Rohe Faszination Das Geschäft mit dem Mittelalter

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Die perfekte Projektionsfläche

Das Mittelalter spricht – wie sonst fast nur noch der Fußball – nahezu alle Generationen an. „Zunehmend fragen 40- bis 60-Jährige nach mittelalterlicher Kleidung, um zünftig mit ihren Freunden ihre runden Geburtstage auf einer Ritterburg zu feiern“, beobachtet Kyra Blasberg, Inhaberin der Kostümtruhe. Das Geschäft in der Kölner Innenstadt ist auf historische Bekleidung spezialisiert. Die Jüngeren decken sich bei Blasberg für die nächste LARP-Con ein. LARP steht für Live Action Role Playing; Con für Convention.

Mittelalterliche Rollenspiele werden zunehmend populär. Teilnehmer treffen sich meist auf einer Pferdewiese im Niemandsland. Das Orga (Organisationsteam) gibt Handlung und Rollen vor: Händler, Paladine, Ritter, Soldaten. Dann folgt eine Art Improvisationstheater ohne Publikum. Jeder bleibt ein Wochenende lang in seiner Rolle, gekämpft wird mit Schaumstoffwaffen.

Welche Spiele Manager gespielt haben sollten
MonopolyDas Spiel: Immobilienmogul werden und die anderen Mitspieler in den Bankrott treiben – darum geht es im Spieleklassiker Monopoly.Was Manager daraus lernen: Monopoly bildet ab, wie sich Märkte entwickeln: Sie können zum Monopol führen oder zu einem recht ausgeglichenen Markt. Sieger des Spiels ist, wer am Ende das größte Vermögen besitzt.  Das kann nach einer zuvor festgelegten Spieldauer sein. Wie in der Wirtschaft können sich nämlich auch eine relativ ausbalancierte Spielsituation entwickeln, in der alle beliebig lange weiter spielen können. Quelle: AP
Spiel des LebensDas Spiel: Die Teilnehmer spielen das ganze Leben durch – von Ausbildung und Studium bis zum Ruhestand. Gewonnen hat die Person mit dem höchsten Vermögen.Was Manager daraus lernen:   Das Spiel des Lebens ist ein reines Glücksspiel, die Spieler können hauptsächlich zwischen hohem und niedrigem Risiko entscheiden. Ähnlich ist es im echten Leben, indem man ebenso hauptsächlich zwischen unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten wählen kann. Das zeigt sich schon nach der ersten Spielentscheidung: Direkt Karriere machen? Oder doch Studieren? Auch wenn die Akademiker-Gehälter in der Regel höher sind, sagt die erste Entscheidung nichts über den Spielausgang aus. Quelle: Presse
Mensch ärger Dich nichtDas Spiel: Der Spieler, der als erstes all seine Figuren ins Haus bringt, hat gewonnen.Was Manager daraus lernen können: Die einzige Schwierigkeit ist, dass man immer wieder von anderen Spielern rausgeworfen werden kann. Das wirft einen immer wieder zurück. Damit muss man klar kommen, wieder von vorne anfangen und auch nach dem x-ten Rauswurf kann man immer noch gewinnen. Diese Hartnäckigkeit und Disziplin muss man auch im Berufsleben an den Tag legen. Quelle: AP
PokerDas Spiel: Alle Spieler geben einen Einsatz und die Hand mit dem höchsten Kartenwert gewinnt den Pot.Was Manager daraus lernen können: Bluffen. Wenn ein Spieler mit einer schlechten Hand durch Bluffen die anderen Spieler daran hindert, seinen vorgelegten Einsatz ebenfalls zu setzen, gewinnt er schließlich als einzig Übrigebliebener. Quelle: dpa
SchachDas Spiel: Bei der Mutter aller Strategiespiele schieben zwei Spieler Figuren so lange auf einem Brett hin und Herr, bei einer den anderen schachmatt setzt – also den König des anderen unabwendbar angreift.Was Manager daraus lernen können: In der Ruhe liegt die Kraft: Die Situation im Blick haben, analysieren und dann den richtigen Zug machen. So funktioniert’s auch im Leben. Quelle: AP
Die Siedler von CatanDas Spiel: Die Spieler besiedeln die fiktive Insel Catan, bauen Straßen und Siedlungen, handeln mit Rohstoffen. Gewonnen hat, wer zuerst eine bestimmte Anzahl sogenannter Siegpunkte erreicht hat.Was Manager daraus lernen:   Um Wachstum geht es nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Spiel. Die Teilnehmer expandieren ständig und müssen dabei das richtige Maß an Kooperation und Konkurrenz mit anderen Mitspielern finden. Die Spieler können Handel betreiben und Allianzen bilden und sich andererseits gegenseitig blockieren.
MühleDas Spiel: Ziel ist es, die gegnerischen Steine so zu schlagen, dass der Gegner nur noch zwei Steine übrig hat, der die gegnerischen Steine so zu blockieren, dass er nicht mehr ziehen kann.Was Manager daraus lernen können: Man kann machen was man will – man steckt in der Klemme. So ist es auch oft im Job. Quelle: Screenshot

Gerade in einer Zeit, die immer technikbegeisterter, vernetzter und komfortabler ist, begeistern sich die Jüngeren für ein scheinbar rückwärtsgewandtes, unbequemes und untechnisches Thema, schreibt die bekennende LARPerin und Piraten-Politikerin Marina Weisband in ihrem Blog: „Ich beantworte in der Woche mehrere Hundert E-Mails, habe einen Termin nach dem anderen, und das meistens, ohne aus meinem Bürostuhl aufzustehen. Am Wochenende habe ich eine Aufgabe: Versorge als Mitglied des Trosses deine Soldaten!“ Um das Essen zuzubereiten, muss Teilzeit-Köchin Weisband Holz sammeln, zerkleinern und rohe Zutaten mit einfachsten Mitteln kesselweise zu Eintopf verarbeiten.

Das Mittelalter ist unglaublich analog“, schwärmt Ex-Börsianer Müller, Vorsitzender des Fördervereins Burg Wersau. Nicht ganz zufällig finden sich unter den Mittelalterfans viele IT-Spezialisten.

Im echten Mittelalter hätten Weisband und Müller wohl weniger gern gelebt: Die Menschen wohnten in Holzhütten mit winzigen Fensterluken, in denen es stockdunkel war und entsetzlich stank. Und auch die Ritter waren „nicht ganz so kühn und edel wie ihre Selbstdarstellungen in der mittelalterlichen Literatur“, sagt die Kulturhistorikerin Bettina Bildhauer von der schottischen Universität St. Andrews.

Zu ihrer Popularität dürfte beitragen, dass die Epoche weniger nach Schule schmeckt als etwa die gut durchgekaute Antike mit Griechen und Römern. Die meisten Menschen haben nur eine vage Vorstellung vom Mittelalter. Umso besser lassen sich Gefühle, Ideen und Vorstellungen darauf projizieren.

Der Erste, der das Marketingpotenzial der Epoche erkannte, war Luitpold Prinz von Bayern, ein Urenkel des letzten Bayernkönigs Ludwig III. Seit 1976 führte der Jurist die König Ludwig Schlossbrauerei Kaltenberg und baute sie zu einer erfolgreichen Spezialitätenbrauerei aus. Der heutige Gesellschafter, kämpfte jahrelang darum, sein Bier auf dem Münchner Oktoberfest ausschenken zu dürfen – vergeblich.

Mit einer anderen Idee hatte der Prinz mehr Erfolg. „Wilde und lustige Ritterspiele“ hatte Seine Königliche Hoheit in den Siebzigerjahren in England gesehen. Das gab es in Deutschland noch nicht. 1980 gründete er das Kaltenberger Ritterturnier, das im vergangenen Jahr rund 100.000 Besucher anzog.

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