Die Moderatoren des Frühstücksfernsehens („Guten Morgen Deutschland“) haben sich gerade von den Zuschauern verabschiedet, da wird klar, dass dieser Morgen für den Privatsender RTL kein guter werden dürfte: Ein gutes Dutzend Staatsanwälte und Polizisten stehen an diesem 11. Dezember 2013 plötzlich am Empfang der RTL-Zentrale am Kölner Picassoplatz 1. Sie legen einen Durchsuchungsbeschluss vor, der keine Diskussionen zulässt: Die Fahnder ermitteln wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen besonders schweren Betruges, der besonders schweren Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr. Sie dürfen in alle Geschäftsräume, Nebengebäude und Nebenräume von RTL Television und deren Tochter RTL Interactive. Also durchschreiten Staatsanwälte und Polizisten die gläserne Sicherheitsschleuse – und legen los: Sie kopieren E-Mail-Postfächer, nehmen Geschäftsdokumente mit. Allein die sichergestellten Daten entsprechen Hunderten von DVDs. Am Hinterausgang füllen Polizisten den Kofferraum eines Kombis mit Umzugskartons, randvoll.
Zur gleichen Zeit durchsuchen Ermittler auch die Kölner Büros des Dienstleisters Digame, der für RTL unter anderem telefonische Abstimmungen bei Castingshows und Gewinnspiele organisiert, in Shows wie „Let’s Dance“, „Wer wird Millionär“ und „Deutschland sucht den Superstar“.
Die beliebtesten Unterhaltungssendungen 2014
Auf Platz 10 liegt "Das große Fest zum Jubiläum", ausgestrahlt im Ersten Deutschen Fernsehen. Moderator war Florian Silbereisen, Anlass der Show war sein zehnjähriges Bühnenjubiläum als Moderator der "Feste der Volksmusik". Geladene Gäste in der Jubiläumsshow waren unter anderem Semino Rossi, Michelle, und DJ Ötzi. 5,02 Millionen Zuschauer lockte das an den Fernseher.
Quelle: Statista, AGF; GfK, eigene Recherche
"Einer wird gewinnen" war die einmalige Neuauflage der Quizshow aus den 60er- und 80er-Jahren, damals mit Hans-Joachim Kulenkampff, 2014 mit Jörg Pilawa. 5,21 Millionen Zuschauer erreichte "Einer wird gewinnen" 2014 (ARD).
5,32 Millionen Zuschauer wollten die Sendung zum 30-jährigen Jubiläum von RTL sehen. "30 Jahre RTL - Die Jubiläumsshow" sparte nicht an geladenen Gästen: Die Moderatorinnen Birgit Schrowange, Frauke Ludowig, Katja Burkard und Nazan Eckes, Schauspieler aus "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", der Dschungelkönig des Jahres 2013, zehn Paare aus "Bauer sucht Frau"... Aber auch, als Vertreter internationaler Serien, die in Deutschland auf RTL ausgestrahlt werden, Tony Shaloub, "Monk", der Hauptcharakter aus der gleichnamigen Krimiserie.
Auf dem siebten Platz liegt mit 5,72 Millionen Zuschauern die Karnevalssendung "Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht", die Übertragung der gemeinsamen Karnevalssitzung verschiedener Mainzer Karnevalsvereine (ARD).
"Bauer sucht Frau", die RTL-Show, bei der Moderatorin Inka Bause vor ländlicher Kulisse einsame Herzen zueinander bringen will, schafft es auf Platz 6. Die Sendung sahen im Schnitt 6,26 Millionen Menschen.
Frank Plasberg moderierte "2014 - Das Quiz" mit Gästen wie Barbara Schöneberger, Günther Jauch oder Til Schweiger. 6,44 Millionen Deutschen interessierten sich für das Format (ARD).
Das ZDF landete einen großen Erfolg mit der "Helene-Fischer-Show", die sich in Deutschland 6,59 Millionen Menschen ansahen.
"Wetten dass...?" lief 2014 zum letzten Mal. Die letzten Sendungen der Traditionsshow (ZDF) mit Wetten, Prominenten und Musikeinlagen wollten im Schnitt 6,64 Millionen Menschen sehen.
"Ich bin ein Star - holt mich hier raus!" polarisiert: Die Einen sind begeistert und erleben die Reality-Show, die von Sonja Zietlow und Daniel Hartwich präsentiert wird, als selbstironischen Fernsehgenuss in Zeiten des allgegenwärtigen Trash-TV. Die Anderen können mit einem abendfüllenden Unterhaltungsformat, in dem lebende Insekten verspeist und halbnackte Menschen, die meist irgendwie anderweitig aus dem Fernsehen bekannt sind (oder es einmal waren) und erst vor einer Dschungelkulisse präsentiert werden, um dann von den Moderatoren mit Häme übergossen zu werden, nicht wirklich viel anfangen. Fakt ist aber: Die Sendung bringt Quote. 7,94 Millionen Menschen wollten die Ausgabe 2014 des Dschungelcamps auf RTL sehen. (Falls Sie nicht dazugehören sollten: Gewinner 2014 ("Dschungelkönigin") wurde Melanie Müller, bekannt als Kandidatin aus der ebenfalls auf RTL ausgestrahlten Serie "Der Bachelor").
Nein, nein. Es ist nicht "Der Bachelor". Auf Platz 1 liegt der "Eurovision Song Contest 2014" (ehemals Grand Prix Eurovision de la Chanson), eine Sendung, die in den letzten Jahren in Deutschland vor allem durch Stefan Raab und seine erfolgreiche Kandidatin (und Gewinnerin) Lena Meyer-Landrut wieder populär geworden ist und eine Art Kultstatus erlangt hat. Den europäischen Gesangswettbewerb wollten 8,9 Millionen Menschen am Fernsehen (ARD) mitverfolgen.
Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Köln
Die Durchsuchungen, die bisher nicht öffentlich wurden, sind Teil eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Köln gegen den RTL-Manager Max H.* und gegen Klaas B.*, einen indirekt an dem Dienstleister Digame beteiligten Medienmanager. Der Vorwurf: Max H. soll von Klaas B. mindestens 250.000 Euro kassiert haben. Im Gegenzug soll Max H. der Digame lukrative Verträge mit RTL zugeschanzt haben. Der WirtschaftsWoche liegt eine eidesstattliche Versicherung eines Bankers vor, der das Geld überbracht haben will. Zudem untermauern Dokumente die Bestechungsvorwürfe. Max H. wollte sich zu den Vorwürfen gegenüber der WirtschaftsWoche nicht äußern. Der indirekt an Digame beteiligte Klaas B. bestreitet die Bestechung.
Die Digame-Mutter Twister machte zwischen 1997 und 2013 bei rund 984 Millionen Euro Umsatz insgesamt knapp 80 Millionen Euro Gewinn – eine ordentliche Marge von acht Prozent. Der Großteil davon stammt von ihrer Tochter Digame. Bis heute ist RTL deren wichtigster Vertragspartner. Wären die Verträge mit RTL wirklich durch Bestechung zustande gekommen, hätten den Schaden vor allem RTL, die Digame-Konkurrenten und womöglich auch die Zuschauer gehabt.
- RTL, weil Digame sich übermäßig am Vertragspartner bereichert hätte. Der Sender sieht aber keinen Schaden. Ein externer Berater hätte die Auftragsvergabe analysiert und keine Auffälligkeiten gefunden.
- Die Digame-Konkurrenten, weil sie keine Chance gehabt hätten, mit RTL ins Geschäft zu kommen. Tatsächlich wird der Millionenmarkt um Zuschaueranrufe heute von Digame und Telekom dominiert.
Die Zuschauer, weil mangels Wettbewerb die Preise möglicherweise zu hoch geblieben sind. Der Rundfunkstaatsvertrag gibt bei TV-Gewinnspielen eine Preisobergrenze von 50 Cent vor. Diese reizen die Sender voll aus. Öffentlich-rechtliche Sender dürfen übrigens keine Einnahmen aus Telefonmehrwertdiensten erzielen.
Anke Schäferkordt, Co-Vorstandschefin der börsennotierten RTL Group, kennt die Vorwürfe seit bald drei Jahren. 2012 beauftragte die interne Revision der RTL Group das Wirtschaftsprüfungsunternehmen PwC mit einer Untersuchung. Das Fazit: Es gibt keine Beweise für eine Bestechung. RTL sah keinen Handlungsbedarf mehr. Was also ist dran an den Vorwürfen?
Die Staatsanwälte versuchen, dies herauszufinden. „Die Ermittlungen dauern an“, sagt Daniel Vollmert, zuständiger Staatsanwalt aus Köln. „Es handelt sich um ein komplexes Verfahren. Der Ausgang ist noch völlig offen.“
Wirtschaftskrimi
Das Problem der Staatsanwälte: Wie bei Korruptionsaffären üblich, gibt es kaum potenzielle Mitwisser. Vorgänge sind allenfalls bruchstückhaft dokumentiert. Umso mehr kommt es auf die Glaubwürdigkeit der wenigen Zeugen an.
Reto L.*, der Banker, der das Bargeld überbracht haben soll, ist nicht gerade ein Bilderbuch-Zeuge. Die Schweizer Bundesanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts der Geldwäsche für einen Kunden. Er weiß davon angeblich nichts. Und Reto L. steht dem israelischen Geschäftsmann Joram S.* nahe, der sich durch die angebliche Korruption geschädigt sieht und deshalb von RTL 35 Millionen Euro fordert – weil er seine Anteile an der Digame-Mutter Twister angeblich unter Wert an Klaas B. verkaufen musste. Der soll durch die behauptete Bestechung den Vertragspartner RTL beeinflusst und so den Verkauf der Twister-Anteile an Dritte verhindert haben.
Sicher ist bislang nur eins: Der Fall bietet Stoff für einen Wirtschaftskrimi, wie ihn sich Bestsellerautor John Grisham nicht besser hätte ausdenken können.