RTL übernimmt Zeitschriftensparte von Gruner + Jahr Des einen Schnäppchen ist des anderen Zäsur

Quelle: dpa

Gemeinsam mit den Magazinmarken von Gruner + Jahr soll RTL in Deutschland einen „nationalen Champion“ bilden. Was Bertelsmann von Disney lernen kann – und welche Frage offen blieb.

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Geht es nach der Logik von Thomas Rabe, ist alles ganz klar: Das Printgeschäft des einst so stolzen Hauses Gruner + Jahr schrumpft; die Umsätze, sagte Rabe, der in Personalunion den Medienkonzern Bertelsmann und die RTL Group führt, sinken jedes Jahr im Schnitt um sechs Prozent.

Eine Lage, in der sich kein Unternehmen wohlfühlt. Die Lösung, auf die die Gütersloher nun verfallen sind, hatte sich abgezeichnet: Bertelsmann lässt die eine Mehrheitsbeteiligung (RTL) die Tochter Gruner + Jahr zu einem großen Teil übernehmen.

„Stern“, „Gala“, „Geo“, Zeitschriftenmarken, die das Bild des Hamburger Verlagshauses prägen und die in Deutschland jeder kennt, kommen unter das Dach des TV-Unternehmens. Das wächst, sobald die Pläne umgesetzt sind, um einen Umsatz von einer guten halben Milliarde Euro. Gemeinsam, so schwebt es Rabe vor, sollen Gruner-Marken und RTL-Sender ab Januar 2022 einen „nationalen Champion“ bilden.

Thomas Rabe führt in Personalunion den Medienkonzern Bertelsmann und die RTL Group. Quelle: dpa

Was für Gruner + Jahr eine massive Zäsur bedeutet, ist für RTL schon fast ein Schnäppchen – der Kaufpreis liegt bei 230 Millionen Euro in bar, schuldenfrei. Das soll aus Sicht der Bertelsmänner sicher auch die freien Aktionäre beruhigen, die 24 Prozent der RTL-Anteile halten. Auch ihnen muss Rabe plausibel machen, worin für sie die Vorteile des Zukaufs liegen sollen.

Der folgt vor allem einem Gedanken – im globalen Mediengeschäft stehen die Zeichen klar auf Konzentration und Größe. Digitalkonzerne wie Google und Facebook saugen weltweit einen immer größeren Teil der Werbeerlöse ab. Die Streamingplattform Netflix hat weltweit mehr als 200 Millionen zahlende Abonnenten an sich gebunden. Medienunternehmen reagieren auf diese Entwicklung unter anderem durch Zukäufe und Einstieg in neue Geschäftsfelder – allen voran Disney.

Der Micky-Maus-Konzern verfügt nicht nur über Sender, Filmstudios, Erlebnisparks. Durch milliardenschwere Übernahmen etwa von 20th Century Fox blähte sich der Konzern noch immer weiter auf. Möglich wurde das vor allem dadurch, dass der frühere Disney-Chef Bob Iger entschied, auf Masse und große Marken zu setzen.

Darum kaufte er in schneller Folge die Produktionsfirma Pixar, den „Star Wars“-Erfinder Lucas Film und den Comic-Erfinder Marvel („Avengers“, „Captain America“ „Black Panther“) auf. Iger und sein Nachfolger an der Konzernspitze, Bob Chapek, setzen klar auf Blockbuster, auf Medienmarken, die weltweit funktionieren und Umsatz bringen. Mit ihnen als Zugpferde stieg Disney auch ins Streaminggeschäft ein.

Bertelsmann lässt sich beim besten Willen nicht mit Disney vergleichen. Nicht nur im Ranking der Medienkonzerne trennen beide Welten. Doch etwas von der Iger-Logik steckt auch in Rabes Vorstellung von den „nationalen Champions“.

Geht es nach Rabe, sollen die bekannten Gruner-Marken helfen, auch den TV-Sender RTL zu stärken im Konkurrenzkampf gegen die weltweiten Streaminganbieter. Sein Rezept setzt diesen vor allem nationale Marken und Themen entgegen und ein Zusammenspiel der unterschiedlichen Mediengattungen von TV über Musik und Zeitschriften bis zum Buch, über die die Gütersloher unter ihrem Dach verfügen.

Ob das allerdings gelingt, ist völlig offen; Rabe selbst sagte in einem Gespräch mit Journalisten, es gebe weltweit wohl keine Blaupause für das, was RTL und Gruner + Jahr nun bevorsteht. Die Unruhe in Hamburg ist jedenfalls groß, viele Mitarbeiter machen sich Sorgen. Ob Rabes Plan aufgeht, hängt deshalb auch davon ab, ob es gelingt, innerhalb des neuen Konstruktes die Eigenständigkeit und den Charakter der Marken und ihrer Redaktionen zu erhalten.

Denn auch das lässt sich von Disney lernen – unter dem Konzerndach gedeiht etwa die Comic-Schmiede Marvel vor allem deshalb so gut, weil ihr Iger und Co. die Eigen- und Besonderheiten ließ, die eine wesentliche Voraussetzung sind für Kreativität. Zuschauer und Leser haben schließlich feine Antennen dafür, ob ihnen jemand ein möglichst preiswert produziertes, aber glänzend verpacktes Bonbon andrehen will oder eine echte kreative Leistung.

Maßgeblich abhängen werden Erfolg oder Scheitern des unter dem Codenamen „Discovery“ vorangetriebenen Projektes auch davon, wer am Ende an der Spitze des Konstruktes stehen wird. Mit RTL Deutschland-Chef Bernd Reichart und Gruner-Boss Stephan Schäfer stehen gleich zwei Manager bereit, die sich selbst sicher alles zutrauen würden und von denen keiner Anstalten machen dürfte, den Anspruch auf den Spitzenjob freiwillig abzuschreiben. Die Antwort auf die Führungsfrage blieb der Bertelsmann-Chef indes noch schuldig.

Mehr zum Thema: Über Jahrzehnte war Gruner + Jahr das dominierende Pressehaus in Deutschland. Das hat sich grundlegend geändert: Der Abgang von Chefin Julia Jäkel und die nun verkündete Fusion mit der Konzernschwester RTL stehen für mehr als nur den Niedergang einer Institution.

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