zeit verbringen musste, erlebte besonders zu Ferienbeginn eine Enge und eine stickige Luft, die Vielreisende eher an Entwicklungsländer als an eine europäische Hauptstadt erinnerte. Nicht nur Geschäfte und Gastronomie, sondern auch Sitzgelegenheiten, frische Luft und nicht zuletzt Toiletten fehlten.
Statt der Flickschusterei Tegels mit seinen zwei hastig angebauten besseren Abfertigungsbaracken gibt es nun vor allem ein großes Terminal. Je näher die Maschine an das kantige Hauptgebäude rollt, umso mehr wirkt der 32 Meter hohe und 220 Meter breite braune Quader wie ein Schloss.
„Oder wie ein gläsernes Brikett“, stört ein Mitreisender die Stimmung. Das sieht ein hochrangiger Manager eines Konkurrenten ähnlich. „Rechtwinklig mit fast endlosen Geraden fanden Designer toll, als Flughäfen vor allem Umsteigebetriebe sein sollten. Doch heute sind Airports Erlebnisflächen mit vielen unterschiedlichen Zonen, in denen die Passagiere vor dem Abflug einkaufen oder im Café sitzen.“ Hinter dem überholten Design stecke keine böse Absicht. Schließlich, so der Manager, wurde der Bau in der Form zweier am Kopfende gekoppelter L in den Neunzigern entworfen und konnte nach dem Baubeginn 2004 nicht mehr grundlegend geändert werden.





Das negative Urteil anderer Flughafenmanager hält Berater Stefan Höffinger für übertrieben. Der Österreicher, der zu den führenden Experten der Flughafenbranche zählt, hält den Bau für durchaus gelungen. „Die Idee, alles unter ein Dach zu holen und auch das Leitsystem sind aus einem Guss und wirklich State of the Art“, so Höffinger.
Urteil: Groß, modern und am Ende Geschmacksache – ein paar mehr runde Elemente hätten den Bau sicher einladender wirken lassen.