Traumstrände mit tiefblauem Wasser, 5000 Jahre alte Kulturdenkmäler und gute Restaurants mit einem traumhaften Blick über dramatische Felsen: Wer im Augenblick den Nordwesten von Sardinien besucht, will eigentlich nicht an Arbeit und die Coronakrise denken. Bei fünf Besuchern der italienischen Mittelmeerinsel war das Anfang September anders. Vier Männer und eine Frau aus dem Konzernvorstand der Lufthansa mussten an diesem schönen Ort den unschönen Rettungsplan für ihre Fluglinie entwerfen. Darum trafen sie sich für drei Tage im Ferienhaus des Vorstandsvorsitzenden Carsten Spohr. „Und an zwei Abenden haben wir bis spät in die Nacht hinein diskutiert“, schwärmte Spohr über den Geist der sardischen Klausur. Er präsentiert die Ergebnisse dieser Diskussionen ab diesem Montag seinem Aufsichtsrat. Der findet sich dafür erstmals seit Langem wieder zu einer zweitägigen Sitzung zusammen.
An Details wird noch gefeilt, aber klar ist: Der Plan ist radikal. Er soll die Lufthansa nicht nur aus der aktuellen Krise bringen. Er soll sie für die nächsten zehn Jahre so aufstellen, dass sie trotz eines schrumpfenden Flugmarkts ihre führende Stellung in Europa ausbauen kann. Spohr will unter Stichworten wie Re-New und Re-Fokus wenig beim Alten lassen. „Ich kann nur harte Zeiten versprechen“, so Spohr vorige Woche am Schluss einer internen Veranstaltung mit dem Titel „Offen gesagt“.
Die Gründe für die Einschnitte lieferte er gleich zu Beginn dieses Webcasts aus der Kantine im fünften Stock der Konzernzentrale am Frankfurter Flughafen. Die Coronakrise trifft die Lufthansa mit am härtesten in der Branche. „Wir verlieren im Augenblick immer noch alle 90 Minute eine Million Euro an flüssigen Mitteln“, so Spohr. „Wir haben ein Zeitfenster von 18 Monaten, um wirtschaftlich wieder auf eignen Beinen zu stehen.“ Dann, so die etwas vereinfachte Rechnung, wären die von Deutschland, Österreich, der Schweiz und Belgien geliehenen neun Milliarden Euro Kredit verbraucht.
Spohr treibt der erneute Einbruch der Nachfrage auf das Niveau der Krisenzeit im Frühling um. Nachdem die Passagierzahl im Vergleich zum Vorjahr vom Tiefpunkt im April mit fünf Prozent bis August auf rund 50 Prozent angestiegen war, sackte sie zuletzt auf weniger als 20 Prozent. „Und die Vorausbuchungen für Oktober liegen bei etwa zehn Prozent“, so Spohr. Der dramatische Rückgang hängt mit den nahezu unberechenbaren und verschärften Reisevorschriften zusammen. Hauptschuldiger sei Deutschland, das bald alle ankommenden Passagiere aus der rasch steigenden Zahl von Risikogebieten fünf Tage in Quarantäne schicken will. Dieses Vorgehen nannte Spohr in der internen Veranstaltung in gewohnter Offenheit „Wahnsinn“ und fragte weiter: „Wer bucht denn unter den Umständen noch?“
Dazu sind die Aussichten düsterer als im Hochsommer. Damals rechnete Spohr damit, 2023 wieder die Passagierzahl des Rekordjahres 2019 zu erreichen. Nun erwartet er das frühestens „zur Mitte des Jahrzehnts“. Noch pessimistischer ist Spohr beim Umsatz. „Es ist nicht absehbar, ob wir 2019 je wieder erreichen“, sagte er. Lufthansa, so die Erwartung, wird künftig statt von fernreisenden Managern vermehrt von Urlaubern gebucht werden. Und die spülen – gerade bei kürzeren Europareisen – im Vergleich zu Businessreisenden deutlich weniger Geld in die Kasse. Zudem werden wohl wachsende Umweltauflagen die Tickets verteuern und die Nachfrage bremsen. Dass die Fluggesellschaft künftig gewaltige Schulden bedienen muss, macht die Sache nicht einfacher.
Gegen den Mix aus niedrigeren Einnahmen und wachsenden Kosten setzt die Lufthansa auf ein radikales Sparprogramm. Die Ausgaben sollen um ein Fünftel sinken und der Konzern flexibler für künftige Krisen werden.