Russland-Sanktionen Wie der deutsche Mastercard-Chef zwischen die Fronten gerät

Wie der deutsche Mastercard-Chef zwischen die Fronten gerät Quelle: imago images

Vor zwei Jahren übernahm der Deutsche Michael Miebach den Chefposten beim Kreditkartenkonzern Mastercard. Nun wird er zu einer zentralen Figur im Sanktionsregime gegen Russland – es ist nicht sein erster Krisenjob.

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Die Welt, in der Michael Miebach als nächster Chef des Zahlungsdienstleisters Mastercard präsentiert wurde, ist verschwunden. Im Februar 2020 teilte der Finanzkonzern mit, dass der bisherige Chief Product Officer zum Jahreswechsel auf den langjährigen CEO Ajay Banga folgen würde. Der massive russische Truppenaufmarsch an der Grenze der Ukraine lag damals noch Monate in der Zukunft und das neuartige Virus namens Covid-19 machte hauptsächlich Epidemiologien Sorgen. Miebach, so die Hoffnung im Konzern, sollte Mastercard nach den höchst erfolgreichen Banga-Jahren mit ruhiger Hand in die Zukunft führen.

Zeit für eine strategische Neuausrichtung gab es damals nicht. Das Unternehmen stand hervorragend da. Inzwischen ist vieles anderes. Und Miebach steht im Zentrum einer militärischen Auseinandersetzung. Mastercard setzt das Geschäft in Russland vorerst aus – die Russen können im Ausland nicht mehr zahlen. Das Beispiel zeigt die Macht von Mastercard – und seines deutschen Firmenchefs.

Unter den Kreditkartenfirmen gilt Mastercard als technologischer Antreiber. Früher als die Konkurrenz von Visa oder American Express hatte sich Mastercard offen für Fintech gezeigt und auf Zahlungsdienste gesetzt, etwa gemeinsam mit Apple und der Investment-Bank Goldman Sachs die Kreditkarte des Tech-Konzerns aus dem Silicon Valley auf den Markt und Apple Pay an den Start gebracht. Der Aktienkurs von Mastercard hatte sich unter Miebachs Vorgänger Banga fast vervierzehnfacht, der Umsatz verdreifacht. So sollte es weitergehen, dachte man in der Chefetage von Mastercard – und beförderte mit Miebach eine erfahrene Führungskraft aus den eigenen Reihen auf die Spitzenposition.

Angesichts des Kriegs und der Sanktionen sind die in Russland tätigen deutschen Unternehmen zutiefst verunsichert, viele denken ans Aufgeben. Die russische Wirtschaft bricht stark ein, die Sanktionen zeigen Wirkung.
von Daniel Goffart

Doch nun muss sich der 51-Jährige seit mehr als einem Jahr mit den Auswirkungen einer globalen Pandemie und nun mit dem größten Krieg in Europa seit Jahrzehnten herumschlagen. Corona habe nicht nur Millionen Menschen das Leben gekostet, sondern auch Lebensgrundlagen zerstört, so Miebach im November auf der Bühne des „Bloomberg New Economy Forum“ in Singapore. Doch die Pandemie habe auch Auswirkungen auf seinen Job als CEO. Der Wettbewerb um die klügsten Köpfe habe sich verstärkt. „Das werden wir noch eine ganze Weile sehen“, so der Mastercard-Chef in leicht deutsch eingefärbtem Englisch.

Nur wenige Monate später zwang ihn der Krieg in der Ukraine, einen wichtigen Markt aufzugeben. Mastercard verkündete seinen Rückzug vom russischen Markt – ein Rückschlag nach rund 25 Jahren, die der Konzern in Russland aktiv war, aber angesichts der harschen westlichen Sanktionen schlicht alternativlos. Für Miebach wohl kein leichter Schritt: Russland sei ein „strategisch wichtiger Markt“ für Mastercard, hatte er noch vor wenigen Wochen in einem Call mit Analysten betont. In einem Schreiben an die amerikanische Börsenaufsicht SEC teilte das Unternehmen mit, das Russland-Geschäft sei 2021 immerhin für vier Prozent des Nettoumsatzes von Mastercard verantwortlich gewesen. Das entspricht mehr als 750 Millionen Dollar.

Ist Miebach für das Krisenmanagement der richtige Chef? Keiner konnte damit rechnen, dass die Welt innerhalb von zwei Jahren von zwei Weltkrisen erschüttert würde. Beobachter merken zumindest Zweifel an: Miebach sei „in der Rückschau auf dem Höhepunkt der guten Zeiten für den Spitzenjob nominiert“ worden, sagt Ted Rossman, Analyst bei Bankrate.

Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass Miebach mit schwierigen Situationen konfrontiert ist. Schließlich arbeitet er bereits seit 1994 im Finanzwesen, stand das Platzen der Dot.Com-Blase im Jahr 2000 und die Finanzkrise 2008 durch. Seinen Lebenslauf zieren Stationen bei Citibank und Barclay‘s. 2010 wechselte er schließlich zu Mastercard, zunächst als Leiter der Nahost- und Afrikaabteilung. Doch als er das Asien-Geschäft übernehmen wollte, sperrte sich der damalige Mastercard-CEO Banga. Stattdessen machte er Miebach zum Produktvorstand, um den gebürtigen Allgäuer bewusst aus seiner Komfortzone zu holen und für höhere Aufgaben vorzubereiten.

Diese Unternehmen wenden sich von Russland ab
LindeAngesichts der Sanktionen gegen Russland stehen beim Gasekonzern Linde Anlagenbau-Projekte im Volumen von bis zu zwei Milliarden Dollar zur Disposition. Per Ende März habe Linde Verträge in dieser Höhe, etwa für Anlagen zur Gasverflüssigung, in Russland in den Büchern gehabt, teilte der amerikanisch-deutsche Konzern am 28. April bei Vorlage der Quartalszahlen mit. Von Sanktionen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine seien im ersten Quartal bereits Projekte im Volumen von rund 350 Millionen Dollar betroffen gewesen oder seien voraussichtlich betroffen. Linde hatte das Neugeschäft in Russland gestoppt und ist dabei, die Aktivitäten dort nach und nach zurückzufahren: Bestimmte Kunden würden nicht mehr beliefert, zumindest von einem Teil der Anlagen wolle man sich trennen. Für das zweite Halbjahr hat Linde keine Umsätze aus Russland mehr in seinen Planungen berücksichtigt. Quelle: dpa
BASFDer Chemiekonzern BASF stoppt wegen des Krieges in der Ukraine seine Aktivitäten in Russland und Belarus. Eine Ausnahme sei das Geschäft zur Unterstützung der Nahrungsmittelproduktion, teilte der Ludwigshafener Konzern am 27. April mit. Seit März schließt BASF bereits keine neuen Geschäfte mehr in den Ländern ab. Wegen der jüngsten Entwicklungen in dem Krieg und den von der EU verhängten Sanktionen gegen Russland habe der Konzern nun entschieden, auch die bestehenden Aktivitäten in Russland und Belarus bis Anfang Juli einzustellen. Derzeit hat BASF 684 Beschäftigte in den beiden Ländern, diese sollen bis zum Jahresende weiter unterstützt werden. Die Geschäfte in Russland und Belarus machten im vergangenen Jahr rund ein Prozent des Konzernumsatzes aus, in der Ukraine waren es 0,2 Prozent.Mehr dazu lesen Sie hier: BASF stoppt Neugeschäft in Russland. Quelle: dpa
SAPDer Softwarekonzern gab am 19. April bekannt, den russischen Markt endgültig zu verlassen. Das Unternehmen kündigte zwei weitere Schritte „für den geordneten Ausstieg aus unserem Geschäft in Russland“ an. Hinsichtlich seiner Cloud-Dienste hatte SAP nicht von Sanktionen betroffene Unternehmen bereits vor die Wahl gestellt, Daten löschen zu lassen, diese in Eigenregie zu übernehmen oder sie in ein Rechenzentrum außerhalb von Russland zu überführen. SAP kündigte nun an, die Verträge russischer Firmen, die sich für eine Migration der Daten ins Ausland entschieden hätten, nach Ablauf der Abonnementlaufzeit nicht zu verlängern. Zudem beabsichtige SAP, den Support und die Wartung für Produkte, die auf lokalen Servern in Russland installiert sind (On-Premise), einzustellen. „Wir prüfen derzeit verschiedene Optionen, wie sich diese Entscheidung umsetzen lässt“, teilte das Unternehmen mit. Das Hauptaugenmerk liege darauf, den rechtlichen Verpflichtungen gegenüber nicht-sanktionierten Kunden weiter nachzukommen. Bereits Anfang März hatte SAP erklärt, sich den Sanktionen anzuschließen und das Neugeschäft in Russland wie auch Belarus einzustellen. Das beinhaltete allerdings nicht Dienstleistungen gegenüber Bestandskunden wie Wartungen oder Cloud-Dienste, die zunächst weiter angeboten wurden. Medienberichten zufolge soll diese Entscheidung intern von Mitarbeitern kritisiert worden sein. Mehr dazu lesen Sie hier. SAP macht nicht öffentlich, wie groß das Geschäft in Russland ist. Aus dem Integrierten Bericht 2019 – den letzten verfügbaren Daten – geht hervor, dass die russische Tochtergesellschaft unkonsolidiert im Jahr knapp 483 Millionen Euro umsetzte. Quelle: imago images/photothek
HenkelDer Konsumgüterkonzern gibt sein Russland-Geschäft nun doch auf. Das Unternehmen hinter Marken wie Persil, Schwarzkopf und Fa kündigte am 19. April an, es habe angesichts der aktuellen Entwicklung des Ukraine-Krieges beschlossen, seine Aktivitäten in dem Land einzustellen. „Der Umsetzungsprozess wird nun vorbereitet.“ Henkel werde mit seinen Teams in Russland an den Details arbeiten, um einen geordneten Ablauf zu gewährleisten, hieß es. Währenddessen würden die 2500 Beschäftigten von Henkel in Russland weiterbeschäftigt und -bezahlt. Die mit der Entscheidung verbundenen finanziellen Auswirkungen des geplanten Ausstiegs für Henkel könnten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht näher quantifiziert werden. Henkel hatte mit dem Schritt lange gezögert. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Ende Februar hatte der Konzern zwar entschieden, alle geplanten Investitionen in Russland zu stoppen sowie Werbung und Sponsoring einzustellen. Die dortige Produktion sollte jedoch weiterlaufen. Dafür gab es auf der Hauptversammlung Anfang April Kritik von Aktionären, die etwa einen Reputationsschaden für Henkel fürchteten. Quelle: REUTERS
Dr. OetkerAuch der Nahrungsmittelhersteller Dr. Oetker zieht sich wegen des Ukraine-Krieges komplett aus Russland zurück. Das Familienunternehmen teilte am 8. April mit, dass es alle Anteile an seiner Russlandtochter an die bisherigen russischen Geschäftsführer verkaufe und damit sämtliche Aktivitäten in dem Land beende. Das Unternehmen hatte bereits direkt nach dem russischen Überfall auf die Ukraine alle Exporte nach Russland, alle Investitionen in die russische Schwestergesellschaft sowie sämtliche nationalen Marketingaktivitäten gestoppt. Das von Dr. Oetker in der Stadt Belgorod betriebene Nährmittelwerk produzierte seitdem nach Unternehmensangaben nur noch Grundnahrungsmittel wie Hefe und Backpulver für die russische Bevölkerung. Quelle: imago images
IntelDer Chip-Hersteller Intel stellt ab dem 6.April alle Geschäfte in Russland ein. Es seien Vorkehrungen getroffen worden, dass das weltweite Geschäft dadurch so gering wie möglich beeinträchtigt werde, teilt der Chip-Hersteller mit. Quelle: dpa
DecathlonDer französische Sportausrüster Decathlon stellt sein Geschäft in Russland ein. Das teilte das Unternehmen am 29. März mit. Die Lieferbedingungen unter strikter Beachtung der internationalen Sanktionen ließen eine Fortsetzung der Aktivitäten nicht mehr zu, teilt der Konzern mit. Decathlon ist im Besitz der französischen Unternehmerfamilie Mulliez, der unter anderem auch die Supermarktkette Auchan gehört. Zuletzt war der Druck auf die Familie gewachsen, ihre Geschäfte in Russland einzustellen. Auchan erklärte jedoch kürzlich, dort präsent zu bleiben. Andernfalls würden ein Verlust von Vermögenswerten und juristische Probleme für Auchan-Manager befürchtet. Auchan hat rund 30.000 Angestellte in Russland, Decathlon etwa 2500. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte heimische Konzerne vor Reputationsschäden gewarnt, wenn sie in Russland bleiben. Quelle: imago images

Miebach reüssierte, soll etwa die strategisch wichtigen Übernahmen wie des des FinTech-Unternehmens Vocalink und des Start-ups Vyze angeführt haben, die Mastercard weg vom klassischen Kreditkartengeschäft führen und fit für neue Geschäftsfelder machen sollten. In seiner Rolle als CEO setzt Miebach auch weiterhin auf Innovation. Erst Mitte Februar verkündete das Unternehmen, 500 Experten für Kryptowährungen und Open Banking einzustellen.

Auch deshalb hat sich der Konzern wohl für ihn entschieden. Dass er hohe Stücke auf seinen Nachfolger hält, machte Vorgänger Banga im „Harvard Business Review“ deutlich. Miebach sei „ein Weltbürger, strategischer Macher, cleverer Talentmanager und beständig Lernender“, schrieb er. Da war der Neue gerade erst ein paar Wochen im Amt.

Lernen muss Miebach gerade schnell. Der Rückzug aus Russland ist ist eine Zäsur für ein Unternehmen wie Mastercard, das seinen Kunden weltweite Transaktionen verspricht. Das Unternehmen verliert viel Geld – doch Analyst Rossman warnt davor, die Bedeutung des russischen Marktes für Mastercard zu überschätzen. Der von der russischen Zentralbank betriebene Zahlungsdienstleister Mir habe den Amerikanern ohnehin schon Marktanteile abgenommen. Und für innerrussische Transkationen bleiben bestehende Mastercard-Kreditkarten weiterhin aktiv. Man könne das nicht blockieren, teilt das Unternehmen mit, habe mit den Zahlungen allerdings auch nichts mehr zu tun.

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Allzu schwer hat die Ukraine-Krise Mastercard also nicht getroffen. Und auch Corona dürfte dem Unternehmen in der Rückschau nicht zu sehr geschadet haben. Schließlich gab die Pandemie digitalen Zahlungen einen massiven Schub, von dem der Konzern jetzt profitiert. Sein erstes Jahr als CEO endete für Miebach dann auch positiv. Der Gewinn von Mastercard legte um stolze 35 Prozent zu. Die neue Welt hat für Miebach also auch ihre guten Seiten.

Mehr zum Thema: Angesichts des Kriegs und der Sanktionen sind die in Russland tätigen deutschen Unternehmen zutiefst verunsichert, viele denken ans Aufgeben. Die russische Wirtschaft bricht stark ein, die Sanktionen zeigen Wirkung.

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