Weite Strände, blaues Meer und gutes Essen. Viele Deutsche schätzen die Vorzüge eines Türkei-Urlaubes – das Land gehört zu ihren Top-Fünf-Reisezielen. Im weltweiten Vergleich liegt die Türkei auf dem vierten Platz der meistbesuchten Länder. Seit 25 Jahren kann sich das Land über wachsende Beliebtheit freuen.
Lange Zeit war die Türkei mit Küsten im Süden und Westen das Top-Ziel für Pauschalreisende, sie überzeugte mit ihrem Preis-Leistungs-Verhältnis. Doch die Inflation macht vor diesem wichtigen Wirtschaftszweig nicht Halt. Vor der Corona-Pandemie betrug der Anteil des Tourismus am Bruttoinlandsprodukt elf Prozent. 2022 erwirtschaftete der Bereich 41,4 Milliarden US-Dollar. Die Einnahmen sind für das Land wichtig, um das Leistungsbilanz-Defizit aufzufangen. Zudem bietet die Branche rund 2,3 Millionen Arbeitsplätze.
Im März stieg die Teuerungsrate auf 68,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat an. Der höchste Wert seit Ende 2022. Besonders betroffen: Bildung, Hotels, Cafés und Restaurants sowie für Gesundheit, Verkehr und Lebensmittel. Derzeit sprudelt die wichtigste Devisenquelle des Landes relativ unbeeindruckt von wirtschaftlichen Entwicklungen. Könnte sich das bald verändern? Was bedeutet das für die Urlauber?
„Aktuell sehen wir, dass die Buchungen für die Türkei weiterhin auf einem hohen Niveau sind. Sollten sich die Preissteigerungen fortsetzen, könnte sie allerdings an Wettbewerbsfähigkeit verlieren“, fasst Bernd Eisenstein, Direktor des Deutschen Instituts für Tourismusforschung, zusammen. Aktuell sei davon nicht auszugehen, dass die Branche in diesem Jahr zusammenbricht. Obwohl die Urlauber tiefer in die Tasche greifen müssen als in den vergangenen Jahren. Denn regelmäßig stürzte die türkische Lira in Euro und US-Dollar ab. Die Preise hingegen stiegen nur langsam. Urlauber konnten so gute Schnäppchen erzielen. Derzeit steigen die Preise allerdings rasant an.
Die Hotelpreise erhöhten sich je nach Region um 10 bis 15 Prozent. Verzichten die Urlauber deshalb auf einen Türkei-Urlaub? „Aus bisherigen Erfahrungen wissen wir, dass deutsche Urlauber nicht sogleich auf den Urlaub verzichten, sondern eher im Urlaub selbst sparen“, erklärt Eisenstein.
Neben der Preissteigerung im Hotelbereich müssen die Urlauber mit höheren Ausgaben in der Gastronomie rechnen. Die Preise haben sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Ein Grund, auf den Urlaub zu verzichten, sei das dennoch nicht.
„Natürlich kann auch ein sogenannter Tipping-Point erreicht werden, weil den Menschen eine ausreichende Entlastung von den typischen Alltagsaufgaben, wie dem Kochen fehlt. Dann verliert das Urlaubsziel an Attraktivität“, erklärt Eisenstein. Derzeit gibt es keine Angaben zu der Preiselastizität, die die Vor-Ort-Ausgaben der Urlauber bemisst. „Es ist zunächst zu erwarten, dass die Menschen an ihrem begehrten Urlaubsziel festhalten und mit bestimmten Einschränkungen leben.“
Schneller schlau: Inflation
Wenn die Preise für Dienstleistungen und Waren allgemein steigen – und nicht nur einzelne Produktpreise – so bezeichnet man dies als Inflation. Es bedeutet, dass Verbraucher sich heute für zehn Euro nur noch weniger kaufen können als gestern noch. Kurz gesagt: Der Wert des Geldes sinkt mit der Zeit.
Die Inflationsrate, auch Teuerungsrate genannt, gibt Auskunft darüber, wie hoch oder niedrig die Inflation derzeit ist.
Um die Inflationsrate zu bestimmen, werden sämtliche Waren und Dienstleistungen herangezogen, die von privaten Haushalten konsumiert bzw. genutzt werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) beschreibt das wie folgt: „Zur Berechnung der Inflation wird ein fiktiver Warenkorb zusammengestellt. Dieser Warenkorb enthält alle Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte während eines Jahres konsumieren bzw. in Anspruch nehmen. Jedes Produkt in diesem Warenkorb hat einen Preis. Dieser kann sich mit der Zeit ändern. Die jährliche Inflationsrate ist der Preis des gesamten Warenkorbs in einem bestimmten Monat im Vergleich zum Preis des Warenkorbs im selben Monat des Vorjahrs.“
Eine Inflationsrate von unter zwei Prozent gilt vielen Experten als „schlecht“, da sie ein Zeichen für schwaches Wirtschaftswachstum sein kann. Auch für Sparer sind diese niedrigen Zinsen ein Problem. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflation von zwei Prozent an.
Deutlich gestiegene Preise belasten Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie können sich für ihr Geld weniger leisten. Der Privatkonsum ist jedoch eine wichtige Stütze der Konjunktur. Sinken die Konsumausgaben, schwächelt auch die Konjunkturentwicklung.
Von Disinflation spricht man, wenn die Geschwindigkeit der Preissteigerungen abnimmt – gemeint ist also eine Verminderung der Inflation, nicht aber ein sinkendes Preis-Niveau.
Schwache Lira sorgt für Ausgleich
Die schwache Lira hat für die Touristen einen Vorteil. Allein im vergangenen Jahr wertete die Lira um 37 Prozent im Vergleich zum Dollar ab. Und der Abwärtstrend geht weiter: Derzeit erhält man für einen Euro 34 Lira – ein Rekordtief für die türkische Währung. „Der Euro hat gegenwärtig in der Türkei eine hohe Kaufkraft. Das mindert die türkische Inflation aus Sicht der Deutschen ab“, erläutert der Tourismusforscher.
Da die Türkei mehr importiert als sie exportiert, steht die Lira unter ständigem Abwertungsdruck. Um den Währungsverfall zu stoppen, hob die Zentralbank ihren Leitzins auf 50 Prozentpunkte im März – allerdings mit wenig Erfolg. Seit dem Rücktritt von Hafize Gaye Erkan als Notenbankchefin ist Fatih Karahan Chef der Notenbank. Während seine Vorgängerin seit vergangenem Juni die Zinsen aggressiv im Kampf gegen die Inflation angehoben hat, versuchte Karahan, das Zinsniveau beizubehalten. Aufgrund der verschlechterten Inflationsaussichten reagierte er nun doch mit einer weiteren Zinsanhebung und kündigte an: „Der straffe geldpolitische Kurs wird so lange beibehalten, bis ein signifikanter und anhaltender Rückgang des zugrunde liegenden Trends der monatlichen Inflation zu beobachten ist.“
Wie schlagkräftig die Notenbank gegen die Teuerung sein wird, gibt jedoch wenig Raum für Optimismus. Zwar rechnen Experten bis Jahresende mit einer leicht gesunkenen Inflation. Selbst im optimistischsten Szenario würde diese aber immer noch deutlich über der 40-Prozent-Schwelle verharren.
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Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 14. Januar 2024 bei der WirtschaftsWoche. Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.