Richard Lutz Der mächtigste Bahnchef aller Zeiten

Eigentlich sollte Richard Lutz die Bahn nur so lange führen, bis ein Nachfolger für Rüdiger Grube gefunden wurde. Nun bleibt der Übergangskandidat dauerhaft Bahnchef. Und seine Machtfülle überstrahlt die seiner Vorgänger um Längen.

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Das sind die größten Baustellen der Bahn
Erst vor wenigen Tagen hat die Bahn den neuen ICE 4 vorgestellt – und sich im Fernverkehr Einiges vorgenommen. Um 25 Prozent soll das Angebot bis 2030 ausgebaut, fünfzig Millionen neue Fahrgäste gewonnen werden. Tatsächlich schafft es die Bahn mit ihrer Preisoffensive, etwa mit den 19-Euro-Tickets, mehr Fahrgäste in die Züge zu locken. Aber die Rendite leidet. Quelle: dpa
Der Güterverkehr der Bahn ist ein Sanierungsfall. Zwar verbesserte sich das Ergebnis von DB Cargo im ersten Halbjahr 2016, aber die Sparte ist defizitär– und das schon seit Jahren. Zwischen 2007 und 2015 stagnierte die Verkehrsleistung, und das in einer boomenden Wirtschaft. Private Anbieter, auch auf der Straße, machen der Bahn zunehmend Konkurrenz. Quelle: dpa
174,63 Millionen Minuten haben die Personen- und Güterzüge der Bahn 2015 an Verspätungen eingefahren. Hauptursache ist die wachsende Zahl von Baustellen. Zwar schneidet die Bahn im ersten Halbjahr 2016 besser ab. Aber: Das Bemühen um pünktliche Züge ist laut Bahnchef Grube „mit großen Kraftanstrengungen verbunden“. Quelle: picture-alliance/ dpa
Die Bahn investiert viel Geld in die Infrastruktur: Gut 5,2 Milliarden Euro flossen 2015 etwa in die Instandhaltung von Schienenwegen und Brücken. Doch es hapert bei der Koordinierung der vielen Baustellen. Und so verursacht die von Konzernchef Grube gefeierte „größte Modernisierungsoffensive in der Bahn-Geschichte“ vor allem eines: Verspätungen. Quelle: dpa
Die Bahn braucht Geld, um den Schuldenanstieg zu bremsen. Geplant war deshalb ein Verkauf von maximal 40 Prozent der britischen Tochter Arriva und des Transport- und Logistikkonzerns DB Schenker. Arriva sollte im zweiten Quartal 2017 an der Londoner Börse starten, Schenker danach in Frankfurt. Doch die Pläne sind jetzt vom Tisch. Quelle: picture alliance/dpa
Bahnchef Grube feierte kürzlich die Grundsteinlegung für den Stuttgarter Tiefbahnhof, aber das Großprojekt bleibt umstritten. Beim Volksentscheid 2011 war noch von 4,5 Milliarden Euro Kosten die Rede. Der Bundesrechnungshof hält nun offenbar zehn Milliarden Euro für möglich, Grube selbst spricht von 6,5 Milliarden Euro. Quelle: AFP

Einmal im Jahr lädt die Deutsche Bahn zum Neujahrsempfang nach Berlin. Aus ganz Deutschland kommen ausgewählte Journalisten meist im Januar in die Hauptstadt. Der damalige Bahnchef Rüdiger Grube hielt dann jedes Jahr eine Rede über die Herausforderungen der Deutschen Bahn, die vergangenen Monate und die Pläne für die Zukunft. Anschließend standen er und seine Vorstandskollegen den Medienvertretern in Hintergrundgesprächen Rede und Antwort.

In der Regel bildete sich dann beim anschließenden Empfang um Grube schnell eine neugierige Menschentraube. Auch der frühere Infrastrukturvorstand Volker Kefer und sein Nachfolger Ronald Pofalla zogen viele Interessierte an. Um Richard Lutz dagegen versammelten sich meist weniger Journalisten. Das lag weniger an seiner Person als vielmehr an seinem Ressort, das er leitete: Das Finanzressort begeistert aus Tradition eher weniger der meist produktverliebten Bahnjournalisten.

Doch das Interesse an Lutz wird sich nun schlagartig ändern. Der 52-Jährige ist nicht nur neuer Chef der Deutschen Bahn, sondern bleibt in Personalunion auch Finanzchef des Konzerns. Lutz erhält damit mehr Aufgaben und Kompetenzen als Grube und Hartmut Mehdorn. Er stellt sogar all seine Vorgänger in Sachen Machtfülle deutlich in den Schatten. Nie gab es einen mächtigeren Bahnchef als Richard Lutz - innen und außen.

Was der neue Bahnchef Lutz jetzt angehen muss

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ist damit ein Coup gelungen, der nach außen unspektakulär daher kommt, für die Zukunft der Deutschen Bahn aber eine große Rolle spielen wird.

Vorgezeichnet war das nicht. Lutz ist auch nicht das typische Beispiel einer internationalen Managerkarriere. Eigentlich trägt sein Lebenslauf sogar nur zwei Stationen: Universität und Deutsche Bahn. Der 52-Jährige promovierte am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre in Kaiserslautern und wechselte bereits 1994 zur Bahn. Den Grundstein für seinen Aufstieg zum Finanzvorstand legte Lutz in seiner Zeit als enger Vertrauter des langjährigen Bahn-Finanzvorstands Diethelm Sack. Bereits als 39-Jähriger übernahm Lutz die Leitung des Bereichs Konzerncontrolling. Dann folgte er Sack 2010 auf den Vorstandsposten.

Wie die Deutsche Bahn 6,3 Milliarden Euro vergeudet

Lutz kennt den Konzern daher besser als jeder andere Vorstand, geschweige denn jeder andere Bahnchef vor ihm. In den letzten Jahren schnupperte er sogar in die Konzernsparten Arriva und Schenker hinein. Eigentlich wollte die Bahn die Töchter in Teilen verkaufen. Lutz verantwortete den Prozess. Es kam zwar nicht mehr dazu, weil der Brexit etwa den Wert der britischen Nahverkehrstochter drückte. Doch dafür bekam Lutz nun sogar einen wichtigen Schnupperkurs in Sachen operatives Geschäft auf der Schiene – und wertvolle Erkenntnisse für seine neue Rolle als Bahnchef.

Dass Lutz im Hintergrund seit Jahren wichtige Fäden zog, wissen nur wenige. So hatte der Manager auch bei der überraschenden Eigenkapitalspritze durch den Bund im Herbst 2016 seine Finger im Spiel. 2,7 Milliarden Euro schießt der Staat in den nächsten Jahren zu. Die Bahn braucht deshalb auch Schenker nicht versilbern. Und die Verschuldung bleibt erst einmal unter Kontrolle. Lobby-Vorstand Pofalla soll die Politik zu dem Schritt überredet haben, heißt es. Doch Lutz hat mindestens den gleichen Anteil daran. In Berlin ist der neue Bahnchef schon lange wichtiger Kontaktmann  – und in Zukunft sowohl für den Verkehrs - als auch den Finanzminister Ansprechpartner Nummer eins bei der Deutschen Bahn.

Lutz' neue Aufgaben

Seine ersten Amtshandlungen als neuer Bahnchef werden nun mit Spannung erwartet. Zunächst wird Lutz am Donnerstag die Jahreszahlen für 2016 präsentieren. Für den 52-Jährigen ist das eher eine Routineaufgabe, auch wenn er als neuer Bahnchef nun im neuen Licht erscheint. Dennoch hat er bereits in den Vorjahren immer nach Grube gesprochen und die Bilanzzahlen konkretisiert.

In diesem Jahr wird Lutz der Öffentlichkeit erklären müssen, wie die Bahn die zahlreichen Herausforderungen meistern will. Der Umsatz legte nur minimal auf 40,6 Milliarden Euro zu, womit die ursprünglichen Planungen um fast zwei Milliarden Euro verfehlt wurden. Bei den Güterbahnen in Deutschland und Europa hält die Krise weiter an. Der Verlust konnte hier nur durch den Verkauf von fast 200 Loks begrenzt werden. Die wichtigste Sparte Regionalverkehr, in der die Bahn Aufträge verliert, verbuchte weniger Gewinn. ICE und Intercity konnten nach einer Talfahrt wegen der Fernbuskonkurrenz dank zahlreicher Sonderangebote 2016 dagegen wieder leicht zulegen.

Spannender wird die Besetzung neuer Vorstandsposten. Lutz muss entscheiden, mit wem er künftig zusammen arbeiten will. Und er darf gleich zwei neue Manager in das oberste Führungsgremium holen – auch eine Möglichkeit, gleich neue starke Akzente zu setzen.

Hochgeschwindigkeitszüge in anderen Ländern

Zum einen wird es einen neuen Vorstand für den Güterverkehr geben. Zum anderen soll es einen neuen Vorstand für Technik und Digitalisierung geben. Für beide Posten sind bereits Namen gefallen: Sigrid Nikutta, Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) für Cargo und Siegfried Russwurm von Siemens für das Digitalgeschäft. Doch hält Lutz wirklich an den Namen fest? Oder überrascht er möglicherweise Politik und Aufsichtsrat? Gegen die Doppelrolle gibt es inzwischen auch Widerstand. Die Arbeitnehmerseite unterstütze Lutz zwar formal. Allerdings halte man die Doppelfunktion weiter für falsch und wolle im Zuge des ohnehin anstehenden Vorstandsumbaus wieder einen eigenen Finanzvorstand.

Ist der mächtigste Bahnchef aller Zeiten damit also nur ein vorübergehendes Phänomen? Das Bundesverkehrsministerium jedenfalls spricht seine volle Unterstützung für Lutz aus – inklusive der Doppelrolle, die Dobrindt bewusst mitgetragen habe. Im Ministerium heißt es außerdem: Lutz sei „kein Übergangskandidat“.

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