Sammelklagen in Europa Die Klageindustrie wittert ihre große Chance

Der Abgasskandal von Volkswagen wird ein Testlauf für die Etablierung von Sammelklagen. Unternehmen könnte es so hart wie in den USA treffen. Viele Kanzleien sehen ein neues Geschäftsmodell – und rüsten auf.

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Eine EU-Initiative könnte für den Durchbruch von Sammelklagen für Verbraucher und geschädigte Unternehmen sorgen. Quelle: Imago

Düsseldorf Volkswagen-Besitzer in Europa begehren auf: Zig Tausende haben sich nach dem Betrug mit Dieselmotoren bereits zusammengeschlossen, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Doch anders als in Amerika ist ihre Ausgangslage schwierig. In den Vereinigten Staaten haben Sammelklagen – die so genannten Class Actions – eine lange Tradition.

Dort ist es an der Tagesordnung, dass sich geschädigte Verbraucher zusammenschließen, um von Konzernen Schadensersatz einzufordern. Pharmakonzerne wie Bayer oder Lebensmittelhersteller wie Ferrero können davon ein Lied singen. Auch Auto- und Tabakkonzerne sind immer wieder Ziel von Class Actions.

Die Massenklage gegen VW war dabei ein Höhepunkt, der 15-Milliarden-Dollar-Vergleich markierte einen Rekord. In Deutschland dagegen sieht es zumindest für die Autobesitzer auf den ersten Blick nicht gut aus. VW blockt Ansprüche ab und zwingt die Kunden, gegen den Hersteller und die Händler einzeln vor das Gericht zu ziehen. Ein mühsamer Weg, wie die zahlreichen Klagen vor Regionalgerichten in ganz Deutschland zeigen.

Die US-Kanzlei Hausfeld versucht auch in Deutschland neue Instrumente zu etablieren. In Amerika sind die Juristen um Star-Anwalt Michael Hausfeld eine in der Industrie gefürchtete Prozesskanzlei. Jetzt greift sie auch in Deutschland an. Mit dem früheren Kartellrechtler der Deutschen Bahn, Christopher Rother, hat sie dafür ein echtes Schwergewicht verpflichtet.

Um Schadensersatzansprüche von VW-Besitzern durchzusetzen, kooperiert Hausfeld hierzulande mit dem Rechtsdienstleister Myright, an den VW-Besitzer ihre Ansprüche abtreten können. Der Plan ist, dass Myright als Sammelklägerin gegen VW vorgeht, vertreten durch die Kanzlei Hausfeld. Kosten entstehen nur im Erfolgsfall. Dann berechnet Myright 35 Prozent des erstrittenen Schadensersatzes.

Ob der Plan allerdings aufgeht, ist ungewiss. VW weist die Forderungen nicht nur der Sache nach zurück, sondern auch, weil aus ihrer Sicht die Abtretung von Ansprüchen in Deutschland generell nicht zulässig ist. „Aus unserer Sicht ist das rechtlich zu unsicher“, sagt selbst Anlegeranwalt Andreas Tilp. Tilp gehört zwar ebenfalls zu den großen juristischen Widersachern von VW, er fokussiert sich aber auf Aktionärsklagen.


Das nächste große Geschäft ist schon in Sicht

Inzwischen hat er Ansprüche in Höhe von mehreren Milliarden Euro von privaten und institutionellen Investoren eingesammelt, die wegen des Kurssturzes nach Bekanntwerden des Dieselskandals klagen. Ihrer Ansicht nach hat der Konzern die Kapitalmärkte wider besseres Wissen zu spät über das Desaster informiert. Inzwischen ist klar, dass in dem Fall im Rahmen eines Kapitalanlage-Musterverfahrens eine Klage stellvertretend für alle anderen verhandelt wird. Auch in dem Aktionärsprozess spielen große US-Kanzleien wie Quinn Emanuel und Prozessfinanzierer mit.

Trotz aktueller Bedenken könnte eine EU-Initiative für den Durchbruch von Sammelklagen für Verbraucher und geschädigte Unternehmen in Europa und Deutschland sorgen. Denn das Abtretungsmodell hat Eingang in die bis zum Jahresende von allen Mitgliedstaaten umzusetzende EU-Kartellschadensrichtlinie gefunden. Laut Richtlinie kann künftig auch eine Person auf Schadensersatz klagen, „die in die Rechte und Pflichten des mutmaßlich Geschädigten eingetreten ist, einschließlich der Person, die den Anspruch erworben hat“.

Anhängige Verfahren, bei denen bereits jetzt mit einem Abtretungsmodell gearbeitet wird, sind etwa das der belgischen Firma CDC im Bleichmittelkartell gegen Akzo Nobel und andere oder das Verfahren der Deutschen-Bahn-Firma Barnsdale gegen das Luftfracht-Kartell. „Es laufen viele Erfolg versprechende Prozesse, bei denen Forderungen abgetreten wurden“, gibt sich Kartellrechtler Thomas Funke von der Kanzlei Osborne Clarke optimistisch.

Die Klägeranwälte wittern bereits das nächste große Geschäft. Nachdem die EU-Kommission namhafte Lkw-Hersteller wegen Kartellabsprachen zu hohen Strafen verdonnert hat, steht eine große Klagewelle bevor. Anwälte setzen auch hier darauf, die möglichen Ansprüche der unzähligen Spediteure bündeln zu können.

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