Retouren Deutschland im Rücksendewahn

Erst kommt der Shopping-Rausch, dann der Retourenwahn: In diesen Tagen schicken tausende Deutsche mögliche Weihnachtsoutfits und Geschenke zurück. Die Kunden werden immer dreister - doch die Onlinehändler nehmen das hin.

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Versandhandel: Die Deutschen sind Retouren-Meister. Quelle: Getty Images, Montage

Die Mitarbeiterin arbeitet präzise wie eine Maschine: Den Karton öffnen, dann den Schuh rausholen. Einmal wenden, um die Sohlen zu kontrollieren. Ein Blick ins Innere, die Schuhlasche nach vorne ziehen, die Etiketten kontrollieren. Hunderte Male wird sie diese Handgriffe an ihrem Arbeitstag wiederholen. Ändern wird sich nur das Ergebnis der Kontrolle. "Wenn die Sohle beschmutzt wäre, wäre es B," sagt sie. Kategorie B heißt: unverkäuflich. Nur ein Schuh der Kategorie A landet wieder in den Ladenregalen. Die junge Frau arbeitet in der Retourenannahme des Logistikdienstleisters Cycleon. Sie erlebt gerade die stressigsten Tage des ganzen Jahres.

Neben ihr kontrolliert ein Kollege ebenfalls Schuhe, zwei Tische weiter stapeln sich kaputte Toaster. Hier, in der Halle von Cycleon, einer Tochter des Entsorgungsunternehmens RLG, zeigt sich das ganze Ausmaß der Rücksendeliebe der Deutschen. Für den Schuhhersteller Asics sammelt das Unternehmen Schuhe in falschen Größen und Farben ein, für Samsung Elektrogeräte.

Die beliebtesten deutschen Händler

Für manche Hersteller kümmern sich die Mitarbeiter gleich auch um die Sortierung: Welcher Wasserkocher kann noch repariert werden, welcher Staubsauger ist reif für den Schrott? Auch zurückgesendete Kinderwagen kontrollieren die Mitarbeiter auf Gebrauchsspuren oder kaputte Teile.

Es gibt nichts, was die Deutschen nicht zurücksenden. Rund 280 Millionen Pakete sind es in einem Jahr, haben Forscher der Universität Bamberg berechnet. Damit gelten wir als Retouren-Weltmeister, keine andere Nation bestellt so fleißig Produkte, die sie eigentlich gar nicht haben will. Und das zu keiner Zeit so oft, wie vor Weihnachten.

Hochsaison für Rücksendungen

Bis zu 50 Prozent mehr Pakete müssen die Paketdienste vor den Feiertagen austeilen. Nach dem Fest wandert davon viel zurück: Das Buch, das der Beschenkte schon hat. Der Pullover, der nicht passt. Die Blumenvase, die doch nicht das richtige Geschenk ist. Und all die vielen Pakete, die ihre Empfänger ohnehin nicht rechtzeitig zum Fest erreichen. "Von Dezember bis Januar, ist bei uns Hochsaison", sagt RLG-Chef Patrick Wiedemann.

Und es werden immer mehr Rücksendungen: "Mit dem wachsenden Onlinehandel nimmt auch die Zahl der Retouren jedes Jahr zu", sagt Hilka Bergmann, Expertin des Handelsforschungsinstituts EHI. Über ein Viertel der Onlinehändler vermeldet wesentlich höhere Retourenquoten als vor drei Jahren, so das Ergebnis einer Umfrage des Instituts. Die Hemmungen der Kunden sinken - und die Kosten der Onlinehändler türmen sich.

Der Retourenwahn geht so weit, dass wir uns erst im Internet unsere Schuhe individuell designen, Farbe für Sohle und Schuhlaschen aussuchen, und das gute Stück dann wieder zurückschicken, weil uns unsere eigene Auswahl doch nicht gefällt. Anbietern wie Nike oder Adidas bleibt nichts anderes übrig, als wenigstens zu versuchen, das Zeugnis unseres schlechten Geschmacks in Outlet-Centern zu verkaufen.

Das Dirndl riecht noch nach Zigarettenqualm

Nicht selten entdecken die Sortierer in dem zurückgeschickten Anzug noch eine Theaterkarte, oder das Dirndl riecht nach Bier und Zigarettenqualm. Auch Wanderschuhe oder Bikinis werden gerne umgetauscht - allerdings erst nach den Sommerferien. Und selbst Fernseher sollen sich Kunden schon vor großen Fußballspielen geliehen haben.

Für jeden neunten Händler sind diese missbräuchlichen Rücksendungen ein ernstes Problem, ergab eine Umfrage des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH). „Wenn uns ein Kunde auffällt, der die Retouren gezielt ausnutzen will, legen wir die Rücksendungen des Kunden beiseite und benachrichtigen den Hersteller“, erklärt Dienstleister Wiedemann.

Retourenquote nach Zahlungsweise

Der Online-Riese Amazon wollte den Betrug nicht mehr hinnehmen. Vor zwei Jahren sperrte der Versandhändler eine Reihe von Kunden, die durch massenhafte Rücksendungen auffielen. Amazon benachrichtigte die Nutzer mit einer E-Mail - und bemühte sich dabei nicht um Höflichkeit: „Wir müssen Sie darauf hinweisen, dass wir aufgrund der Überschreitungen der haushaltsüblichen Anzahl von Retouren in Ihrem Kundenkonto zukünftig leider keine weiteren Bestellungen entgegennehmen können und Ihr Amazon-Konto mit sofortiger Wirkung schließen."

Der Fall bildet eine Ausnahme, ergab eine Umfrage des Verbraucherzentrums Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr. 200 Onlinehändler schrieben die Verbraucherschützer an, die wenigsten wollten sich überhaupt zu dem Thema äußern. Nur fünf der Händler - darunter der Online-Shop von Tschibo - gaben an, dass sie Nutzer abmahnen und im schlimmsten Fall sperren. Dabei sind die Retouren für die Händler mit immensen Kosten verbunden.

Die dreisten Gründe bei Bestell-Retouren
Ein schicker Ball steht bevor - aber das Abendkleid dafür ist so teuer. Und dann zieht man es ja auch nur einmal an. Bei der Retoure von Abendkleidern müssen die Händler ganz genau hinschauen: Profis sind darauf geschult, Gebrauchsspuren wie Schweiß- oder Zigarettengeruch sofort erkennen. Quelle: Focus.de Quelle: AP
Genauso die Männer: Für ein schickes Event brauchen sie schnell und nur für wenige Tage einen neuen Anzug. Danach wird der zurückgeschickt.
Die war schon so? Wenn die Händler den Kunden mit den Gebrauchsspuren konfrontieren, reden sich die Kunden häufig damit raus, dass sie die Kleidung bereits in diesem Zustand erhalten hätten.
Das Paket ist zwar da, aber es ist nichts drin? Manche Kunden geben an, dass zum Beispiel die Schmuckschatulle leer gewesen sei. Tatsächlich haben sie den zugehörigen Ring, die Kette oder die Ohrstecker einfach behalten. Dagegen können sich die Versender oft nicht wehren, denn ein Diebstahl könnte auch in der Produktion oder im Versand passiert sein.
Ein Kunde bestellt noch mal exakt dasselbe, wie vor einem Jahr? Auch da werden die Händler vorsichtig. Dieser Artikel könnte in der Retoure landen und soll möglicherweise kostenfrei durch einen neuen ersetzt werden.
Es ist WM und man hat die Kollegen zum Fußball-Gucken eingeladen. Vielleicht will der Kunde deshalb mit einem großen Fernseher protzen. Nach zwei Wochen sagt er einfach, das Gerät würde ihm nicht gefallen. Für die Händler ist das ein großes Problem, weil sie gebrauchte elektronische Geräte nicht mehr für den gleichen Preis verkaufen können. Quelle: dpa
Das passiert auch bei kleineren Elektronik-Geräten. Eltern „leihen“ sich zum Beispiel einen Camcorder für die Geburtstagsparty der Kinder. Quelle: REUTERS

Etwa zehn Euro kostet eine Rücksendung die Internetshops im Durchschnitt, haben die Forscher des EHI ermittelt. Eingerechnet sind die Porto-Kosten, aber auch der Aufwand, die zurückgesendeten Kleider, Bücher oder DVDs zu sortieren, auf Fehler und Gebrauchsspuren zu kontrollieren und eventuell wieder zu reparieren.

Onlinehändler müssen Kosten nicht übernehmen

Immerhin, etwa 70 Prozent der Retouren können weiterverkauft werden. Der Rest ist B-Ware, taugt höchstens noch als Mängelexemplar. "Der Großteil der nicht verkäuflichen Rücksendungen wird vernichtet", sagt Hilka Bergmann. Bei einigen Artikelkategorien, wie etwa Möbeln, ist die Vernichtungsquote noch höher. Kaum eine Schrankwand übersteht zwei Transporte und Auf- und Abbau unbeschadet.

Gesetzlich verpflichtet sind die Onlinehändler eigentlich nur dazu, den Kunden ein 14-tägiges Widerrufsrecht zu gewähren. Auch die Kosten für die Rücksendungen müssen sie nicht übernehmen. Seit einer Gesetzesänderung im Sommer könnten sie die Retouren dem Kunden in Rechnung stellen.

Geändert hat das kaum etwas: 76 Prozent übernehmen weiter jeden Cent für die Rücksendungen. Damit sind die Onlinehändler bei Rücksendungen noch viel großzügiger als bei der Auslieferung der Ware, bei der ein Großteil der Shops erst ab einem bestimmten Einkaufswert seinen Kunden die Versandkosten erlässt.

Wie sich Retouren vermeiden lassen

Für die Kunden ist der Service mittlerweile selbstverständlich. Und die Onlinehändler haben große Angst, dass sie Käufer verlieren, wenn sie Retouren erschweren. Gerade vor Weihnachten bieten sie deshalb einen Bonus und verlängern die Rückgabefristen, teilweise sogar bis Ende Januar. "Die Retourenquoten sind höher, weil die Händler die Hürden senken und den Komfort für den Kunden steigern", sagt Experte Wiedemann. "Da gilt: Besser ein glücklicher Kunde, der die Waren zurückschickt, aber beim nächsten Mal wieder kauft, als ein unglücklicher Kunde, der nie zurückkehren wird."

Dabei gibt es Wege, die Retourenquote zu senken. Detailliertere Beschreibungen und Abbildungen helfen, eine sichere Verpackung ebenfalls. Vor Weihnachten ist außerdem ein schneller Versand wichtig. Auch deshalb bieten Online-Giganten wie Amazon und Zalando mittlerweile in einigen Städten in Deutschland die Lieferung am gleichen Tag an.

Noch mehr Auswirkungen hat die Zahlungsweise: So liegt die durchschnittliche Retourenquote für Mode bei über 55 Prozent, wenn die Kunden per Rechnung zahlen können. Für Käufer, die ihre Bestellung Vorkasse leisten müssen, stürzt die Quote auf 30 Prozent ab. Doch kaum ein Händler wagt es, den Deutschen die Möglichkeit zu nehmen, erst nach der Lieferung zu zahlen.

Das Bestellen auf Rechnung hat in Deutschland im Gegenteil zu anderen Ländern Tradition: Der Hamburger Versandhändler Otto bot seinen Kunden bereits vor sechzig Jahren an, erst die Artikel im Katalog auszuwählen und später zu entscheiden, welche sie davon behalten und bezahlen wollen. In Frankreich beispielsweise ist das immernoch unüblich - die Rücksendequoten sind dort auch nur etwa halb so hoch.

Doch mittlerweile hat sich auch bei Otto die Haltung zu dem Thema geändert: So verlangte der Chef der Otto-Pakettochter Hermes, Hanjo Schneider, im vergangenen Jahr noch lauthals, er halte nicht viel von kostenlosen Rücksendungen. Der Verursacher sollte für die Kosten auch aufkommen. Geändert hat Otto an seinen Retourregeln nichts - dafür aber an seinen Arbeitsbedingungen: In Hanau in der Nähe von Frankfurt, sollen in den kommenden Jahren 300 Otto-Mitarbeiter ihren Job verlieren, berichtet die Lebensmittelzeitung.

Der Konzern will sein Retourenzentrum in dem Ort schließen. Seine Rücksendungen will Otto in Zukunft im tschechischen Pilsen sortieren und bearbeiten. Wohl auch, weil dort das Lohnniveau nicht so hoch ist wie in Deutschland. So spart sich Otto immerhin einen Teil seiner Kosten.

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