RTL Mysteriöse Millionengeschäfte mit Zuschaueranrufen

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Am Zoll vorbei, ohne das Bargeld zu melden

Die Schlüsselszene soll sich am 25. April 2007 am Düsseldorfer Flughafen zugetragen haben. Banker Reto L. beschreibt seine Erinnerung daran so: Um 13.55 Uhr verlässt er an diesem Tag die Maschine der Lufthansa-Tochter Swiss. Die Sonne brennt, mit fast 30 Grad ist es für die Jahreszeit viel zu heiß. In seinem Gepäck hat er etwa 90.000 Euro, in 500-Euro-Noten, verstaut in einem Briefumschlag. Er läuft am Zoll vorbei, ohne das Bargeld zu melden.

Am Ausgang wartet sein Adressat schon. RTL-Manager Max H. ist Anfang 40, leger in Jeans. Die beiden schütteln sich die Hand. Reto L. übergibt im Ankunftsbereich des Flughafens den Umschlag. Für den Banker ist das nichts Ungewöhnliches. Er arbeitet für eine Schweizer Vermögensverwaltung, die sich auf Treuhandmodelle spezialisiert hat, über die Kunden diskret Geld bunkern können. Nun wollte einer dieser Kunden sein Geld wiederhaben, denkt Reto L. Eine übliche Schwarzgeldübergabe, Routine.

Wie RTL und Sat.1 das Fernsehen veränderten
1. Januar 1984Die Ära des Privatfernsehens in Deutschland begann am 1. Januar 1984 um 9.58 Uhr. Die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk (PKS) ging um diese Zeit mit Sat1 auf Sendung, RTL plus folgte einen Tag später. Der damalige Geschäftsführer, Jürgen Doetz, begrüßte das Publikum gemeinsam mit Moderatorin Irene Joest vor den Fernsehern mit den Worten: „Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Moment sind Sie Zeuge des Starts des ersten privaten Fernsehveranstalters in der Bundesrepublik Deutschland.“ Quelle: dpa
2. Januar 1984Am 2. Januar 1984 sah das Publikum dann Helmut Thoma, damals Direktor der deutschen Programme, auf der Mattscheibe. Er begrüßte die Fernsehzuschauer zum Senderstart der ersten RTLplus-Sendung. RTLplus sendete damals aus Luxemburg sein deutschsprachiges Programm. 1988 zog der Privatsender nach Köln. Für Köln sprach, dass bereits wegen des WDR Übertragungsleitungen vorhanden waren. Quelle: dpa
8. April 1988Der junge Sender musste um das Publikum kämpfen. Erfolge verzeichnet RTL dabei unter anderem mit seiner Comedy-Spielshow „Alles Nichts Oder?!“ mit Hella von Sinnen und Hugo Egon Balder (hier im Jahr 2008). Trotz kleinem Budget und minimaler Ausstattung war das Moderatorenduo sehr gewinnbringend für den Sender. Die Grundidee war ein Kindergeburtstag für Erwachsene. Ein prominenter Gast musste an albernen Spielen teilnehmen und sich gegen die Moderatoren behaupten. Der Gewinn war eine Torte. Derjenige, der das Spiel verlor, musste seinen Kopf durch ein Loch in der Wand stecken, um dann die Torten aus dem Publikum ins Gesicht geworfen zu bekommen. Das klingt letztlich infantiler, als die Show tatsächlich war. Die Sendung lief bis 1992. Quelle: dpa
7. November 1988Große Erfolge brachte Sat.1 die Sendung „Glücksrad“ ein. Zum ersten Mal drehte es sich im Privatsender am 7. November 1988. Moderiert wurde die Ratesendung von Frederic Meisner (links) und Schauspieler Peter Bond (rechts), die sich wöchentlich abwechselten. Die Buchstabenfee, also die Dame, die die Buchstaben der Ratewand umdreht, war Maren Gilzer. Die Spiele-Show war montags bis freitags um 19.30 Uhr zu sehen. Wegen des hohen Erfolges wurde sogar 1991 eine samstägliche und eine sonntägliche Ausgabe ins Programm genommen. Fast sieben Jahre lang war das „Glücksrad“ damit täglich zu sehen. Vorbild für die Sendung war die US-Show „Wheel of Fortune“. Die Adaption ausländischer Formate wurde schnell zu einem Steckenpferd der Privaten – denn das brachte enormen Erfolg. Quelle: dpa
21. Januar 1990Die erste erotische TV-Show im deutschen Fernsehen war die Spiele-Show „Tutti Frutti“, moderiert von Hugo Egon Balder. Die Gäste konnten in Raterunden Punkte gewinnen, die sie in abzulegende Kleidungsstücke der Stripperinnen investierten. Den Privaten hing damals wegen zahlreicher Erotikfilmen im Nachtprogramm ein Schmuddel-Image an. „Tutti Frutti“ änderte daran nicht viel, wurde jedoch zum vieldiskutierten Gesprächsthema. Das Punktesystem begriff kaum jemand, nackte Haut wollten dafür genug Interessenten sehen. Ein Novum, was der Sender auch offensiv bewarb: Die Kandidaten mussten auch selbst Kleidung ablegen – und die Zuschauer durften hoffen, Nachbar oder Nachbarin in Unterwäsche zu erwischen. Die Sendung lief auf RTL bis 1993. Quelle: dpa
10. Dezember 1991Rosa von Praunheim präsentierte zu Beginn einer jeden Ausgabe der Show „Explosiv - Der heiße Stuhl“ eine Person, über die sie provokante Thesen aufstellte. Anschließend musste derjenige auf dem heißen Stuhl platznehmen und mit fünf weiteren Gästen über diese Thesen diskutieren. Dabei kam es zu lauten, persönlichen Diskussionen, die der Moderator immer wieder anheizte. Filmemacher Rosa von Praunheim outete in seiner Sendung außerdem die TV-Lieblinge Hape Kerkeling und Alfred Biolek als schwul, was einer der größten Skandale der TV-Geschichte war. Sein Kommentar dazu: „Mein Outing von schwulen Prominenten war ein Verzweiflungsschrei auf dem Höhepunkt der Aidskrise“, erklärt der heute 69-jährige Rosa von Praunheim auf seiner Website. Ihm ging es damals darum, schwule Sympathieträger, die versteckt lebten, zur Solidarität mit der Homosexuellengemeinschaft zu bewegen, weil es in ihr die meisten HIV-Infizierten und Aids-Toten zu beklagen gab. Generell war „Explosiv“ die wohl umstrittenste, da krawalligste Talkshow der privaten Fernsehsender. Quelle: dpa
19. Januar 1992Linda de Mol startete 1992 die Sendung „Traumhochzeit“ auf RTL. Die Sendung zählte mit bis zu elf Millionen Zuschauern zu den beliebtesten deutschen Fernsehsendungen der 1990er Jahre. Bis zum Jahr 2000 konnten in der Sendung drei Paare gegeneinander antreten, die (neben verschiedenen kleineren Preisen) eine Traumhochzeit gewinnen konnten. Der gigantische Erfolg der Samstagabend-Show legte den Grundstein für das Imperium der niederländischen Produktionsfirma Endemol, heute zweitgrößter Fernsehproduzent der Welt. Mitbegründer der Firma: Lindas Bruder John de Mol. Quelle: dpa

Wer war am Düsseldorfer Flughafen?

Max H. wollte sich zu dem Vorgang gegenüber der WirtschaftsWoche nicht äußern. 2012 hatte er gegenüber PwC-Mitarbeitern, die den Vorfall untersuchen sollten, das Treffen bestritten. Es steht Aussage gegen Aussage. Belegbar ist, dass Reto L. an diesem Tag am Düsseldorfer Flughafen war. Darüber hinaus gibt es E-Mails, die nahelegen, dass der RTL-Manager sich mit ihm für jenen 25. April am Flughafen verabredet hatte.

Die Digame, aus deren Umfeld das Schmiergeld stammen soll, wurde 1999 von Klaas B. gemeinsam mit der Telekom-Tochter T-Venture in Köln gegründet. Digame-Gründer Klaas B. hatte in den frühen Neunzigerjahren beim niederländischen Sender RTL 4 gearbeitet. Außerdem saß er als Gründer bis 1999 im Aufsichtsrat der RTL Multimedia, die in die heutige RTL-Tochter RTL Interactive aufgegangen ist. Klaas B., so heißt es, soll von Anfang an für die guten Beziehungen zwischen RTL und Digame verantwortlich gewesen sein.

Digame: Steuertipps, Kochrezepte, kostenpflichtige Anrufe

Digame organisiert vereinfacht gesagt kostenpflichtige Dienstleistungen, die Zuschauer rund um das TV-Geschäft in Anspruch nehmen können. Vor der Jahrtausendwende waren das Steuertipps oder Kochrezepte, die Zuschauer per Bezahl-Fax abrufen konnten. Seit Ende der Neunzigerjahre boomt das Geschäft mit Mehrwertdiensten. Die Einnahmen aus Werbung und Anrufen auf teuren 0190-Hotlines (heute 01379) reichten schon damals, dass RTL Multimedia – trotz Verlusten mit Internet-Aktivitäten – insgesamt Gewinn machte. Heute lassen vor allem kostenpflichtige Anrufe bei Castingshows und TV-Gewinnspielen die Kassen klingeln.

Auch seinen Teletext-Chat lässt RTL von Digame bespielen. Für bis zu 30 Cent je SMS können Zuschauer Nachrichten schicken, die unter Chatnamen ab Seite 670 im Videotext erscheinen. Schon die Namen der Chaträume, etwa „Flirt“, „Dating“, „Gay Club“ oder „Videotausch“, offenbaren, um welche Themen es oft geht. Auf Videotext Seite 721 bei RTL offeriert der Sender via Digame einen Faxabruf zu „seriösen Potenzmitteln“ – fünf Seiten für 1,49 Euro.

Gewinn im Gründungsjahr

Von den 50 Cent, die ein Zuschauer für einen Anruf aus dem Festnetz bei einer Castingshow heute zahlt, bekommt der Sender nach Branchenschätzungen um die 35 Cent. Bei Votinganbietern wie Digame bleiben 3,5 Cent. Der Rest sind Umsatzsteuer und Gebühren für den Telefonnetzbetreiber. Die Masse an Anrufen – bei Digame kamen laut einer internen Aufstellung 2009 gut 83 Millionen Anrufe zusammen – bringt ordentlich Geld.

Gleich zur Gründung der Digame 1999 schloss RTL umfangreiche Verträge mit dem Kölner Dienstleister ab. 2004 war Digame mit der Abwicklung der „gesamten Audiotex-Dienste“ beauftragt. Dahinter verbergen sich die Hotline-Geschäfte, etwa beim Televoting. Bereits im Gründungsjahr macht Digame Gewinn. Im dritten Geschäftsjahr gönnen sich die Gesellschafter, damals neben Twister noch Telekom-Tochter T-Venture, eine erste Ausschüttung: knapp 3,6 Millionen Euro.

Abhängig von RTL

RTL steht in vielen Jahren für über drei Viertel des Umsatzes von Digame. In einer E-Mail vom Juli 2011, unter anderem vom Twister- und Digame-Management verfasst, heißt es: „Sollte RTL seine Kooperation mit Twister Media beenden, wäre Twister Media pleite.“ Digame und die Mutter Twister sind also abhängig von RTL. Hinzu kommt, dass der Markt von wenigen Personen dominiert wird, die sich über viele Jahre kennen. Es entstehen enge persönliche Beziehungen, die über das rein Geschäftliche hinausgehen – der optimale Nährboden für Korruption.

Ende der Neunzigerjahre war schon der Twister-Vorgänger Teleworld in eine Affäre verwickelt, bei der zwei damals noch aktive Manager von RTL 4 in den Niederlanden Bestechungsvorwürfen ausgesetzt waren. Dabei sollen sie laut dem niederländischen „NRC Handelsblad“ 2,3 Millionen Euro dafür erhalten haben, dass sie für Exklusivverträge ihrer Sender mit Teleworld sorgen. „Wir konnten nicht anders. Wir waren völlig abhängig von RTL 4“, sagte damals Teleworld-Manager Klaas B. gegenüber dem „NRC Handelsblad“. Heute sagt er, dass Teleworld keine Schuld getragen habe, sondern selbst Opfer gewesen sei.

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