Die Schlüsselszene soll sich am 25. April 2007 am Düsseldorfer Flughafen zugetragen haben. Banker Reto L. beschreibt seine Erinnerung daran so: Um 13.55 Uhr verlässt er an diesem Tag die Maschine der Lufthansa-Tochter Swiss. Die Sonne brennt, mit fast 30 Grad ist es für die Jahreszeit viel zu heiß. In seinem Gepäck hat er etwa 90.000 Euro, in 500-Euro-Noten, verstaut in einem Briefumschlag. Er läuft am Zoll vorbei, ohne das Bargeld zu melden.
Am Ausgang wartet sein Adressat schon. RTL-Manager Max H. ist Anfang 40, leger in Jeans. Die beiden schütteln sich die Hand. Reto L. übergibt im Ankunftsbereich des Flughafens den Umschlag. Für den Banker ist das nichts Ungewöhnliches. Er arbeitet für eine Schweizer Vermögensverwaltung, die sich auf Treuhandmodelle spezialisiert hat, über die Kunden diskret Geld bunkern können. Nun wollte einer dieser Kunden sein Geld wiederhaben, denkt Reto L. Eine übliche Schwarzgeldübergabe, Routine.
Wer war am Düsseldorfer Flughafen?
Max H. wollte sich zu dem Vorgang gegenüber der WirtschaftsWoche nicht äußern. 2012 hatte er gegenüber PwC-Mitarbeitern, die den Vorfall untersuchen sollten, das Treffen bestritten. Es steht Aussage gegen Aussage. Belegbar ist, dass Reto L. an diesem Tag am Düsseldorfer Flughafen war. Darüber hinaus gibt es E-Mails, die nahelegen, dass der RTL-Manager sich mit ihm für jenen 25. April am Flughafen verabredet hatte.
Die Digame, aus deren Umfeld das Schmiergeld stammen soll, wurde 1999 von Klaas B. gemeinsam mit der Telekom-Tochter T-Venture in Köln gegründet. Digame-Gründer Klaas B. hatte in den frühen Neunzigerjahren beim niederländischen Sender RTL 4 gearbeitet. Außerdem saß er als Gründer bis 1999 im Aufsichtsrat der RTL Multimedia, die in die heutige RTL-Tochter RTL Interactive aufgegangen ist. Klaas B., so heißt es, soll von Anfang an für die guten Beziehungen zwischen RTL und Digame verantwortlich gewesen sein.
Digame: Steuertipps, Kochrezepte, kostenpflichtige Anrufe
Digame organisiert vereinfacht gesagt kostenpflichtige Dienstleistungen, die Zuschauer rund um das TV-Geschäft in Anspruch nehmen können. Vor der Jahrtausendwende waren das Steuertipps oder Kochrezepte, die Zuschauer per Bezahl-Fax abrufen konnten. Seit Ende der Neunzigerjahre boomt das Geschäft mit Mehrwertdiensten. Die Einnahmen aus Werbung und Anrufen auf teuren 0190-Hotlines (heute 01379) reichten schon damals, dass RTL Multimedia – trotz Verlusten mit Internet-Aktivitäten – insgesamt Gewinn machte. Heute lassen vor allem kostenpflichtige Anrufe bei Castingshows und TV-Gewinnspielen die Kassen klingeln.
Auch seinen Teletext-Chat lässt RTL von Digame bespielen. Für bis zu 30 Cent je SMS können Zuschauer Nachrichten schicken, die unter Chatnamen ab Seite 670 im Videotext erscheinen. Schon die Namen der Chaträume, etwa „Flirt“, „Dating“, „Gay Club“ oder „Videotausch“, offenbaren, um welche Themen es oft geht. Auf Videotext Seite 721 bei RTL offeriert der Sender via Digame einen Faxabruf zu „seriösen Potenzmitteln“ – fünf Seiten für 1,49 Euro.
Gewinn im Gründungsjahr
Von den 50 Cent, die ein Zuschauer für einen Anruf aus dem Festnetz bei einer Castingshow heute zahlt, bekommt der Sender nach Branchenschätzungen um die 35 Cent. Bei Votinganbietern wie Digame bleiben 3,5 Cent. Der Rest sind Umsatzsteuer und Gebühren für den Telefonnetzbetreiber. Die Masse an Anrufen – bei Digame kamen laut einer internen Aufstellung 2009 gut 83 Millionen Anrufe zusammen – bringt ordentlich Geld.
Gleich zur Gründung der Digame 1999 schloss RTL umfangreiche Verträge mit dem Kölner Dienstleister ab. 2004 war Digame mit der Abwicklung der „gesamten Audiotex-Dienste“ beauftragt. Dahinter verbergen sich die Hotline-Geschäfte, etwa beim Televoting. Bereits im Gründungsjahr macht Digame Gewinn. Im dritten Geschäftsjahr gönnen sich die Gesellschafter, damals neben Twister noch Telekom-Tochter T-Venture, eine erste Ausschüttung: knapp 3,6 Millionen Euro.
Abhängig von RTL
RTL steht in vielen Jahren für über drei Viertel des Umsatzes von Digame. In einer E-Mail vom Juli 2011, unter anderem vom Twister- und Digame-Management verfasst, heißt es: „Sollte RTL seine Kooperation mit Twister Media beenden, wäre Twister Media pleite.“ Digame und die Mutter Twister sind also abhängig von RTL. Hinzu kommt, dass der Markt von wenigen Personen dominiert wird, die sich über viele Jahre kennen. Es entstehen enge persönliche Beziehungen, die über das rein Geschäftliche hinausgehen – der optimale Nährboden für Korruption.
Ende der Neunzigerjahre war schon der Twister-Vorgänger Teleworld in eine Affäre verwickelt, bei der zwei damals noch aktive Manager von RTL 4 in den Niederlanden Bestechungsvorwürfen ausgesetzt waren. Dabei sollen sie laut dem niederländischen „NRC Handelsblad“ 2,3 Millionen Euro dafür erhalten haben, dass sie für Exklusivverträge ihrer Sender mit Teleworld sorgen. „Wir konnten nicht anders. Wir waren völlig abhängig von RTL 4“, sagte damals Teleworld-Manager Klaas B. gegenüber dem „NRC Handelsblad“. Heute sagt er, dass Teleworld keine Schuld getragen habe, sondern selbst Opfer gewesen sei.