Ryanair will 90 Alitalia-Flugzeuge Die undurchsichtige Logik des Michael O'Leary

Ryanair-Chef Michael O'Leary hat kein Interesse mehr an Air Berlin. Der Blick des umtriebigen Managers richtet sich jetzt nach Italien – eine Teil-Übernahme von Alitalia wäre aber ein großer Strategiewechsel.

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Ryanair will 90 Alitalia-Flugzeuge Quelle: dpa

Das war deutlich. „Wir mischen uns nicht in dieses Verfahren ein, weil es ein abgekartetes Spiel ist.“ Mit diesen Worten hatte Ryanair-Chef Michael O'Leary am Mittwoch sein Interesse an einer Teil-Übernahme von Air Berlin zurückgezogen. Er wagt nicht einmal den Anlauf. Weil es sich um ein „offensichtliches Komplott“ von Regierung, Lufthansa und Air Berlin handle. O'Learys Meinung: Air Berlin, oder zumindest die attraktiven Teile, gehen ohnehin an die Lufthansa.

Diese Ansicht hat der Ire auch bei einem weiteren Auftritt untermauert – und gleich über ein neues Übernahmeziel geredet. Bei der ebenfalls insolventen Alitalia rechnet sich O'Leary bessere Chancen aus.

„Wir werden für insgesamt 90 Flugzeuge von Alitalia einschließlich ihrer Piloten und Streckenrechte ein Gebot abgeben“, kündigte der Ryanair-Chef bei einer Veranstaltung in London an. Als „besonders attraktiv“ bezeichnete er das Langstreckengeschäft nach Nordamerika. Das berge noch „Potenzial für starkes Wachstum“.

Umsatz der Fluggesellschaften abseits des Ticketverkaufs

Insgesamt tragen derzeit rund 120 Flugzeuge das grün-rote Alitalia-Logo. Die Italiener fliegen in den USA unter anderem New York City, Miami und Los Angeles an. Die Nordamerika-Routen sind begehrt – dem Vernehmen nach hat die Lufthansa ein starkes Interesse, die US-Flüge von Air Berlin von Düsseldorf und Tegel aus zu übernehmen. Und da kommt O'Leary wohl nicht zum Zug. Deshalb Alitalia.

Strategiewechsel bei Ryanair?

Doch die Interessensbekundung verwundert zugleich. Der Plan kommt einem fundamentalen Strategiewechsel gleich – und das sogar in doppelter Hinsicht. In der Vergangenheit ist Ryanair organisch gewachsen und eben nicht durch große Übernahmen. Das hatte O'Leary nur bei dem irischen Konkurrenten Aer Lingus inklusive deren Langstreckenverbindungen versucht – und scheiterte prompt an den Wettbewerbshütern. Aer Lingus ist inzwischen Teil von IAG.

Eine Übernahme von 90 Flugzeugen ist in der Luftfahrtbranche keine Kleinigkeit. Zumal die Art der Flugzeuge nicht zur aktuellen Ryanair-Ausrichtung passt. Die gesamte Flotte der Iren besteht aus einem einzigen Flugzeugtyp – der Boeing 737-800. Das ist ein zentraler Punkt in der Strategie O'Learys: Das gesamte Personal – Piloten, Kabinenbesatzung, Techniker – müssen nur auf einen Flugzeugtyp trainiert und zugelassen werden. Das senkt nicht nur die Schulungskosten, sondern erhöht auch die Flexibilität – jeder Mitarbeiter kann in und an jedem Flieger in der Flotte arbeiten. Und bestellt man nur Ersatzteile für einen Typ, sind die Kosten niedriger.

Alitalia hat aber keine einzige 737-800 in der Flotte. Die Mittelstrecken bedienen die Italiener mit unterschiedlichen Varianten der A320-Familie von Airbus, bei Regionalflügen kommen zwei unterschiedliche Modelle des brasilianischen Herstellers Embraer zum Einsatz. Und die Langstreckenflotte besteht aus mehreren Exemplaren des Airbus A330-200 und der Boeing 777-200ER. Also nichts, mit dem Ryanair etwas anfangen kann.

Die Flexibilität ist einer der großen Vorteile des Ryanair-Konzepts. Droht eine Maschine auszufallen, kann einfach gleichwertiger Ersatz bereitgestellt werden. Fällt aber eine Boeing 737 aus und es steht in der Flotte nur ein Airbus A320 als Ersatz bereit, können Besatzung und Passagiere nicht 1:1 in den neuen Flieger wechseln. Immerhin, so kündigte O'Leary gleich mit an, werde Ryanair die auf die Airbus angelernten Alitalia-Techniker weiterbeschäftigen.

Standard-Sitzabstände ausgewählter Fluglinien (Kurzstrecke)

Auch der Einstieg in das Langstreckengeschäft verwundert. O'Leary kokettiert zwar bereits länger mit Transatlantik-Flügen, hat am Ende aber immer die Finger davon gelassen. Aus guten Grund: Zum einen ist die Konkurrenz schon da, so bieten zum Beispiel Eurowings, Norwegian und die IAG-Tochter Level US-Flüge an. Level lockt sogar mit Preisen ab 149 Euro für Flüge an die Westküste.

Ryanair und der Alitalia-Deal: Wo weitere Probleme lauern

Zum anderen funktioniert das Low-Cost-Carrier-Konzept auf der Langstrecke nicht so gut: Die Personalkosten sind etwas niedriger, wegen der Konzentration auf einen Flugzeugtyp auch die Wartungskosten. Die größten Einsparungen – Kerosin kostet für alle gleich viel (oder wenig) – erzielt O'Leary aber mit den Flughäfen, die er anfliegt. An kleineren Regionalflughäfen genießt Ryanair einen Sonderstatus, zahlt niedrigere Gebühren als an den großen Airports, oft sind die Flieger nach keinen 30 Minuten wieder in der Luft.

Die schnelle Abfertigung fällt bei einem zehnstündigen Transatlantikflug aber deutlich weniger ins Gewicht als bei einem zweistündigen Flug innerhalb Europas. Und Langstreckenflüge finden nicht ohne Grund größtenteils zwischen großen Drehkreuzen statt – die meisten Passagiere steigen nur um und benötigen Zu- oder Abbringer-Flüge. Fliegt Ryanair nicht von Düsseldorf nach JFK, sondern von Weeze zum Lehigh Valley International Airport nahe Allentown, Pennsylvania, zieht das vielleicht einige Urlauber mit kleinem Budget an. Den New-York-Urlauber oder vor allem kurzfristig buchende Geschäftsreisende, die auch höhere Preise zahlen, kann man so kaum locken.

Dazu kommen noch zwei grundsätzliche Probleme. Übernimmt O'Leary die Mitarbeiter seiner Alitalia-Flieger, holt er sich eine neue Unternehmenskultur und ein anderes Gehaltsgefüge ins Haus. Ryanair ist hier sehr straff organisiert und nicht jeder Pilot dürfte die Gehaltskürzungen und teilweise prekären Beschäftigungsverhältnisse mitmachen.

Und dann ist da noch die Order-Liste von Ryanair. Laut Boeing hat die irische Airline noch 175 Bestellungen offen – 65 Exemplare der bereits erwähnten 737-800 und 110 Flugzeuge des neueren Typs 737-MAX. Beide Modelle passen in das bisherige Beschaffungs-Schema von Ryanair.

Was O'Leary also mit 90 anderen Flugzeugen samt Crews will, weiß derzeit wohl nur einer: Michael O'Leary selbst.

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