Ryanair Schluss mit lustig

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"Inzwischen fehlen weltweit Piloten"

Doch der Pilotenüberhang ist abgebaut, auch deshalb, weil technisch Begabte anderswo wie in der IT-Branche schnell Karriere machen können. „Inzwischen fehlen weltweit Piloten“, sagt Thomas Jaeger, Chef des auf die Flugbranche spezialisierten Schweizer Datendienstleisters CH-Aviation. So bestätigt der Weltluftfahrtverband IATA, dass Airlines in den kommenden 20 Jahren jeweils mindestens 20.000 zusätzliche Piloten brauchen. Doch ausgebildet werden derzeit kaum 15.000. „Es ist das größte Problem unserer Branche“, klagt Doug Voss, Verwaltungsratschef der US-Regionallinie Great Lakes, der 2017 seinen Flugplan drastisch kürzen musste, weil er die Leitstände seiner Maschinen nicht besetzen konnte.

Das könnte auch die Sicherheit gefährden. „Es droht ein Mangel vor allem an erfahrenen Kapitänen, die auch in Krisen oder extremen Unwettern sicher reagieren“, so Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt.

Für Leere im Cockpit sorgt auch die strengere Regulierung der Sicherheitsbehörden. Sie schreiben nach Unfällen durch übermüdete Piloten seit 2016 zum Beispiel längere Ruhezeiten vor. Deshalb brauchen die Gesellschaften vor allem in der Hauptreisezeit für das gleiche Flugprogramm mehr Personal. Gleichzeitig wächst die Branche extrem stark, während es besonders in boomenden Ländern wie Indonesien und Indien kaum Pilotenschulen gibt.

Der Mangel trifft derzeit weniger die großen, etablierten Fluglinien. „Sie locken wie Lufthansa bereits mit relativ hohen Gehältern und haben nach harten Sparrunden zuletzt deutlich großzügigere Tarifverträge abgeschlossen“, so Großbongardt. Dazu senkte Europas größte Airline die Kosten der Ausbildung im vorigen Jahr von 100.000 auf 80.000 Euro. Vor allem Linien aus China und Ostasien bieten inzwischen mit Netto-Jahresgehältern von mehr als 230.000 Dollar im Jahr das Doppelte der großen Linien aus Europa und den USA – und das Vierfache eines Billigfliegers. Dazu kommen traumhafte Arbeitsbedingungen, bei denen Kapitäne aus der alten Welt zwei Wochen im Monat am Stück frei haben und gratis nach Hause reisen dürfen.

Dass Ryanair mehr leidet als etwa Billigrivale Easyjet, hat sich das Unternehmen größtenteils selbst zuzuschreiben. Die Linie setzte bis vor Kurzem noch auf Härte im Umgang mit Neulingen. Die waren dringend auf Flugstunden angewiesen, damit ihre teuren Pilotenscheine nicht nach einem Jahr ohne Flugpraxis verfallen. Wo sich andere Linien damit beschieden, Novizen in Not die Jahresgehälter auf 30.000 Dollar zu drücken, engagierten die Iren selbst erfahrenere arbeitslose Cockpitarbeiter als Selbstständige ohne Anspruch auf Sozialversicherung oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Inzwischen ermittelt hier etwa die Staatsanwaltschaft Koblenz wegen des Verdachts auf Scheinselbstständigkeit und Hinterziehung von Beiträgen zur Sozialversicherung. Manche Jungpiloten mussten sogar gut 2000 Euro im Monat bezahlen, um fliegen und ihre Ausbildung retten zu dürfen. Wenn dieses „pay to fly“ genannte Prinzip Mitarbeiter vergraulte, war das für Ryanair kein Problem. „Für die war es meist billiger, neue Leute zu holen, als die alten zu halten“, so VC-Vorstand James Phillips.

Die Zeit solcher Wildwestmethoden ist zwar vorerst vorbei, doch das Ryanair-Image ist weiter mies. „Angesichts der vielen Angebote gilt nun: Wer eine Alternative zu Ryanair hat, geht dahin“, freut sich ein hochrangiger Pilot.

Denn an ein freundliches Verhältnis zu O’Leary mögen die Piloten trotz dessen Entgegenkommen nicht glauben. „Briefe an uns sind so boshaft wie eh und je“, so der Pilot. „Dagegen sind die Schreiben von Lufthansa fast freundschaftlich.“

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