Rückforderungen „Die Corona-Soforthilfen sind eine tickende Zeitbombe“

In der ersten Coronawelle fürchteten viele Kleinunternehmer um ihre Existenzgrundlage – und beantragten Corona-Soforthilfe. Quelle: dpa

Im Frühjahr 2020 haben Tausende Kleinunternehmer und Selbstständige Soforthilfen beantragt. Nun sollen sie große Teile zurückzahlen, obwohl die Bundesregierung anderes versprochen hatte. Sie fürchten um ihre Existenz.

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Babette Drewniok ist aufgewühlt, als sie am 13. März 2020 in Toulouse in den Flieger steigt. Seit 25 Jahren coacht und berät sie zu diesem Zeitpunkt freiberuflich Manager, hat sich einen Namen gemacht, die Auftragsbücher sind für die kommenden Monate gut gefüllt. Dennoch weiß sie: Das Führungskräfteseminar, das sie gerade in Frankreich geleitet hat, dürfte für lange Zeit ihr letztes gewesen sein. 

Der erste Coronalockdown, sagt Drewniok rückblickend, war für sie „gleichbedeutend mit einem Berufsverbot“. Sie beantragte 9000 Euro Corona-Soforthilfe – genau für Selbstständige wie sie hatte die Bundesregierung die schließlich aufgesetzt, dachte Drewniok. Ein Irrtum, wie sie inzwischen weiß: „Als Freiberuflerin ohne angemietete Büroräume und ohne Angestellte durfte ich fast nichts von dem Geld verwenden – obwohl das von der Regierung damals ganz anders kommuniziert worden war.“

Bereits im Oktober 2021 hat sie einen Großteil des Hilfsgeldes zurücküberwiesen. Sie habe es ohnehin kaum angetastet, von ihren Rücklagen gelebt, sagt sie. Dennoch fühlt sich Drewniok als Selbstständige vom Staat im Stich gelassen, gar über den Tisch gezogen. Und sie steht mit dieser Einschätzung nicht allein da.
(Alle wichtigen Nachrichten zur Pandemie finden Sie in unserem Corona-Update.)

Schnelle und unbürokratische Hilfe hatte der Staat im März 2020 versprochen. „Bazooka“ und „Wumms“ wurden schnell zu Markenzeichen einer entschlossen helfenden Regierung. Unternehmen mit maximal fünf Beschäftigten konnten bis zu 9000 Euro beantragen, Firmen mit maximal zehn Beschäftigten bis zu 15.000 Euro. Es gehe um direkte Zuschüsse, „die nicht zurückgezahlt werden müssen“, hatten die damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) verkündet.

Nicht zurückzuzahlen? Von wegen. Offenbar war dieses Versprechen zu vollmundig. Denn nun fordert die öffentliche Hand große Teile des Gelds zurück. Abertausende Kleinunternehmer und Soloselbstständige sind betroffen, insgesamt geht es laut „Handelsblatt“ bereits jetzt um Rückzahlungen in Höhe von 287,8 Millionen Euro – und das dürfte erst der Anfang sein. Für Kleinunternehmer und Soloselbstständige sind die Rückzahlungsforderungen mitunter existenzbedrohend. Denn „nur wenige können wie ich über einen längeren Zeitraum von ihren Rücklagen leben“, so Babette Drewniok.

„Mit den Corona-Soforthilfen hat die alte Bundesregierung der neuen Regierung eine tickende Zeitbombe hinterlassen“, sagt Andreas Lutz vom Verband Gründer und Selbstständige (VGSD). Selbstständige, deren Geschäft bereits im März 2020 unter der Pandemie gelitten hätte, seien nun auch durch die Rückzahlung wieder schwer betroffen. Besonders prekär ist die Lage der Soloselbstständigen. Diese haben oft kein Büro und deshalb auch keine Fixkosten, für die sie die Soforthilfe hätten beantragen können. Für Lebenshaltungskosten wie Wohnungsmiete, Lebensmittel oder Krankenkasse durfte das Geld nicht verwendet werden. Stattdessen wurde Soloselbstständigen empfohlen, die Grundsicherung in Anspruch zu nehmen. „Vorher hätten Sie aber noch Ihre Altersvorsorge aufbrauchen müssen“, sagt Lutz.

„Das Problem war, dass nicht alle Bundesländer klar kommuniziert haben, an welche Voraussetzungen die Gewährung der Soforthilfen geknüpft war“, sagt Ingrid Hartges, Chefin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA. Zudem habe bei den ersten Corona-Hilfen im Gegensatz zu den späteren Überbrückungshilfen keine Verpflichtung bestanden, einen Steuerberater mit der Antragstellung zu beauftragen. Viele Hotel- und Gaststättenbetreiber hätten erst Monate später, auf Hinweis ihres Steuerberaters, bemerkt, dass sie die wichtigste Voraussetzung für den Erhalt der Corona-Soforthilfen gar nicht erfüllt hätten: einen „Liquiditätsengpass“, wie es im Soforthilfe-Antrag vom März 2020 recht schwammig hieß.

„Es war damals nicht klar, ob die Soforthilfen nur für die Betriebskosten oder auch für den Lebensunterhalt genutzt werden durften“, sagt auch Hedwig Schulte vom Bündnis DaF/DaZ Lehrkräfte. Viele Honorarlehrkräfte seien durch die Pandemie in finanzielle Notlagen geraten und hätten deshalb im März 2020 Corona-Soforthilfen beantragt. Nun droht ihnen eine nahezu vollständige Rückzahlung. Ähnlich sieht die Lage in der Veranstaltungswirtschaft aus: „Von den Selbständigen ohne Angestellte müssen in unserer Branche beinahe alle einen großen Teil zurückzahlen“, sagt ein Sprecher der Interessengemeinschaft der selbständigen DienstleisterInnen in der Veranstaltungswirtschaft (ISDV).

Auch Bärbel Heyn-Henrichs wird dem Staat die Hilfsgelder wahrscheinlich zurückzahlen müssen. Sie ist seit 30 Jahren im Modehandel tätig und betreibt in Hamburg, Lübeck und auf Sylt vier Boutiquen. Im ersten Lockdown musste sie alle Läden schließen und beantragte Soforthilfe. Ihr wird nun zum Verhängnis, dass sie den Antrag erst im April 2020 gestellt hat. „Die Server waren ständig überlastet oder ganz abgeschaltet“, erinnert sich Heyn-Henrichs. Der Zeitraum, für den Umsatzausfälle geltend gemacht werden konnten, begann allerdings erst ab Antragsstellung. Für die Unternehmerin bedeutete das, dass sie die Verluste aus März nicht geltend machen kann, dafür aber die wieder besseren Umsätze im Juni berücksichtigt werden. Ihre Verluste sind dadurch weniger groß ausgefallen, als sie bei Antragsstellung geschätzt hatte. Ihre Steuerberaterin macht Heyn-Henrichs deshalb wenig Hoffnung. „Wahrscheinlich muss ich einen Großteil der Hilfen zurückzahlen“, sagt die Modehändlerin. Sobald sie die Rückzahlungsaufforderung bekomme, werde sie aber Einspruch einlegen.

Unternehmensverbände kritisieren die zu hohe Grenze bei den Verlusten. „In vielen Handelsbranchen sind die Gewinnspannen sehr niedrig. Schon bei geringen Verlusten geraten Händler daher in eine schwierige Lage“, so Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE). Die Rückzahlungen stellen Unternehmern zusätzlich vor neue finanzielle Probleme. „Die Händler fragen sich, wovon sie die Hilfen zurückzahlen sollen“, sagt Carina Peretzke vom Handelsverband Nordrhein-Westfalen.

Uwe Vetterlein, Hauptgeschäftsführer der IHK Köln, fordert deshalb, dass bei besonders betroffenen Branchen wie dem Einzelhandel mit Rückforderungen gewartet wird, bis die Unternehmen wieder eigenes Geld verdienen. „Die staatlichen Hilfen müssen solange verlängert werden, wie die Unternehmen coronabedingte Einbußen hinnehmen müssen“, sagt er. Auch die selbständigen Dienstleisterinnen und Dienstleister in der Veranstaltungswirtschaft hoffen darauf, dass Rückzahlungen pauschal ausgesetzt werden, „bis die Veranstaltungswirtschaft wieder voll arbeiten kann“. Schon jetzt sei klar, dass im ersten Halbjahr 2022 keine wesentliche Verbesserung der Lage für die Veranstaltungswirtschaft kommen werde, sagt ein Verbandssprecher.

Auch der Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA spricht sich klar für einen weiteren Aufschub aus: „Angesichts der aktuell dramatischen Umsatzverluste der Betriebe und der fehlenden Planungssicherheit kommen die Rückforderungen jetzt zur Unzeit“, sagt Verbandschefin Ingrid Hartges. Eine Fristverlängerung für die Rückzahlungen sei für die Länder jetzt das Gebot der Stunde.

Und wie reagiert die Politik? Manche Bundesländer mittlerweile kulant. NRW beispielsweise hat die Zahlungsfrist bis Oktober 2022 verlängert, ebenso Bayern, einige Länder bieten auch eine Stundungs- und Ratenzahlung an – teilweise bis zu 24 Monate lang, wie es etwa aus München heißt. Die Fristverlängerung hatte der neue Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kurz vor Weihnachten von den Ländern erbeten.

Beim Bund betonen sie jedoch auch, der Modus der Rückzahlungen läge letztlich allein in der Hand der Bundesländer. Zur nachträglichen Prüfung der Antragsberechtigung oder der bestimmungsgemäßen Verwendung der Bundesmittel seien in den Verwaltungsvereinbarungen stichprobenartige und verdachtsabhängige Kontrollen bei der Soforthilfe vorgesehen.

Einige Wirtschaftsministerien der Länder erklären auf Anfrage, dass die Rückzahlungen im Grundsatz auf freiwilliger Basis und eigenverantwortlich erfolgen würden, wie es etwa aus Baden-Württemberg heißt. Die Soforthilfen seien nicht zurückzuzahlen – aber: „Das gilt nur dann, wenn die Angaben im Antrag richtig und vollständig waren, wobei hiervon auch der im Antrag angegebene, prognostizierte Liquiditätsengpass betroffen ist.“ Wenn sich dieser bei Überprüfung rückblickend als zu hoch herausstelle, müsse der daraus resultierende Rückzahlungsbedarf im Rückmeldeverfahren angegeben werden. Hinzu kommt: dieses Verfahren sei „generell beihilfen- und haushaltsrechtlich zwingend“. Übersetzt: der Staat kann das Geld nun mal nicht einfach verschenken ohne die Bedürftigkeit zu prüfen.

Die Wahrheit dürfte also sein: das große Versprechen der Bundesminister Scholz und Altmaier wurde später im Bund-Länder-Kleingedruckten wieder kassiert – und das wiederum hat die wenigsten Unternehmerinnen und Selbstständigen in ihrer Lockdown-Not interessiert. Oder sie haben es gar nicht gemerkt.

Was aber folgt nun daraus? „Eine längere Frist ist gut, aber die anhaltende Unsicherheit ist das Problem“, sagt dazu Carina Peretzke. Viele Händler haben keine Rücklagen mehr, die Kunden können zwar in die Läden gehen, kaufen aber wenig. Die Verbraucherstimmung ist zu Jahresbeginn fast genauso schlecht wie vor einem Jahr, ermittelt das HDE-Konjunkturbarometer. Nicht nur die schlechte Kundenstimmung, sondern auch die 2G-Maßnahmen setzen den Einzelhandel weiter unter Druck. Die schlechte Lage bringt Einzelhändler auch immer mehr in Existenznot. In einer Umfrage gaben im Dezember 2021 fast die Hälfte der befragten Einzelhändler an, dass sie ihre Geschäfte durch die Zugangsbeschränkungen in Gefahr sehen.

Nicht mehr alle Unternehmer wollen sich deshalb auf eine ausreichende Unterstützung von Bund und Länder verlassen. Der Münchner Friseur Bernhard Ries will die Politiker per Verfassungsklage zum Handeln zwingen. Er hat die Initiative „Friseure für Gerechtigkeit“ gegründet und fordert, dass Entschädigungszahlungen für eine lockdownbedingte Schließung gesetzlich geregelt werden. Die Bemessung der Umsatzverluste an nur drei Monaten zeige nicht die wirkliche wirtschaftliche Lage der Betriebe, so Ries.

„Im Juni 2020 hatten Friseure teilweise sechs Tage die Woche gearbeitet, um den Kundenansturm bewältigen zu können“, sagt der Friseur. Die Rückzahlungsforderungen der Hilfen sollten deshalb anhand des ganzen Geschäftsjahres berechnet werden. „Wir wehren uns nicht generell gegen Rückzahlungen“, sagt Ries. Er kritisiert aber, dass jedes Bundesland seine eigene Regelungen festlegt. Für Friseure seien Rückzahlungen zudem besonders schwer zu tragen, sagt er: „Wir machen keine großen Gewinne.“ Abstandsregelungen begrenzen zudem weiterhin die Kundenzahl, Hygienemaßnahmen kosten zusätzlich Geld, das nicht erstattet werde. Ries musste deshalb trotz Coronahilfen seine Preise um 20 Prozent erhöhen.



Ob er seine Soforthilfe zurückzahlen muss, ist noch unklar. Um aber anderen betroffenen Friseuren zu helfen, hat er via Facebook über 2000 Friseure mobilisiert und 36.000 Euro für seine Verfassungsklage gesammelt. „Die Anwälte bereiten gerade die Klageschrift vor“, sagt Ries. In wenigen Wochen will er die Klage einreichen.


Mehr zum Thema: Trotz hoher Coronazahlen steht ein kräftiger Aufschwung bevor, aber niemand will auf Hilfsgelder verzichten. Fällt der Abschied vom süßen Gift der Staatshilfen zu zögerlich aus, droht eine gefährliche Gewöhnung.

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