Rückzug bei der Deutschen Bahn Pofallas Vermächtnis

Ronald Pofalla legt seinen Posten als Vorstand Infrastruktur der Deutschen Bahn AG nieder. Quelle: imago images / Arnulf Hettrich

Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla tritt ab. Freiwillig, sagt die Bahn. Unfreiwillig, behaupten Kritiker. So oder so: Der Manager hinterlässt eine zwiegespaltene Bilanz – und Fahrgästen ein umstrittenes Vorgehen bei Verspätungen.

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Es dauerte keine zwei Stunden, da brodelte in der Hauptstadt die Gerüchteküche. Die Deutsche Bahn hatte Dienstagfrüh mitgeteilt, dass Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla Ende April auf eigenen Wunsch“ aussteigen werde. Die Pressemeldung ließ Berliner Kreise mächtig kreativ werden. Angeblich, so hieß es da, habe Pofalla zu engen Kontakt zu Russland gehabt. Pofalla vertritt die deutsche Seite beim Petersburger Dialog – einem Diskussionsforum zur Völkerverständigung. Es solle Streit im Vorstand und Aufsichtsrat deswegen gegeben haben.

Die Wahrheit ist wohl eine andere. Die WirtschaftsWoche hat Aufsichtsräte kontaktiert und Insider gesprochen. Sie bestätigen die offizielle Sicht der Deutschen Bahn – und eine sehr persönliche Motivation für den Abtritt. Pofalla wolle sich anderen Dingen widmen, unter anderem seiner Familie. Der Rückzug wäre also tatsächlich freiwillig.

Gleichwohl lohnt sich ein Blick auf die Erfolge und Misserfolge des Managers, der einst als Kanzleramtschef unter Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel gedient hatte, und 2015 von Ex-Bahn-Chef Rüdiger Grube zur Bahn gelockt wurde. Pofallas CDU-Mitgliedschaft war Politikern anderer Parteien von Anfang an ein Ärgernis und vielen Branchenvertretern dauerhaft suspekt. Seine Bilanz fällt – nüchtern betrachtet – zwiespältig aus: Er holte mehr Geld fürs Schienennetz raus, setzte Akzente bei der Digitalisierung – und enttäuschte beim Kapazitätsmanagement im Netz. Auch persönlich lassen Nahestehende kein gutes Haar an ihm.

Bleiben wird die berühmt-berüchtigte Pofalla-Wende, eine neue Philosophie im Verspätungsmanagement der Bahn. Die simple Idee: Ein verspäteter ICE dreht früher um, damit er auf dem Rückweg wieder in den Fahrplan kommt. Die 2018 eingeführte Maßnahme war ein radikaler Bruch mit der damals geltenden Maxime, Züge bis zum Endbahnhof durchfahren zu lassen. Für viele Bahnreisende – und das ist die Krux an dem Projekt – ist die Pofalla-Wende mit Nachteilen verbunden. Ihre Halte entfallen, sie kommen verspätet an und müssen außerdem vorher in einen Nahverkehrszug umsteigen. Das Projekt soll dennoch weiterhin Bestand haben, heißt es bei der Bahn.

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Die Pünktlichkeit hat unter seiner Ägide trotzdem keine Fortschritte gemacht. Als Pofalla 2015 beim Staatskonzern einstieg, lag die Pünktlichkeitsquote im Fernverkehr bei 75 Prozent – genauso mau wie im vergangenen Jahr. Verbessert hat sich seitdem also nichts. Zur Natur der Pofalla-Wende gehört es sogar, dass sie die Verspätungsstatistik verfälscht: Ausgefallene Halte werden einfach nicht als verspätet mitgezählt. In Wahrheit dürfte die Pünktlichkeitsquote der Bahn also deutlich niedriger sein. Als Infrastrukturvorstand wäre es Pofallas Aufgabe gewesen, die Kapazität so auszusteuern, dass sie mehr Pünktlichkeit produziert.

Natürlich leidet die Deutsche Bahn auch unter Fehlern der Vergangenheit. In das Schienennetz wurde über Jahre hinweg zu wenig investiert. Pro Kopf zahlt der Bund heute 88 Euro für die Schieneninfrastruktur – ein Fünftel dessen, was die Schweizer zu zahlen bereit sind. Früher lag Deutschland im internationalen Vergleich sogar noch schlechter. Es dürfte als Verdienst Pofallas bezeichnet werden, dass der Bund 2018 zusätzliche elf Milliarden Euro bis 2030 versprach, gefeiert als außerordentliches „Klimapaket“. Es war der Beginn einer Zeitenwende in der Verkehrspolitik. Pofalla, so war zu hören, soll auch seine Kontakte in das Unions-geführte Verkehrsministerium genutzt haben, um ein Umdenken in der Verkehrspolitik anzuschieben. Seitdem genießt die Bahn sichtbar mehr Wertschätzung in der bundesdeutschen Verkehrspolitik. Auch während der Coronakrise wurden viele Milliarden zur Stützung des Konzerns investiert.

Das darf aber nicht davon ablenken, dass das Baustellenmanagement der Deutschen Bahn im Kern nicht funktioniert. 2018 wurde ein Runder Tisch Baustellenmanagement eingeführt. Vertreter von DB Netz wollten mit den Eisenbahnen und den Bestellern des Nahverkehrs Regeln für eine Optimierung der Baustellen finden. Drei Jahre später hieß es 2021 ernüchternd vom Wettbewerber-Netzwerk Europäische Eisenbahnen (NEE): Es gebe „zu wenige Verbesserungen für die Kunden im Schienenverkehr“. Und am Tag des verkündeten Pofalla-Rücktritts legte das NEE nach: Die Probleme in der Schieneninfrastruktur seien „eklatant“. Es dürfe nach dem Rückzug von Herrn Pofalla „nicht einfach eine Nachbesetzung des Konzernvorstands-Ressorts Infrastruktur“ geben. Der Bund müsse „darlegen, mit welcher Strategie und Struktur er die Schieneninfrastruktur zum Eckpfeiler eines zukunftsfähigen Verkehrssystems machen will.“

Im Prinzip ist die Basis für eine Neuausrichtung der Bahnpolitik gelegt – und das dürfte Pofalla wohl auch persönlich motiviert haben, Abschied zu nehmen vom Job, der ihm fast eine Million Euro Gehalt pro Jahr eingebracht hat. Die Ampel-Koalition will die drei Bereiche Netz, Bahnhöfe und Bahnenergie zu einer „gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft“ umbauen. Zwar wäre durchaus denkbar gewesen, dass Pofalla weiterhin als Konzernvorstand die Oberhand über die neu zu gründende GmbH haben würde. Die Gesellschaft soll Teil der Konzernwelt bleiben. Aber die Leitlinien gibt künftig Bundesverkehrsminister Volker Wissing vor, ein FDP-Mann also, der kein Freund der Union sein soll. Die neue Struktur hätte Pofalla dann zu einem Ausführenden degradiert.

So ein Job passt nicht zum Ego und Selbstbild eines Ronald Pofalla. Der Bahnvorstand, so sagen es Leute, die ihm nahestehen, gilt an und für sich als durchsetzungsstark. Es heißt aber auch, dass er sich mitunter selbst gerne reden hört. Er nehme sich Raum und Zeit, um seine Macht zu demonstrieren. Sein Selbstbewusstsein sei unerschütterlich, mit einem Hang zum Narzissmus. Werde seine Position in Zweifel gezogen, könne er unangenehm und laut werden. Beobachter monieren, dass er sein Wissen aus Charts abrufe, die ihm Untergebene auf den Tisch legen. Insider vermuten, dass er deshalb freiwillig zurücktritt, weil er nicht dabei zusehen wollte, wie sein Aufgabenbereich aus dem Verkehrsministerium faktisch zurechtgestutzt werde. Mit seinen 62 Jahren könnte er ohnehin noch einmal woanders anfangen – etwa in seiner Heimat NRW.

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Pofalla wollte sich während seiner Amtszeit außerdem einem wichtigen Projekt widmen: Der „Digitalen Schiene“. Es sollte Pofallas Meisterstück werden. Das Zugleitsystem mit dem Namen European Train Control System (ETCS), digitale Stellwerke und selbstfahrende Züge sollten die Kapazität um 30 Prozent erhöhen. Doch die Umsetzung läuft schleppend, die Finanzierung ist weiterhin unklar. Bislang gibt es ein paar Pilotprojekte, mehr nicht. Das dürfte für einen wie Pofalla selbst nicht schnell genug gelaufen sein.

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