Schienennetz EU und Bund nehmen die Bahn in die Zange

Die Zeiten für den Staatskonzern Deutsche Bahn werden härter. Berlin droht mit einer schärferen Kontrolle der Schienennetzsparte. Die EU fordert gar ihre unternehmerische Abtrennung.

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Gleise der Deutschen Bahn Quelle: Pressebild

Die Züge, mit denen das Kölner Eisenbahnunternehmen HKX demnächst zwischen Hamburg und Köln verkehren will, wirken schmuck: große Fenster, violett-aubergine-farbene Sessel, ein weißes Tuch über der Nackenstütze. Und die Länge von 178 Meter, die HKX für die Züge mit Lok und in der Regel sechs Waggons gewählt hat, bietet wirtschaftliche Vorteile.

Für jeden Stopp eines solchen Zuges an einem Bahnhof muss HKX nur halb so viel bezahlen wie für Züge, die 180 Meter und länger sind. Dadurch besäße der Hamburg-Köln-Express neben besserem Service und niedrigen Fahrpreisen einen weiteren Trumpf gegenüber den ICE und Intercitys der Deutschen Bahn. Zumindest dachte sich das HKX-Geschäftsführer Carsten Carstensen.

Doch der Manager hatte die Rechnung ohne die Deutsche-Bahn-Tochter DB Netz gemacht, mit der er im Frühjahr 2010 die Abfahrts- und Ankunftszeiten sowie die sogenannten Stationspreise vereinbarte. Kein halbes Jahr später, im September 2010, änderte DB Netz die Konditionen. Die Zuglänge, von der an ein Stopp am Bahnhof deutlich mehr kostet, wurde von 180 Meter auf 170 Meter herabgesetzt.

Also muss HKX an fünf Tagen die Woche, an denen die Züge 178 Meter lang sind, weit mehr als doppelt so viel für jeden Halt am Bahnhof bezahlen, als Carstensen dachte. Der Wettbewerbsvorteil schmilzt dahin.

Bundesnetzagentur und Deutsche Bahn streiten nun schon seit über einem Jahr, ob die Konzerntochter DB Netz mit ihrer Preiserhöhung den Angriff von HKX auf die ICE und Intercitys über Gebühr behindere. Die Bahn argumentiert, die Bonner Behörde habe neue objektive Stationspreise verlangt, und DB Netz habe diese geliefert.

Das letzte Gefecht um Privilegien

Dabei habe sich die Bahn-Tochter einer vergleichbaren Systematik angeschlossen, die das Eisenbahnbundesamt nutzt. Der Fall HKX zeigt nicht nur, welche Möglichkeiten ein Bahnunternehmen besitzt, Wettbewerber zu drangsalieren, wenn es neben Zügen auch über Bahnhöfe, Schienennetz und Stromversorgung gebietet. Der Streit ist möglicherweise auch eines der letzten Gefechte der Deutschen Bahn um Privilegien. Denn die EU-Kommission erhöht den Druck, um Bahn-Chef Rüdiger Grube die wirtschaftliche Gewalt über das Netz zu entreißen.

Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) versucht das zwar zu verhindern. Dafür will er jedoch, dass die Bundesnetzagentur die Sparte künftig stärker an die Kandare nimmt. Für die Bahn brechen härtere Zeiten an.

Denn die teure, einst lästige Infrastruktur, die laut Grundgesetz mehrheitlich in Staatshand bleiben muss, gewinnt innerhalb des Bahn-Konzerns immer mehr an Bedeutung. Das geht aus der streng vertraulichen Mittelfristplanung vom vergangenen Dezember hervor.

Demnach sollen Schienen, Bahnhöfe und Einrichtungen zur Energieversorgung jedes Jahr Rekordprofite einfahren, die bis 2016 insgesamt rund viereinhalb Milliarden Euro an Gewinnabführung ermöglichen. So sollen die Infrastruktursparten nach rund 440 Millionen Euro in diesem Jahr von 2014 an doppelt so viel und mehr an die Bahn-Holding überweisen. Dadurch würde die Infrastruktur zur Cash-cow und Profitmaschine des Konzerns.

Bahn zieht Gewinn aus dem Steuerzahler

Bahn-Chef Grube Quelle: Max Lautenschläger für WirtschaftsWoche

Kritiker bemängeln daran nicht nur, dass dies zulasten der Wettbewerber gehe. Denn hohe Infrastrukturpreise schaden, solange das Geschäft im Bahn-Konzern bleibt, nur den Konkurrenten. Wenn Bahn-Töchter für die Fahrt ihrer Regional-, Fern- und Güterzüge über Gleise oder den Halt am Bahnhof bezahlen, fließt das Geld am Ende doch wieder in die Konzernkassen.

Stein des Anstoßes ist vor allem, wie die Bahn die Gewinne ihrer Infrastruktursparten erwirtschaftet. Eine Analyse der Mittelfristplanung zeigt, dass die Bahn ihre Gewinne aus der Infrastruktur überwiegend Investitionen verdankt, die der Steuerzahler übernimmt.

So steckte Konzernchef Grube in den vergangenen beiden Jahren jeweils nicht einmal eine Milliarde Euro aus der eigenen Kasse in Ausbau und Instandhaltung des Netzes. Mehr als fünfmal so viel stammten vom Steuerzahler.

Im Klartext: Nicht die Einnahmen aus der Beförderung von Personen und Gütern sowie aus der Bereitstellung von Schienen, Bahnhöfen und Energie speisen vorwiegend die Investitionen in die Infrastruktur. Größter Finanzier mit rund fünf Milliarden Euro pro Jahr ist und bleibt der Steuerzahler. Dieses Verhältnis bleibt – auch das belegen die internen Zahlen – bis 2016 auf gleichem Niveau (siehe Grafik).

Damit verdeckt Grube wie auch schon sein Vorgänger Hartmut Mehdorn, dass das eigentliche Bahn-Geschäft, also der Transport von Menschen und Gütern, nicht im Entferntesten das Geld einbringt, um die Kosten der Infrastruktur zu decken. Dieses Manko kaschiert die Deutsche Bahn, indem sie in ihrem Anlagevermögen nur die Beträge verbucht, die sie aus eigener Kasse in die Infrastruktur steckt.

Leidtragende sind Kunden und Konkurrenten

Würde sie auch die vom Staat finanzierten Investitionen bilanzieren, wären die jährlichen Abschreibungen so groß, dass jedermann sähe: Zugfahren in Deutschland ist eine vom Steuerzahler hoch gehaltene Veranstaltung – und das volkseigene Schienennetz der Ansaugstutzen für Steuermilliarden sowie willkommenes Instrument, Wettbewerber auszuhebeln.

Wer das Schienennetz finanziert und die Infrastruktur zahlt.

Unmittelbare Leidtragende sind neben den Steuerzahlern die Bahn-Wettbewerber. „Die Infrastrukturpreise laufen uns weg“, sagt Axel Sondermann, Geschäftsführer des Nahverkehrsbetreibers Veolia Verkehr Regio. So schlagen Stations- und Trassenpreise bei Eisenbahnunternehmen mittlerweile mit rund 50 Prozent der Kosten zu Buche. Seit 2002 erhöhte die Bahn sie um fast 20 Prozent.

Ein Ende der versteckten Steuergeldströme und möglichen Diskriminierung von Wettbewerbern ließe sich erreichen, wenn das Infrastruktur- und das Transportgeschäft rechtlich und unternehmerisch voneinander getrennt würden. In der Bundesregierung ist eine solche Radikalreform kein Thema.

Die schwarz-gelbe Koalition verkeilt sich schon bei der Frage, wie sich zumindest die Geldströme innerhalb des Bahn-Konzerns trennen ließen. Dazu müsste, so die Idee der FDP, der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag beendet werden, mit dem die Bahn-Holding Geld aus der Infrastruktur holt.

Machbar wäre das, wie ein eigens angefertigtes Rechtsgutachten im Auftrag von Minister Ramsauer zeigt. Die „rechtstechnische Umsetzung“ eines Gewinnabführungsverbotes sei „grundsätzlich möglich“, heißt es in dem 35-Gutachten-Papier der Kanzlei Orrick Hölters Elsing.

Keine Trennung von Netz und Bahn

EU-Verkehrskommissar Kallas Quelle: dpa

Doch der Standpunkt der Anwälte verfing bei Minister und Betriebswirt Ramsauer und erst recht bei Bahn-Chef Grube nicht. Beide sind sich einig, eine konsequente Trennung von Netz und Bahnbetrieb nicht weiterzuverfolgen und eine Aufspaltung des Konzerns in eine selbstständige Netz- und eine Transportgesellschaft mit allen Mitteln zu verhindern. Der FDP bleibt als kleinem Koalitionspartner nur, sich dem „Burgfrieden“ vorläufig zu fügen und auf Hilfe von außen zu warten.

Die deutet sich gerade an. Denn die Argumente der Deutschen Bahn für den Erhalt ihres Holdingmodells stoßen in Brüssel auf taube Ohren. Noch im Herbst wird die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag über den Zugang zum Schienenverkehrsmarkt vorlegen.

„Wir haben uns alle Argumente angehört, die gegen eine Entflechtung ins Feld geführt werden“, sagt Keir Fitch, stellvertretender Kabinettschef von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas. „Doch sind wir zu dem Schluss gekommen, dass integrierte Bahnmodelle nicht zu dem gemeinsamen Eisenbahnmarkt führen, den sich die Kommission vorstellt.“

Wie sehr die EU-Kommission die Deutsche Bahn in die Zange nimmt, lässt sich auch daran absehen, dass sie in der zweiten Jahreshälfte eine Studie zur buchhalterischen Trennung von Netz und Betrieb vorlegen will sowie eine Gesetzesfolgenabschätzung zur Entflechtung.

Vielleicht kommt ihr auch der Europäische Gerichtshof in Luxemburg zuvor, der wohl bis Oktober im laufenden Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eine Entscheidung fällen wird, ob der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag der Bahn-Holding mit ihrer Netztochter rechtens ist. Konkurrenten der Deutschen Bahn spekulieren darauf, dass die Fülle der europäischen Angriffe das Ende der Bahn-Holding einläutet.

Ramsauer will Bahn schärfer kontrollieren

Das wäre Wasser auf die Mühlen der hiesigen Monopolkommission, die seit jeher eine Trennung fordert. Ein aktuelles Sondergutachten betont, die Bahn habe „ein Interesse daran, den Zugang zur Infrastruktur so auszugestalten, dass die eigenen Verkehrsgesellschaften Vorteile gegenüber den Wettbewerbern erhalten“.

Fazit: „Die beste Lösung dieser Problematik besteht in einer vollständigen institutionellen Trennung von Infrastruktur- und Transportgesellschaften, sodass die Anreize für die Infrastrukturbetreiber, bestimmte Eisenbahnverkehrsgesellschaften zu diskriminieren, erheblich reduziert werden.“

Ramsauer will stattdessen die Bahn schärfer kontrollieren. Dazu soll die Bundesnetzagentur mehr Kompetenzen bekommen. Zukünftig sollen die Beamten die Preise für die Benutzung des Schienennetzes und der Bahnhöfe nicht im Nachhinein sowie eher oberflächlich prüfen, sondern vorab genehmigen.

Dazu müsste die Bahn der Behörde ihre Kostenkalkulation bis ins Detail offenlegen. „Eine missbräuchliche Behinderung oder Diskriminierung von Zugangsberechtigten durch die Preisgestaltung“, heißt es im Entwurf des Regulierungsgesetzes, solle so verhindert werden.

Experten der schwarz-gelben Koalition sind skeptisch, ob der Gesetzesentwurf diese Ziele erfüllt. Ihr einziger Trost wären die 36 zusätzlichen Beamte, die in der Bundesnetzagentur für diese Zweck in Dienst gestellt werden sollen. Das wäre eine Aufstockung der bisherigen Bahn-Kontrolleure um rund 70 Prozent.

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